Ein Streifzug durch fast alle Aspekte der gegenwärtigen Kißlegger Kommunalpolitik
Kißlegg – Kißlegg künftig? Freitagabend, 26. April – kurz nach 19.00 Uhr in der Mensa Kißlegg. Bürgermeister Dieter Krattenmacher erläutert vor vollem Saal vieles zur Gegenwart und vor allem zur Zukunft der Mehr-Seen-Gemeinde. Viele Aufgaben – auch schwere. Aber: Sie lassen sich bewältigen, ermutigt Krattenmacher.
„Ich möchte ein bisschen zeigen, wo’s hingeht”, sagt Dieter Krattenmacher in seinen ersten Redeminuten. Zum Beispiel auf – oder über – 10.000 Einwohnerinnen und Einwohner. Bisher seien es 9560. Die Bertelsmann-Stiftung habe für‘s Jahr 2040 insgesamt eine 10.140-köpfige Bevölkerung Kissleggs vorausberechnet.
Der Anteil der ausländischen Kinder in Kißleggs Kindergärten: ein Drittel
Zum einen stellt Krattenmacher fest, dass „wir alle ein bisschen älter werden“. Dazu geselle sich aber auch ein Zuwachs „aus anderen Regionen“. Zum Beispiel aus Osteuropa. Die größte Gruppe der von dort nach Kisslegg Gekommenen stamme aus der Ukraine (132 Leute), die zweite aus Rumänien (87 Personen). Ein Drittel der Buben und Mädchen in Kindergärten zählen zum Ausländeranteil Kissleggs. Und der habe sich insgesamt seit 2005 hier von drei bis vier Prozent auf etwa 10 % erweitert. Krattenmacher zum Publikum: „Sie alle sehen so überrascht aus, weil sie’s vielleicht gar nicht gemerkt haben.“
„Zuwanderung ein Dauerthema“
Nach Kisslegg gekommen seien Familien von Montagearbeitern, denen es hier gefalle. Mit danach folgenden Angehörigen. Kurz: wichtige Arbeitskräfte. Dann auch Flüchtlinge. Zum Beispiel vor Kriegen Geflohene, „die nichts mehr haben”. Deshalb geht Rathauschef Krattenmacher davon aus, dass Zuwanderung „ein Dauerthema bleiben wird“.
Zwar leben heute in dem Zwei-Schlösser-Ort 600 Personen, die über 80 Jahre alt sind. Und zwar mit vergleichsweise hervorragender haus- und fachärztlicher Betreuung. Aber insgesamt stehe Kisslegg als eine „relativ junge Gemeinde” da. Auch und gerade wegen der Zugezogenen – und ihren Familien. Der Bürgermeister erklärt: „Wenn wir keine Zuwanderung hätten, dann würde bei uns höchstwahrscheinlich die Zahl der Betriebe und öffentlichen Einrichtungen so nicht bestehen können.“ Andererseits bringe das auch „spannende“ Herausforderungen mit sich. Mit 16 Wohngebäuden für Flüchtlinge. „2014 waren es fünf.“ Umso schöner, dass zwei Drittel der Geflohenen in Privathäusern untergekommen seien.
Wohnraum schaffen
Wohnplätze für alle. Ihn zu schaffen – darin sieht Bürgermeister Dieter Krattenmacher eine große Herausforderung. Denn „neuer Wohnraum – der ist einfach zu teuer.“ In diesem Zusammenhang suchte der Rathauschef große Aufmerksamkeit bei seinem Mensa-Publikum für ein wachsendes Problem: Obdachlosigkeit. Was noch 2014 als „absolute Ausnahme“ gegolten habe, könne heute jeden treffen. Ohne offiziell festen Wohnsitze leben demnach in Kisslegg „Menschen, die Sie alle kennen“. Manche durch Schicksalsschläge in diese Situation geraten. Dazu gehören etwa Alleinerziehende.
Zu finden seien daher Antworten auf die Frage: „Wie bekommen wir’s hin, dass die Eigentumsquote steigt?” Andererseits sei es „kein Kavalierdelikt“, Häuser leerstehen zu lassen. Allein an seinem Wohnort Immenried kenne er zehn solcher Gebäude. Waltershofen habe dagegen schon viel mehr erreicht.
„Die Welt hat sich verändert”, sagt Krattenmacher. Leider auch erkennbar an Schaufenster leerstehender Läden. „Die Tante-Emma-Läden, die werden nicht mehr kommen. Es sei denn, Sie machen einen auf – und betreiben ihn.” Allerdings planten (Fach-)Märkte, sich in Kisslegg an zu siedeln. Voraussichtlich bis Weihnachten 2025. Am eigenen Ort einzukaufen, dafür warb Dieter Krattenmacher eindringlich. Mehr Einkäufe zögen nämlich mehr Geschäfte nach sich. Größere Auswahl vor Ort.
Die zuhörende Kisslegger Bürgerschaft bat Bürgermeister Krattenmacher am letzten Freitagabend in der Mensa, trotz alledem nicht zu jammern. Das bringe letztlich gar nichts. Beispiel: Gaststätten. Er höre immer wieder, in der Zwei-Schlösser-Gemeinde gäbe es zu wenig Speiselokale. Neulich sei er mit seiner Frau in solch einer Schenke gesessen. Insgesamt nur fünf Gäste. Ein Koch, eine Bedienung, die am Sonntagabend noch für Gastlichkeit sorgen, könnten durchaus mit den Worten gelobt werden: „Danke, dass Sie heute Abend hier noch arbeiten.”
Bürgerzentrum in der Ortsmitte
Eins der einstigen Lokale, die Kisslegs Innerortsbild prägen: der „Löwen“. Im Erdgeschoss soll dort wieder Gastlichkeit wirken. Im Obergeschoss sind sechs Wohnungen „für unverschuldet in Not gekommene Bürgerinnen und Bürger” geplant. Und zwar, „damit sie sozial integriert bleiben”. Deren Miete könnten sie teils durch eigene Arbeit einbringen. Etwa Parkpflege. Der Umbau des Ganzen koste rund vier Millionen Euro – davon die Hälfte Zuschuss von außen. Damit lasse sich der „Löwen“ zu einem Bürgerzentrum in der Ortsmitte entwickeln.
Ähnliche Bedeutung wie der „Löwen“ bekomme das DRK-Heim. Samt „Fairteiler” dort. Beachtlich, „wie sehr gefragt dieses Angebot dort ist”.
Lob für das „neue“ Bärenweiler
Freude drückte Bürgermeister Krattenmacher darüber aus, dass das Pflegeheim bereitstehe. Mit 60 Pflegeplätzen. „Wie oft haben wir gehofft, dass das klappt.” Eine „unsinnige“ Heimbauverordnung habe dagegen die Altersruhestätte Bärenweiler in die Knie gezwungen. Jahrhunderte zuvor sei das dort möglich gewesen. Umso größer Krattenmachers Lob für den “offenen Treff” mit erneuerten Pflegunterkünften in Bärenweiler. Ab Mai entstehe dort ein Parkplatz. Dieter Krattenmacher dankte dabei besonders dem Bau-Entwickler und Neueigentümer Christian Skrodzki: „Ein großes Geschenk“ an die Mehr-Seen-Gemeinde.
„Damit dort wieder Licht brennt“
Da “wir alle alte Häuser lieben – aber fast niemand drin wohnen möchte”, betrachtet der Bürgermeister manchmal auch einen Gebäude-Abbruch als sinnvoll. Damit „da auch Licht brennt“ werde, deshalb der „Adler“-Bau abgerissen. Das neue Haus dort biete dann „dreißig bis fünfzig Leuten eine Wohnung“. Das belebe den Ortskern.
An die zehn solcher Vorhaben benannte Rathauschef Krattenmacher am Freitagabend. Vom Spritzenhaus bis zur Sanierung des Pfarrhauses. Und zwar so umfassend, dass dort in absehbarer Zukunft „das katholische Landratsamt“ auf den gesamten Landkreis wirken könne. Insgesamt sei für Kisslegg „die spannende Frage”, ob es gelinge, vor allem im Ortskern so viel Wohnraum zu schaffen, dass künftig 10.000 Personen in der Gemeinde leben.
Unverzichtbar für die Lebensqualität in Kißlegg ist der Schlosspark. In ihm werde man künftig Bäume „nicht weiter umsägen”. Krattenmacher: „Sie können sich nicht vorstellen, wie unheimlich bürokratisch diese Verfahren sind.“ So habe Kisslegg zwar 750.000 Euro Zuschuss aus der Bundeskasse erhalten, aber der Verwaltungsaufwand dafür bedeute im Endergebnis: „Einen Baum pflanzen kostet zwischen 3000 und 5000 Euro.”
Rekord: 80.000 Übernachtungen
Zwei Schlösser – ein Schlosspark. Und noch vieles mehr. Offenbar lockt das Gäste nach Kisslegg. „Noch nie haben so viele Leute hier übernachtet“, berichtet Krattenmacher. 80.000 Übernachtungen. Das habe Kisslegg vor allem den drei Hotels zu verdanken. „Großer Dank auch an alle, die Zimmer vermietet haben.“ Denn: Gäste bringen Geld.
Ohne die DLRG wäre das Strandbad zu
Da liegt es nahe, dass der Bürgermeister auch die „wichtigste Freizeiteinrichtung“ der Mehr-Seen-Gemeinde erwähnt. Nämlich ihr Strandbad. Krattenmacher lobt: „Die Wasserqualität im Obersee war 2022 so gut wie seit Jahrzehnten nicht mehr.” Das veraltete Badebecken zu erneuern, dürfte allerdings drei Millionen Euro kosten. Noch größeres Problem: Fehlende fachliche Badebetreuung. „Ohne die DLRG gäb’s schon lang keine Öffnung mehr”, versichert Krattenmacher. In Deutschland würden derzeit Tausende Bademeisterinnen und Bademeister gesucht.
Dringend gesucht: ein Elektriker
Also Leute, die auch am Wochenende arbeiten. „Da brauchen wir Ihre Unterstützung”, betont Krattenmacher. Und zwar mit dem mehrmals geäußerten Zusatz: „Einen Elektriker brauchen wir auch.”
Wohnbebauung am OMIRA-Standort
Das Strandbad liegt – bei richtig angelegten Wegen – nicht weit vom einstigen OMIRA-Gelände. Das ehemalige Milchverarbeitsgebäude kommt weg, sagt Dieter Krattenmacher. Platz unter anderem für Wohnungen.
Bahnunterführung kommt in Sicht
Schöne Aussichten: Wenn für 40 bis 50 Millionen Euro die Gleise samt Bahnhof saniert und erweitert worden sind, können dort „die Verspätungen aufhören”. Eines der Zusatz-Geleise soll Platz schaffen, damit die Züge sich nicht mehr hintereinander im Weg stehen. Da diese Bahnhof-Sanierung notwendig sei, ließen sich auch die damit verbundenen weiteren Bauten in absehbarer Zeit ausführen. Stichwort: Bahnunterführung.
Wenn dann die Gemeinde in der Schloss- und Herrenstraße das Sagen hat …
Eine ähnlich große Aufgabe: die Umgehungsstraßen. Besonders die „Südspange“. Und die Ostumfahrung. Über allerhand Tauschverhandlungen sollen der Gemeinde Kisslegg selbst die ortsinneren Verbindungsachsen Herren- und Schlossstraße gehören. Sprich: Die Gemeinde Kisslegg kann dort auch die Verkehrsregelungen beeinflussen. Stichwort: weniger LKW-Verkehr dort.
Herkulesaufgabe Beritbandausbau
„Eine Geschichte, die mir große Sorgen bereitet”, sieht Bürgermeister Dieter Krattenmacher derweil im Breitbandausbau. In rund fünf Jahren soll er in Kisslegg insgesamt 50 Millionen Euro kosten (weitgehend Bundesmittel). So etwas habe vor Jahren noch ein Unternehmen wie die Telekom bewältigt. Heute sei die Gemeinde mit solch einer Herkulesaufgabe belastet. Ziel: Bis zu 1000 MBit pro Anschluss.
Ähnlich die Kraftanstrengungen, die Kisslegg in Sachen “Ganztagsbetreuung” aufgewandt habe. Luden dort im Jahre 2005 insgesamt 13 Kindergärten Buben und Mädchen ein, so seien es inzwischen 29. Dass 120 Erzieherinnen (und ein Erzieher) in Kisslegg arbeiten, sei mit ein Grund dafür, dass heute etwa 200 Personen im Dienst des Rathauses stehen. Dennoch: Krattenmacher will Bewährtes voranbringen. So gelte: „Wir arbeiten mit St. Anna weiter.“ Personal-Kosten der Rathaus-Beschäftigten insgesamt: circa 10 Millionen Euro pro Jahr.
Krattenmacher zeigt sich in Sachen IKOWA optimistisch
Geld. Das alles lasse sich freilich nur bezahlen, wenn starke Firmen in der Zwei-Schlösser-Gemeinde auch künftig ordentlich Steuern aufbringen. Da zeigte sich Dieter Krattenmacher am vergangenen Freitag „seit einigen Tagen zuversichtlich”. Das Gewerbegebiet IKOWA könne voraussichtlich doch entstehen. (Die Bildschirmzeitung brichtete dazu bereits.)
Handel und Gewerbe. Beides zu fördern, bedeutet für Bürgermeister Dieter Krattenmacher nicht, Natur- und Umweltschutz zu vernachlässigen. Ein Viertel der Kisslegger Flächen seien Moore. Und diese zu schützen, werde verstärkt gefordert. Auch des Klimaschutzes wegen. Andererseits bedeute der zu erwartende Moorschutz ein Drittel weniger landwirtschaftlichen Grund und Boden.
„Heute Abend keine Lösung”
Vom Moor zur Windkraft: Krattenmacher sieht „die Freude über die Windkraft in Kisslegg gebremst”. Allerdings gibt der Rathaus-Chef zu bedenken: „Ein Teil des Wohlstands ist immer auch daher gekommen, dass wir günstige Energie haben.” Und: „Es ist schon klug, wenn wir überlegen, wo wir den Strom herbekommen.“ Ein bis zwei der geplanten Windtürme könnten so viele elektrische Kilowattstunden erzeugen, wie Kisslegg verbrauche. „Sie bekommen heute Abend keine Lösung zu dem Thema“, erklärt Krattenmacher.
Das 1200-Jahr-Jubiläum
Festgezurrt seien dagegen schon die Pläne für die Feiern zu „1200 Jahre Kisslegg“. So das Kreisverbandsmusikfest Waltershofen und die Mittelaltertage.
„Wählen gehen“
Nicht vergessen sollten die Bürgerinnen und Bürger die Wahlen, die am 9. Juni anstehen: Europaparlament, Kreistag und Gemeinderat.
Ehrungen
„Sie haben es jetzt geschafft”, sagte Krattenmacher um 20.07 Uhr zu seinem Publikum in der rappelvollen Mensa. Dann allerdings gab es noch einen feierlichen Tagesordnungspunkt: die Ehrung mehrerer Gemeinde- und Ortschaftsräte. Einige für zehn Jahre, andere für zwanzig Jahre Mitarbeit im Gemeinderat. Und einen für 40 Jahre Zugehörigkeit dort: Detlef Radke. Sowie einen vormaligen Feuerwehrkommandanten. Bürgermeister Krattenmacher lobte sie alle fürs „Hinstehen auch für Dinge, die unpopulär sind”. Auf die Ehrungen geht die Bildschirmzeitungen in einem Extra-Bericht ein.
Julian Aicher
Unter Download finden Sie die Präsentation des Bürgermeisters mit vielen interessanten Folien