Starker Besuch, viele Argumente
Kißlegg – Ragen ab 2027 drei 175 Meter hohe Windkraft-Türme aus dem Bremberger Wald? Bis zur Rotorspitze hätten die WKA eine Höhe von mehr als 260 Metern. Falls ja: Wieviel Strom entsteht dort voraussichtlich? Aber auch: Wie beeinflussen diese Bauten die Moore im genannten Forstgebiet? Und wie wirkt sich das auf die zwölf privaten Brunnen rund um den Bremberger Wald aus? Um solche und viele andere Fragen ging es am Mittwochabend, 17. April, in der Mensa Kisslegg. Dass sie rappelvoll war, zeigte das große Interesse der Bürgerschaft.
Fragen über Fragen. Selbst wenn sie fast drei Stunden Gesprächsstoff ergaben, stellte Bürgermeister Dieter Krattenmacher im Mittwochabend in der Kisslegger Mensa fest: „Einige Dinge weiß man einfach noch nicht.“ Die Gemeinde sammle allerdings weiter Anregungen und Fragen aus der Bürgerschaft – und suche nach Antworten darauf.
Dr. Matthias Pavel von Windkraf Uhl bei der Info-Veranstaltung in der Mensa. Foto: Julian Aicher
„Ermittlung von Suchräumen.“ Als einer der Fachleute auf der Bühne eröffnete Dr. Wolfgang Heine (Bild) die Sach-Debatte am Mittwochabend. Heine dient dem Regionalverband Bodensee-Oberschwaben als Direktor. „Räume suchen. Gebiete finden“, lautete sein Motto. Der Regionalverband tue dies gemäß Windenergie-an-Land-Gesetz der Bundesregierung. Und diese Vorschrift lege fest, dass in Bayern und Baden-Württemberg 1,8 % der Landesfläche für Windkraft-Türme ausgewiesen werden müsse. Deshalb die Untersuchungen des Regionalverbands – mit Hilfe vieler Informationsquellen. Zum Beispiel mit dem Windatlas Baden-Württemberg. Zunächst seien vom Regionalverband 11 % der Fläche der Landkreise Bodensee, Ravensburg und Sigmaringen ausgewählt worden. In einem nächsten Schritt würden insgesamt 2 % angestrebt. So habe der Regionalverband bisher 43 „Vorranggebiete Wind“ ausgemacht. Dazu gehöre der Bremberger Wald östlich von Kißlegg. Heine: „Die Fläche ist bedingt geeignet.“
Allerdings: Dies bedeute keinerlei Festlegung oder Genehmigung. Sollte die Windfirma den Antrag auf Genehmigung von drei Windkraft-Türmen dort beantragen, würden die Träger öffentlicher Belange (wie Gemeinden, Fachbehörden, Verbände) angehört. Das Landratsamt Ravensburg prüfe dann das Ganze. Verbandsdirektor Dr. Heine: „Es ist noch nichts entschieden.” Die Rechtslage ist aber eindeutig: Bei Vorliegen der Voraussetzungen wie Artenschutz, Immissionsschutz und Abstand hätten die Antragsteller aber einen Anspruch auf Genehmigung.
„Nichts, was dagegen spricht“
„Nichts, was dagegen spricht“, erkannte Dr. Matthias Pavel von der Windkraftfirma Uhl zum Bremberger Wald. Dort seien drei Windkraft-Türme mit 175 Meter Nabenhöhe (Gondel) denkbar. Pro Turm mit bis zu 15 Millionen Kilowattstunden Jahresertrag. Zum Vergleich: Eine Privatverson verbraucht in Deutschland rund 1500 Kilowattstunden Strom pro Jahr. Von nächsten Gebäuden der Umgebung würden diese drei Windkraft-Türme dann in Abständen zwischen 700 und 750 Metern entfernt stehen. Auf Wunsch der Anwohner habe die Windkraft-Firma Uhl die drei Standorte im Bremberger Wald „möglichst zusammengerückt”. Als „wesentlicher“ Punkt sei dabei „das Thema Moor”. Damit hätten sich 2023 „fast ein Jahr lang“ Gutacher befasst. Mehr noch: Ein zweijähriges „Gondelmonitoring“ müsse überprüfen, wie sich das Ganze auf Fledermäuse auswirken könne. Die Wirkungen der angestrebten drei Windkraft-Tüme im Bremberger Wald werde während des Genehmigungsverfahrens durch das Landratsamt Ravensburg genau geprüft. Die Fundamente der drei Windkraft-Riesen kämen nicht mehr als drei Meter tief – „so ähnlich, wie wenn Sie einen Keller bauen“. Zum Schall sei ein TÜV-Gutachten beauftragt. 45-Dezibel-Schallgrenze: „Die halten wir leicht ein.”
Dann ging Windkraft-Planer Dr. Matthias Pavel von der Firma Uhl noch auf allgemeine Bedenken gegen Windkraft ein. Zum Beispiel Schattenwurf aus den Windflügeln. Den dürfe es auf benachbarte Häuser „in einem Jahr maximal acht Stunden“ geben. Und zwar am Stück nie länger als 30 Minuten. Drohe der Schatten länger zu fallen, schalte die Automatik den Windrotor ab. Ein nächtliches Blinken sei von den drei Windkraft-Türmen nur „bedarfsgerecht“ zu erwarten: nur wenn ein Flugzeug einem der drei Windriesen näher als drei Kilometer komme.
„Weniger als der Abrieb von Schuhsohlen“
Derzeit werde viel über die „Erosion von Rotorblättern“ gesprochen. Also von Kunststoffteilchen, die sich den Flügeln entreißen – und dann zu Boden fallen. Dr. Matthias Pavel von der Windkraftfirma Uhl wies dabei auf eine Vermutung des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestags hin. Da es keine Untersuchungen zu dieser Frage gebe, habe besagter der Wissenschaftliche Dienst das Ganze “abgeschätzt”. Ergebnis. „Aller-aller-höchstens“ kämen so pro Jahr von allen rund 30.000 Windkraftanlagen in Deutschland 1395 Tonnen Kunststoffteilchen zusammen. Zum Vergleich: Der Abrieb von Autoreifen bringe pro Jahr 102.000 Tonnen Kunststoffteilchen in die Umwelt. Und selbst von Schuhsohlen würden pro Jahr 9000 Tonnen abgerieben: https://mailbusiness.ionos.de/appsuite/#!!&app=io.ox/mail&folder=default0/INBOX
Alles in allem „reden wir nicht von vor Sommer 2027″. Dann könnten sich die drei Windflügel über dem Bremberger Wald drehen. So Dr. Matthias Pavel von der Windkraftfirma Uhl. Und zwar dann ab 2027 mit Gewinn-Beteiligungsmöglichkeiten für die Kisslegger Bevölkerung. Auf jeden Fall aber mit 30.000 Euro pro Windkraft-Turm für die Rathauskasse.
Gift für das Moor
Gegenrede. Biobauer Herbert Krug aus Haslach betonte, dass „wir den Wald für ungeeignet halten”. Wir, das sind etwa 80 Leute von Pro Mensch und Natur Kisslegg. Sie halten „das Gebiet für drei Anlagen für ungeeignet“. Zum Beispiel, weil die Zuwegung „durch das Moor durch” führe. Also teils neue Routen, auf denen 600 LKW-Fuhren zu den geplanten Turm-Standorten fahren sollten. Windkraft-Planer Pavel hatte zuvor davon gesprochen, dass diese Transporte möglichst auf schon vorhandenen Wegen vorgesehen seien. Doch einer der Windriesen rage nur 50 Meter entfernt vom Moor aus dem Wald, führte Kritiker Krug aus. Das sei „Gift für das Moor“.
Kurzfilme
In anschließend auf der Bühnen-Leinwand gezeigten Kurzfilmen zeigte sich unter anderem Gemeinderatsmitglied Dr. Friedrich Rockhoff (CDU). Der Zweite Vorsitzende der Bürgerinitiative dezentrale Wasserversorgung Oberschwaben (BDW) nannte dabei „Moore die besten Wasserspeicher”. Sorge bereite der BDW, dass an den zwölf bewährt-privaten Brunnen nahe des Bremberger Walds bei Trockenphasen „die Menschen ohne Trinkwasser dastehen“. Außerdem seien solche Feuchtgebiete „für den Klimaschutz unheimlich wichtig”, erläuterte Uli Wieland von den „Moorprojekten in Bayern“ im Film.
Windkraft-Planer Dr. Matthias Pavel wies auf die vielen Gutachten zum Vorhaben im Bremberger Wald hin: „Es kann keine Situation eintreten, die das Moorgebiet gefährdet.” Dr. Wolfgang Heine vom Regionalverband Bodensee-Oberschwaben erklärte, „dass der Moorschutz gewährleistet ist“. Allerdings: „Es gibt von der LUBW” (also der Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg) „verschiedene Kartierungen“. Sprich: Der Regionalverband kennt womöglich noch gar nicht alle Feuchtgebiets-Standorte im Bremberger Wald. Aus dem Publikum meinte einer dazu: „Wenn Sie als Landwirt ‘was wollen, mit dem Sie das Landratsamt schikanieren kann, dann kennen die doch jedes Moorloch.“ Derweil bestätigte die Vertreterin des Landratsamtes, Frau Held, ihre Behörde werde alles sehr genau prüfen. Auch Direktor Heine zeigte sich offen für weitere Informationen zu den Mooren.
Unterschiedliche Äußerungen ließen sich auch zum Thema „Wildkorridor“ hören. Während Windkraft-Planer Pavel erklärte, dieser Wildtier-Wanderweg „stört sich an unseren Windtürmen nicht“, hielt jemand aus dem Publikum dagegen, diese Aussage sei „naiv“. Zu den Einwendungen gegen die drei geplanten Windkraftwerke meinte Windkraft-Vertreter Dr. Pavel: „Das Problem ist, dass irgendetwas behauptet wird – und dann gleich nach Studien gefragt wird, die diese Behauptung widerlegen.“ Rund 30.000 Windtürme in Deutschland zeigten doch eindeutig, dass Mensch, Natur und Windkraftnutzung miteinander möglich seien.
Gegen Schluss der Veranstaltung sprach ein Besucher Regionalverbands-Direktor Heine auf die „Super-Privilegierung” an. Heine führte dazu aus, zur Superprivilegierung könne es kommen, wenn der Regionalverband bis September 2025 keine 1,8 % Prozent der Verbandsfläche (also der Kreise RV, SIG und FN) für Windkraftgebiete an die Landesregierung in Stuttgart melden würde. Dabei sei Ziel des Regionalverbands, dass Windkraft „auf 98 % der Fläche nicht stattfindet“. Eine Superprivilegierung bedeute, dass Windkraftvorhaben auch auf anderen Grundstücken jenseits der jetzt vom Regionalverband abgegrenzten Vorranggebiete (Kißlegg Ost ist eines davon) beantragt werden könne. Freilich immer gemäß Gesetzen – wie etwa Naturschutzbestimmungen.
“Es ist jetzt spät geworden.” Bürgermeister Dieter Krattenmacher betonte kurz vor 23.00 Uhr zu der um 20.00 Uhr begonnenen Veranstaltungen: „Einige Dinge weiß man einfach noch nicht.” Wichtig sei: „Die genaue Prüfung, die kommt dann, wenn die Firma Uhl einen Genehmigungsantrag stellt.” Und „da werden wir als Gemeinde nochmal beteiligt.”
Julian Aicher