„Hinterher ist man immer schlauer“
Kißlegg – „Das Thema kommt nicht zu den Akten.” So Bürgermeister Dieter Krattenmacher am Mittwochabend, 12. Juni, in der Gemeinderatssitzung im Esther-Saal des Neuen Schlosses Kisslegg über das jüngste Hochwasser. Freie-Wähler-Fraktionsvorsitzender Detlef Radke ergänzte: „Die Katastrophe lehrt uns.“ Die Runde örtlicher Volksvertreterinnen und -vertreter befasste sich eingehend mit dem Fronleichnams-Hochwasser. Bürgermeister Krattenmacher zeigte sich dabei sicher, dass auch „der nächste Gemeinderat sich damit befassen“ werde. Großer Dank an die „Blaulichtamilie“ – vor allem die Feuerwehr. Selbst aus den Publikumsrängen erhielt sie lauten Applaus.
Dieses Haus in Immenried hat es hart getroffen.
Mit dem ersten Tagesordnungspunkt wollte Rathauschef Krattenmacher „aus der Sicht der Verwaltung ein paar Details klären”. Genannt “Werkstattbericht”. Bevor er sein Mikrofon einschaltete, zeigte Dieter Krattenmacher aber noch einen neuen Zwei-Minuten-Film des Kisslegger Kamerakönners Paddy Schmidt. Dessen laufende Bilder ließen die Überflutungen teils fast wie eine romantische Seenlandschaft erscheinen. Dann aber gleich der Bericht des Bürgermeisters. Er schilderte anhand von Bildern, „wie weit der Obersee über die Ufer ging“. Krattenmacher: „Der Bauhof hat hier sofort Wälle aufgeschüttet.” „Entlang der Kisslegger Ach und am Zeller See haben ganz, ganz Viele Wasser im Keller gehabt”, führte der Bürgermeister aus. Seine Folgerung daraus: „Die Bürgerinnen und Bürger müssen damit rechnen, dass die Kanäle volllaufen.” Dagegen würden Rückschlagklappen helfen.
Kläranlage gemäß heutiger Hochwasserpegel „nicht gesichert“
Das Hochwasser droht in die Kläranlage einzudringen.
Damit noch lange nicht genug war zu erkennen, wie an der Immenrieder Straße „Öl austritt”. Man habe dort „eine ungesicherte Stelle“ entdeckt. An der Kläranlage flossen die Fluten direkt rein. Der Rathauschef dazu: „Für die heutigen Ereignisse sind diese Dinge nicht gesichert.” Handlungsbedarf also ab jetzt. Konkret: „Wir müssen unsere Kläranlage eindämmen.” In Immenried „war eine kritische Situation”. Der Holzmühleweiher strömte über den Damm. Am Galgenbühl sei der Hang ins Rutschen gekommen. Alles in allem habe man „im Bebauungsplan das Thema Hochwasserschutz neu (zu) gewichten”.
Wie? Das erkennt Rathauschef Dieter Krattenmacher schon jetzt in Waltershofen. Dort sei das Umland des Sigrazhofener Bachs geflutet worden. Ursache: Er konnte nicht ablaufen. Er soll bald entsprechend vergrößert werden. Krattenmacher: „Dort sind jetzt alle Anlieger dazu bereit.” Außerdem habe man beim Hochwasser gelernt: „Wir hatten mit Abstand zu wenig Sandsäcke.” Nämlich 200. Künftig würden es 1000 werden. Gemeinderätin und Biogas-Bäuerin Daniela Frick (CDU) ergänzte, landwirtschaftliche Betriebe verfügten oft über solche Säcke. Da sei Informationsaustausch sinnvoll.
Daran scheint es beim jüngsten Hochwasser etwas gefehlt zu haben. „Die Information der Bevölkerung war nicht gut”, bekannte Bürgermeister Krattenmacher am Mittwochabend selbstkritisch. Zwei „Notfallpunkte” in der Turn- und Festhalle (Kisslegg Ort) und in der Oscar-Farny-Halle Walterhofen sollten helfen, es künftig besser zu machen. Andererseits müsse jede Bürgerin und jeder Bürger „Selbstversorgung vorbereiten”. Krattenmacher: „Statt der nächsten Urlaubsreise den Kauf von ein paar Pumpen planen.”
„Wir sollten an Gewässern keine Bebauungspläne genehmigen”
Die Untere Argen bei Kißlegg-Wengen drohte an der Brücke zu verklausen und wurde geräumt.
Der „Werkstattbericht” der Rathausverwaltung ging noch weiter. Schließlich umfasst der Einsatzbericht der “Blaulichtfamilie” zum Hochwasser in Kisslegg 300 Seiten. Zum Beispiel über angetrieben-angeschwemmtes Holz in der Argen. Ursache dafür sei „nicht der Biber“, sagte der Bürgermeister. Dieses Treibgut sei „an den Wehren hängen geblieben”. Folgerung: „Wir werden mit dem Naturschutz diskutieren müssen.” Und auch für den neu gewählten Gemeinderat werde sich Hochwasserschutz noch als Thema erweisen. Zum Beispiel dann, wenn rund 60 Haushalte, die von sich aus die Feuerwehr im Hilfe riefen, die Gebührenrechnung dafür bekommen werden. Krattenmacher: „Das kündigen Sie bitte schon jetzt ihrer Versicherung an.“ Andererseits betonte der Rathauschef am Mittwochabend, das Hochwasser habe gezeigt, „dass unsere Gemeinschaft auch funktioniert.”
Am besonders betroffenen Ach-Weg helfen sich Bürger.
Dr. Andreas Kolb, Fraktionsvorsitzender der Grün-offenen Liste (GOL), befürchtete, dass „das nicht zur Verbesserung beitragen” könne, „wenn die Südspange kommt”. Darauf antwortete Bürgermeister Krattenmacher, die Brücke werde dann neu gebaut – mit mehr Platz zum Durchfluss drunter. Dabei erwähnte der Rathauschef, die Hochwasser-Voraus-Simulation habe „sehr gut funktioniert.” Gemeinderätin Monika Dobler (SPD) sagte, das Ach-Ufer sei zu stark bepflanzt worden. Dazu Dieter Krattenmacher: „Da gibt’s sicher noch spannende Diskussionen.” Oder: „Es reicht, wenn einer nicht mittut.” Und: „Hinterher ist man immer schlauer.” Freie-Wähler-Faktionschef Radke forderte: „Wir sollten an Gewässern keine Bebauungspläne genehmigen.” Genauer und vor Ort: „Eine Tiefgarage am Zellersee – die säuft ab.” Zufrieden zeigte sich Detlef Radke dann darüber, dass am Löhleweg keine Tiny-House-Siedlung entstanden sei. Hubert Braun (GOL) stellte fest: „Wir reden nicht vom Jahrhunderthochwasser, wenn’s alle Jahre kommt.” Künftige Fluten könnten womöglich noch heftiger in Kisslegg fließen. „Mit jedem überbauten Grundstück wird die Kanalisation überlastet.” Und im Schlosspark, „da müssen wir die Senken wegmachen”. CDU-Gemeinderätin Daniela Frick fragte nach einem generellen Hochwasserschutzplan. Sie äußerte dabei auch Zweifel an der Renaturierung. Es sei „nachzufragen, wie das Wasser schneller ablaufen kann.” Da bremste Bürgermeister Dieter Krattenmacher: „Es gibt halt welche weiter unten.” In Baienfurt sei zum Beispiel schon mal überlegt worden, „wie man das Wasser der Wolfegger Ach zurückhalten kann”.
Zum „Werkstattbericht“ übers jüngste Hochwasser stellte Bürgermeister Dieter Krattenmacher der Bildschirmzeitung freundlicherweise die hier veröffentlichten Bilder zur Verfügung.
Julian Aicher
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