Stromnetz-Fachleute nennen “eine ganz tolle Zahl”: 113 Prozent
Kißlegg – Mittwochabend, 15. Januar. Im Esther-Saal des Neuen Schlosses in Kißlegg trifft sich der Gemeinderat zu seiner ersten Sitzung 2025. Bis auf einen einzigen nehmen alle Ratsmitglieder daran teil. Erster Tagesordnungspunkt: Beteiligung der Gemeinde Kißlegg an der Netze-BW (EnBW) – und Situation der Elektro-Netze im Zwei-Schlösser-Ort.
Dabei nennt Martin Wirbel, “Regionalmanager Verteilnetz der Netze BW”, eine “ganz tolle Zahl”. Nämlich 113 %. Das heißt: Deutlich über 100 Prozent aller elektrischen Kilowattstunden, die in Kißlegg verbraucht werden, stammen aus Erneuerbare-Energien-Kraftwerken in Kißlegg.
Gerade dieses beeindruckende Ergebnis bedeutet andererseits: “Das Stromnetz muss ausgebaut werden.” Gesetzlich gelte die Forderung: “Weg von der Atomkraft.” Oder auch: “Weg von der zentralen Versorgung” hin zu “vielen kleinen dezentralen” Kraftwerken. Wie Sonnenstrom-Platten, Biogasanlagen, Wassertriebwerken … So Martin Wirbel. Dafür, dass das klappt, kümmern sich in Baden-Württemberg rund 5400 Beschäftigte der Netze BW. Darunter etwa 600 Auszubildende.
370 Kilometer Stromleitungen
Die NetzeBW unterhalte in dem Mehr-Seen-Ort ein 370 Kilometer langes Leitungsnetz. In dieses fließe der Strom aus Biogas-, Photovoltaik- und Wasserkraftanlagen. Dazu stellten diejenigen, die solche Kraftwerke in Kißlegg betreiben, Anträge zum Anschluss an die Netze BW. Da sei 2023 der Höhepunkt erreicht worden. Netze BW-Mann Martin Wirbel rät: “Stellen Sie sofort den Antrag”, wenn am eigenen Haus solch eine Anlage geplant werde. Dies bestätigt auch Gemeinderat Manuel Kimmerle (CDU) aus Immenried.
Netze BW-Mann Martin Wirbel erklärt zum Stromnetz im Raum Allgäu-Oberschwaben, es biete “höchste Sicherheit durch mehrfach redundante” Leitstellen. So etwa in Biberach, Baienfurt und Ravensburg. In Ravensburg arbeite “die sicherste in ganz Europa”. Wer wolle, könne sich bei den Netze BW in eine App eintragen. Diese melde Störungen per “push up”. Darüber hinaus kümmere sich die Netze BW auch um die Schönheit ihrer Umspannstationen. Diese würden teils bemalt. Dazu Bürgermeister Dieter Krattenmacher scherzhaft: “Wir haben ein paar aktive Sprayern. Die fragen nicht den Gemeinderat.”
Netze BW-Kommunalberater Alexander Schuch erläuterte, Gemeinden könnten sich über das Programm “ENBW vernetzt” an der NetzeBW beteiligen. So habe die EnBW 14 % ihrer Netze BW-Anteile an Gemeinden abgegeben. Mit Beteiligung-Krediten aus den Rathäusern an die Netze BW”. Das sei bei fünf Jahren Beteiligungszeit “rechtssicher abgesichert und flexibel”. Dabei erhielten die jeweiligen Orte Renditen von 4,38 %. Eine Zahl, die Kämmerer Roland Kant als beeindruckend einstuft. Alexander Schuch weist auf weitere Vorteile der Rathäuser durch solche Beteiligungen hin. Die jeweiligen Gemeinden könnten so mehr mitreden in Sachen Stromnetze. Für den Bereich des Landkreises Ravensburg vertrete Bürgermeister Oliver Spieß (Freie Wähler, Fronreute) die Region bei den NetzeBW.
“Biogasanlagen unverzichtbar”
CDU-Fraktionsvorsitzender Christoph Dürr: “Gut, wenn das Netz in öffentlichem Besitz ist.” Seine Kollegin, die Biogasanlagenbetreiberin Daniela Frick (CDU), berichtet: “Biogasanlagen fahren runter.” Dies sie durch politische Mängel der bisherigen Bundesgesetzgeber mit verursacht. Frick: “Wann sind sie wieder ausbaubar?” Dazu erläutert NetzeBW-Mann Martin Wirbel: “Wir dürfen unsere Netze nur ausbauen, wenn Anträge dafür vorliegen.” Entsprechende Erweiterungen und Verbesserungen erwarte er für die kommenden fünf Jahre. Wirbel: “Es werden auch neue Umspannwerke gebaut.” Wirbel ergänzt: “Die Biogasanlagen sind ganz wichtig – unverzichtbar.” Sie böten “dauerhaft” Strom. Auch nachts und bei Windschwäche. Auf die Frage von Daniela Frick nach der Ursache von schwankenden Preisen an der Strombörse spricht Martin Wirbel von “reiner Spekulation”. Zu Höchstpreisen wegen wenig Strom aus eigenen Kraftwerken sei es 2024 insgesamt 96 Stunden gekommen.
Der Gemeinderat beschloss einstimmig, dass sich Kißlegg mit 400.000 Euro an der Netze BW beteiligt.
Julian Aicher