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Theater-AG und Chor des HMG präsentieren gelungene Neubearbeitung von Kafkas Erzählung

„Die Verwandlung des Gregor Samsa – oder: Wo bleibt die Liebe?“



Foto: Michael Weinmann
Prokurist und  Schwestern rufen nach Gregor, endlich aufzustehen und zur Arbeit zu gehen.

Leutkirch – In weniger als 60 Minuten wurden die Fragen gestellt, die im Zentrum unseres Lebens stehen: Wer bin ich? Was macht mich als Menschen aus? Wie können wir es schaffen, miteinander zu leben, einander zu ertragen, zu respektieren und ja, zu lieben? Mit ihrer modernen Bearbeitung der 1912 erschienenen Erzählung „Die Verwandlung“ von Franz Kafka überzeugten die 60 Schülerinnen und Schüler von Chor und Theater-AG des Hans-Multscher-Gymnasiums an beiden Aufführungsabenden im voll besetzten Cubus ihr Publikum. Nicht nur durch große Spielfreude, sondern auch durch die Dringlichkeit, mit der sie die Botschaft des über 100 Jahre alten Textes vermittelten. Keine geringe Leistung, vor allem, wenn man bedenkt, dass die meisten der jungen Schauspieler aus den Klassenstufen 5 bis 7 kommen.

Familie Samsa beim Essen: das Schmatzen Gregors, das aus seinem Zimmer dringt, ekelt sie.   Bild: Michael Weinmann

„Mad world“ – „verrückte Welt“ lautet der Titel eines der fünf Lieder, die im Laufe der Aufführung vom Chor in berührender Intensität vorgetragen werden. Musiklehrerin Karoline Bohn hat mit ihren Sängerinnen gezielt Songs ausgesucht, die die Kernthemen der Erzählung aufgreifen – und auf überzeugende Weise vertiefen.

Gnadenloser Leistungsdruck

„Ver-rückt“ ist auch die Welt  des Unternehmersohns Gregor Samsa, der, um dem gnadenlosen Leistungsdruck zu entfliehen, eines morgens als Käfer verwandelt in seinem Bett erwacht. Er kann nicht mehr aufstehen, zur Arbeit gehen, die Familie ernähren, die Schulden des väterlichen Betriebs abbezahlen, wie er es jahrelang Tag für Tag getan hat. Gregor funktioniert nicht mehr.

Prokurist und Eltern machen Gregor Druck.  Bild: Michael Weinmann

Der tüchtige, brave Sohn wird plötzlich zum Ausgestoßenen und als vermeintlich wertlos abgestempelt: „Ich erkenne dich nicht wieder, Gregor“, stellt seine Schwester befremdet fest. „Du bist unser Sohn“, beteuert die Mutter, um im gleichen Atemzug zuzugeben: „Aber ich kann dich nicht ertragen, so wie du jetzt bist. Du sitzt da hinter dieser Tür, aber ich schaff es nicht, sie zu öffnen.“ Der zum Ungeheuer verwandelte Sohn und Bruder kann nicht mehr Teil der Familie sein. „Dass ausgerechnet uns das passieren muss!“, hadert der Vater wütend und erklärt voller Selbstmitleid: „Was werden die Leute über uns sagen!“

„Ich gehöre immer noch zu Euch!“

Während bei Kafka der verwandelte Gregor zuletzt von der Küchenhilfe als Unrat mit einem Besen entsorgt wird, hat sich die Theater-AG (Leitung: Thomas Moser, Stephanie Hämmerle, Silke Gammer, Maria Bertele) bewusst für einen positiven Schluss entschieden: In all seinem Unglück findet Gregor die Kraft aufzubegehren, er macht der Familie klar: „Ich gehöre immer noch zu euch, ich bin doch Gregor, euer Sohn und Bruder – auch wenn ich jetzt in einer anderen Gestalt lebe!“

Gregor behauptet seinen Platz in der Familie. Bild: Michael Weinmann

Neuer Schluss: Verwandlungs-Träume

Damit ist das Leitmotiv des Stücks gesetzt: Verwandlung wird nicht als etwas Negatives gedeutet, sondern jeder Einzelne darf sich verändern und entfalten, wie er möchte. Ohne dafür bestraft oder in eine Schublade gesteckt zu werden. Ihre „Verwandlungs-Träume“ verraten die jungen Sprecher in der getanzten Schluss-Szene (einstudiert von Sportlehrerin Nadine Wild): „Ein Vogel sein, das wär‘ toll, ganz frei sein und überall hinfliegen.“ – „Oder ein freies Pferd, ich würde so schnell laufen, dass es so aussieht, als könnte ich fliegen!“

Minimalistische Ausstattung – keine kitschigen Käfer

Ganz im Zeichen Kafkas wurden Bühnenbild, Kostüm und Requisite äußerst minimalistisch gestaltet. Untersagte der Autor seinem Verleger doch unter schlimmsten Androhungen, den in ein „ungeheures Ungeziefer“ verwandelten Gregor auf dem Umschlag der Erstausgabe bildlich darzustellen. Die ganz in Schwarz gekleideten Schauspieler brauchten nur wenige Accessoires (kreiert und geschneidert von Judit Eschwey), um ihre Botschaft zu transportieren.

Es gab also keine kitschigen Käfer auf der Bühne. Einzige Ausnahme: die sehr reduzierte Andeutung des Käfertiers bei den Gregor-Darstellern durch futuristisch anmutende, orangefarbene Fühler. Und eine Filmsequenz vor Beginn der Aufführung, die einen großen schwarzen Käfer zeigt, der, beharrlich und doch irgendwie vergeblich, krabbelnd seinen Weg sucht. (Idee und Ausführung von Kunstlehrerin Miriam Rieker).

Botschaft des Stücks ist aktueller denn je

Durch die moderne Bearbeitung wird der anspruchsvolle Stoff aus dem frühen 20. Jahrhundert auch für Jugendliche von heute greifbar. Gregor mutiert zum Käfer und verweigert sich damit dem Leistungsdruck der Gesellschaft. Auch in der Neubearbeitung wehren sich die jugendlichen Sprecher: „Ich verspüre oft Leistungsdruck!“ – „Druck, nicht aus der Rolle zu fallen!“ – „Druck in der Schule, Druck von meinen Eltern. Ich will das nicht mehr!“

Die Lieder des Chors geben dem Stück seine Farbe. Bild: Michael Weinmann

Insgesamt ergab die Kombination von Sprechtheater und Musik eine intensive Performance, die die Zuschauer erreichte und berührte. Songtexte wie dieser trafen mitten ins Herz: „Aber alles geht und jeder will perfekt sein. Sind wir denn nie schön genug? So wie wir sind, sind wir viel zu schnell zu müde oder blind.“

Der zum Außenseiter abgestempelte Gregor Samsa konfrontiert uns alle mit der entscheidenden Frage: „Wo bleibt die Liebe?“




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