Die “Praxis Kißlegg” wartet mit einem breiten medizinischen Fachwissen auf
Kißlegg – Die Zukunft der medizinischen Versorgung auf dem Land steht vor großen Herausforderungen, da viele Hausarztpraxen keine Nachfolger finden und eine beträchtliche Anzahl der noch praktizierenden Ärzte in den kommenden Jahren in den Ruhestand gehen wird.
Angesichts dieser Situation besuchten Raimund Haser, Mitglied des Landtags (MdL), begleitet von Bürgermeister Dieter Krattenmacher, kürzlich “Die Praxis” in der Emmelhofer Straße von Kißlegg. Dort führten sie ein Gespräch mit dem Praxisinhaber Dr. Boris Del Bagno über den Start, eine erste Zwischenbilanz und die mögliche Modellhaftigkeit des „Kißlegger Praxismodells“ für andere ländliche Gemeinden in Baden-Württemberg zur Sicherstellung der künftigen medizinischen Versorgung.
Im Rückblick auf das Frühjahr 2020 offenbart sich die Dringlichkeit der Situation: Deutschland befand sich im ersten Lockdown, während Kißlegg die erste Coronawelle vergleichsweise glimpflich überstanden hatte. Dennoch wuchsen im Rathaus und im Gemeinderat die Sorgen über die zukünftige medizinische Versorgung, da bereits vier von fünf Allgemeinärzten über 60 Jahre alt waren. Die Bemühungen, Nachfolger für die Hausarztpraxen zu finden, waren bisher erfolglos, was auf die schwierigen Rahmenbedingungen und ein Berufsbild im Wandel hinweist. Insbesondere die Veränderungen in der Ärzteschaft, wie der zunehmende Anteil an Frauen in der Medizin sowie die Herausforderungen bezüglich Zeit- und finanziellen Aufwands, stellen hier überall im Land die Suche nach NachfolgerInnen für Hausarztpraxen vor große Schwierigkeiten.
Was also tun im Flecken?
Einige Patienten wurden unruhig und wagten die Flucht nach vorne. Sie suchten sich eine neue Praxis und klopften im benachbarten Wolfegg bei der Praxis von Dr. Del Bagno an. Der Wolfegger Arzt wunderte sich und fragte bei seinen Kißlegger Kollegen nach. Schon bald gab es erste Gespräche und die Idee wurde geboren, eine große Zweigpraxis mit modernen Arbeitszeitmodellen einzurichten. Der bürokratische Aufwand zur Bildung einer solchen Praxis, wie es sie bisher kaum gibt, war zunächst enorm. Die zuständige Kassenärztliche Vereinigung (KV) hatte keine Patentlösung parat und war im Betreten neuen Terrains noch sehr unsicher. Dennoch konnten mit viel Beharrlichkeit seitens Dr. Del Bagno nach und nach alle Hürden aus dem Weg geräumt werden. Entscheidend war auch die Zusage der Gemeinde, die Praxis zu unterstützen und die Räumlichkeiten der ehemaligen Praxisgemeinschaft zu sanieren.
Schließlich war es so weit: Die Praxis Kißlegg eröffnete Mitte Juli 2023 ihre frisch renovierten Pforten. Der Plan, mit modernen Arbeitszeitmodellen motivierte Ärztinnen zu gewinnen ging voll auf, sodass mittlerweile fünf Ärztinnen für eine Mitarbeit gewonnen werden konnten, die auch ein weit über die Allgemeinmedizin hinausreichendes fachliches Spektrum abdecken und Erfahrungen in Pädiatrie, Chirurgie, Palliativmedizin sowie Chirotherapie mitbringen. Daneben bereichern und unterstützen die ehemaligen Praxisinhaber als angestellte Ärzte das junge Team.
Bürgermeister Dieter Krattenmacher zeigt sich erleichtert über die Schaffung einer weiteren Praxis in Kißlegg, die mit einem breiten medizinischen Fachwissen aufwartet. Das Gespräch zwischen Raimund Haser, Dr. Boris Del Bagno und Bürgermeister Dieter Krattenmacher verdeutlichte die aktuellen gesundheitspolitischen Herausforderungen und dass mit entschlossenem Handeln auf lokaler Ebene und neuen Strukturen dem Ärzteschwund durchaus Einhalt geboten werden kann. Dennoch fehlt es an Strukturen und Modellen in der Breite, die der demographischen Entwicklung Rechnung tragen. Um diesen Mangel zu beheben, müssen Politik und Ärzteschaft weiter im engen Austausch an Lösungen arbeiten.