Unter großem Wehklagen wurde die Fasnet 2024 den Fluten des Schlossbaches übergeben
Bad Waldsee – Schaurig klagend heult die Posaune ihr „Oh jerum“ in die sternenklare Nacht. Nur ein einziger Trommler schlägt den Takt dazu. „Sind’r au scho im Bäre dinne gwäe“, erklingt des Fasnetpfarrers Stimme mit einem herzzerreißenden Tremolo. „Iberall, bloß do noit“, antwortet die Trauergemeinde. Unser Reporter Erwin Linder hat das Leid der Trauernden geteilt; er, ein Ur-Waldseer, weiß nur zu gut um den Schmerz des Verlustes.
Eingehüllt in schwarze Trauergewänder, angetan mit langen, weißen Schürzen, hie und da eine Fackel in der Hand, zieht der Trauerzug durch die Stadt. Und mitten drin die beiden Leichenträger, die auf einer Leiterbahre die ach so früh verstorbene, noch mittags quicklebendige personifizierte Fasnet tragen. „Oh jerum, oh jerum, die Fasnet hot a Loch“.
Es soll der älteste Fasnetsbrauch in Waldsee und auch schon öfters von der Obrigkeit verboten worden sein, schreibt die Narrenzunft auf ihrer Website. Man kann sich das gut vorstellen, ziehen die Narren doch viele kirchliche Bräuche beim Leichenbegängnis ordentlich durch den Kakao.
Um den Narrenbaum auf der Hochstatt lodert schon ein Feuer. Schrättele scharen sich darum. Lassen sich auf der blanken Erde nieder, als der Trauerzug die Hochstatt erreicht.
Mit belegter Stimme hält Zunftrat Klaus-Ferdinand Rembold die Trauerrede. Ein Rückblick, wie die Fasnet war und wie es nie mehr sein wird. Die Schrättele werfen unter lautem Wehgeheul ihre Reisigbesen ins Feuer. Hell springt die Lohe am Narrenbaum empor. Funken fliegen durch die Nacht.
Die Posaune nimmt ihr Klagen wieder auf. Die Trommel schlägt den Takt dazu. „Sind’r au scho in d‘r Rose dinne gwäa?“ Auch Wirtschaften, die schon längst nicht mehr existieren, werden in der Litanei des Fasnet-Pfarrers besungen. Eine schöne „Wirtschaftskunde“ für junge und neue Waldseer.
So erreicht der Zug unter lautem Wehklagen die Brücke über den Schlossbach. Noch bis in die 1960er-Jahre war es zum großen Verdruss des im gegenüberliegenden Hause wohnhaften Stadtpfarrers, wenn der Fasnetpfarrer seine Trauerlitanei abhielt. „Karo-Sechser“ „Nix für uns“. Und so weiter und so fort. Seit einigen Jahren mimt Franzl Daiber den Pfarr’. Mit großem schelmischem Ernst. Nach seinem Lamento wird die arme verblichene Fasnet in den Fluten des Schlossbaches versenkt. Die Trauergemeinde zerstreut sich in die Wirtshäuser der Stadt, so geöffnet.
Um 24.00 Uhr läutet das Arme-Sünder-Glöcklein am Kornhaus zum letzten Mal und die schöne, heftige, bunte, friedfertige, feucht-fröhliche Fasnet 2024 ist unwiderruflich vorbei.
Am Mittwochmorgen sieht man „reachta“ Narren mit dem Aschenkreuz auf der Stirne Buße tun.
Text und Fotos: Erwin Linder
Fotos vom Leichenzug in unserer Galerie