„Weg vom ökologischen Denken – hin zum ökologischen Handeln”
Leutkirch – Freitagabend, 24. Mai, kurz nach 17.00 Uhr in der Otl-Aicher-Realschule Leutkirch. Der helle Innenhof wirkt mit gut 70 besetzen Stühlen stark besucht. Gespannt-freudiges Warten auf den Mann des Abends: Vortragsredner Roland Roth aus Bad Schussenried – den Wetterkünder des schwäbischen Oberlands. Er soll „im Zeichen des Klimawandels” Vieles erklären. Das Ganze als Teil der Karikaturen-Ausstellung „Mit Volldampf in die Katastrophe” rund um den Innenhof des Bildungshauses. Sie lässt sich noch bis 8. Juni bewundern.
Gut besucht: der Vortrag des Wetterexperten Roland Roth in der Otl-Aicher-Realschule in Leutkirch.
„Es macht mich wütend”, sagt Roland Roth am Freitagabend in der Realschule. Zuerst zeigt er Freude, dass trotz Pfingstferien so viele zu seinem Vortrag kommen. Darunter auch Oberbürgermeister Hans-Jörg Henle. Roth findet markige Worte: „Jeder ist für Klimaschutz – passieren tut aber wenig.” Im Gegenteil: Heute würden Flughäfen noch mehr Reisende feiern. Und dass sich das Klima verändert, daran sei kein Zweifel mehr berechtigt. Der 1953 geborene Bad Schussenrieder erinnert sich an Mai-Monate während seiner Schulzeit. Damals sei man im Mai nach Isny zum Skifahren gekommen. Heute, Mai 2024, kaum denkbar. Bezüglich Klima so weiterzumachen wie bisher, geißelte Roth als „Verbrechen an der nächsten Generation“.
Roths “Hagel-Weizen”
Dabei gibt sich Roland Roth am Freitagabend in der Otl-Aicher-Realschule alles andere als schlecht gelaunt. Mehrmals erntet er Lacher aus dem Publikum. Er ist mit Bahn und Elektrofahrrad angereist. Das behindert offenbar nicht seine Liebe zu Gewittern. Eines davon lässt während des Vortrags seinen Donner grollen. Dem gewinnt der Vortragsredner Erfreuliches ab. Er sammle zum Beispiel Hagelkörner. Gelegentlich gar im eigenen Gefrierfach. Solche Eisbällchen lasse er in ein (fast) gefülltes Weizenbier-Glas rollen. Roth: „Es muss ein Farny-Kristallweizen sein.” Dieses Getränk – im Juli 1924 erstmals öffentlich eingeschenkt – schmecke mit den Hagelkörnern nochmal so gut. Sein „Hagelweizen” habe er den Musikern von „Grachmusikoff” angeboten. „Was isch denn des?” sei er von ihnen gefragt worden. Roths Antwort: „Jo, Hagl-Woiza.” Und „noch‘m fünfta Bier waret se alle oiner Meinung”, dass der Hagel-Weizen bestens munde und alles andere als ein verhageltes Getränk sei. Gewitter-Genuss mit Gewinn.
Zwischen 1880 und 1980 in Leutkirch plus drei Grad
Den Klimawandel erklärt Wetterkunder Roland Roth am liebsten anhand „meiner geliebten oberschwäbischen Heimat”: Ihr Vorteil: die Eiszeit. Zweimal prägte sie den Raum Leutkirch. Damals, vor etwa 12.000 Jahren schoben sich Gletscher aus den Alpen über den Raum Leutkirch „wie eine überdimensionale Planierraupe”. Das Geröll, das sie so vor sich herbewegten, prägt die Westallgäuer Landschaft mit ihren Auf- und Abs. Durchschnittstemperatur während der Eiszeit: etwa 4 bis 5 Grad kälter als heute. Anders der Klimawandel heute. Zwischen 1880 und 1980 sei es weltweit 1,1 Grad wärmer geworden. In Leutkirch durchschnittlich gar fast drei Grad. Noch im Sommer 1913 hätten Bauersleute auf dem Feldberg (Schwarzwald) Schneemassen weggeräumt. Im Sommer! Ziel: Dort keinen Gletscher anwachsen lassen. Heute während der Sommermonate unvorstellbar. Roland Roth: „Wir haben letztes Jahr bereits die oft erwähnte 1,5 Grad-Marke gerissen.” Allerdings erstmal nur für ein Jahr. „Klima” zeichne sich dagegen als Wetterentwicklung in 30 Jahren ab.
Allerdings müsse schon heute festgestellt werden: „Es wird von Jahr zu Jahr wärmer. Und: „Das Wetter wird immer extremer – in allen Richtungen.“ Aktuelle Meldungen von Hochwässern von Brasiilen bis zum Saarland bestätigten Roland Roth. Er beobachtet Witterungen schon seit seinem 13. Lebensjahr genauer. Damals gründete er die Wetterwarte Süd in seiner Heimatstadt. Man müsse wissen, „dass warme Luft mehr Wasser aufnehmen kann”, erklärte Roth. Und das bedeutet letztlich: kräftigere Niederschläge und Hochwässer. Damit nicht genug: „Wir haben so genannte Kipp-Punkte.” Also Points of no return – Punkte mit unumkehrbarer Entwicklungs-Richtung. So verändere sich der Golfstrom. Dazu der oberschwäbische Wetterkünder: „Stoppen lässt sich das nicht mehr.”
Sonne zieht Wasser. Aufgenommen nahe St. Leonhard bei Ausnang am Sonntagabend, 26. Mai. Foto: Julian Aicher
Meist mit Fahrrad, Bahn und Bus
Aber verlangsamen? Darauf hofft Roland Roth. Und verhält sich entsprechend. Beeindruckend. Um bei der Stromnutzung kein Klimagas Kohlenstoffdioxid (CO2) in die Luft zu blasen, stellt Roth elektrische Kilowattstunden, die seine Familie und seine Wetterwarte verbraucht, am eigenen Haus aus Solarmodulen her. Sogar mehr: „Wir haben 140 %“, beton Roth. Doch: „Man kann weitaus mehr machen.“ So bewege er sich manchmal monatelang komplett ohne Auto vorwärts. Stattdessen nutzt er öffentliche Verkehrsmittel – und das Fahrrad. Sein entsprechendes Elektro-Vehikel lenkt er „nicht (nur) aus Klimaschutz- oder Umweltschutzgründen” von Schussenried aus bis nach Vorarlberg, „sondern weil’s mir Spaß macht”. Und als Leutkirchs Ausstellungsveranstalter und Radler Karl-Heinz Schweigert mit dem Vortragsredner nach getaner Arbeit in der „Kulturbrauerei“ im Alten Bahnhof noch ein Bier genießen möchte, sagt Roth: „Dann aber gleich – dann mein Zug fährt bald.” Viel Applaus an diesem Abend für den unterhaltsamen Mann, der seit Jahrzehnten „weg vom ökologischen Denken – hin zum ökologischen Handeln” geht.
Text / Fotos: Julian Aicher
Bissige Hinweise auf die Erdgeschichte. Jahrtausendalte Fischzähne – von Roland Roth bei seinem Vortrag dem Publikum präsentiert. Ein Fundstück aus Oberschwaben, über dessen Werden und Sein nachzudenken Roths Passion ist.
Roland Roth mit seinem Elektrofahrrad am 24. Mai in der Otl-Aicher-Realschule. Foto: Julian Aicher