Und dann ging das Zählen los

Bad Waldsee – Dreht der Haistergau bald durch? Zumindest, wenn man den Flyern und Großtransparenten der neu gegründeten „Bürgerrunde Haistergau“ glauben darf. Um den allenthalben ins Kraut schießenden Gerüchten Fakten entgegenzustellen, veranstaltete die Stadt am Montag, 17. März, eine Einwohnerversammlung in der Stadthalle zum Thema Windenergie auf der Gemarkung Bad Waldsee. Anwesend waren alle Akteure: Die Stadtverwaltung, der Regionalverband, das Landratsamt, die WKA-Projektierer, die Bürgerrunde. Nichts zu sehen war von den Grundstückseigentümern, auf deren Flächen die WKA entstehen sollen.
Die Stadthalle war rappelvoll. Nicht alle, die gekommen waren, konnten einen Sitzplatz ergattern und mussten sich deshalb mit Stehplätzen an den Eingangstüren zum Saal begnügen. Die Stimmung war von Anfang an gespannt und man hatte das Gefühl, dass die Besucher nicht positiv zur Windkraft eingestellt waren.

Das Moderatoren-Duo.
Die Einwohnerversammlung wurde moderiert von Claudia Bollig und Dr. Wolfram Dreier vom Steinbeis-Transferzentrum. Die erfahrenen Moderatoren sorgten mit der klaren Gliederung des Abends für einen glatten und sachlichen Verlauf der Veranstaltung. Von Anfang an war klar, dass an diesem Abend jeder zu Wort kommen würde, der einen sachlichen Beitrag leisten wollte, und als Bad Waldseer Bürger auch von genau den WKA, die auf der Gemarkung der Großen Kreisstadt errichtet werden sollen, betroffen ist.

Oberbürgermeister Matthias Henne am 17. März bei der Einwohnerversammlung.
Der Appell des Oberbürgermeisters
OB Matthias Henne begrüßte die Gäste, unter ihnen auch MdL Petra Krebs von den Grünen. Er sprach die Sorgen und den Ärger der Anwohner an, weil es einfach zu den Projekten zu wenig Informationen gebe. An die Projektierer und Grundstückseigentümer richtete er den dringenden Appell, weniger Windräder zu bauen. Er bezeichnete in seiner kämpferischen Rede die Energie-Wende auch für die Große Kreisstadt als wichtiges Projekt. Trotzdem könne nicht die ganze Last auf den Schultern weniger abgeladen werden. Der OB verwies auf die Stellungnahme zur ersten Planung des Regionalverbandes, mit dem die Stadtverwaltung in Abstimmung mit dem Gemeinderat eine deutliche Reduzierung der für Windkraft und Photovoltaik vorgesehenen Flächen forderte und auch erreichte. Die Einwohner hätten ein Recht darauf zu erfahren, was geplant ist und worauf sie sich einstellen müssen, betonte der OB.

Regionalverbandsdirektor Dr. Wolfgang Heine am 17. März bei der Einwohnerversammlung.
Für den Regionalverband Bodensee Oberschwaben nahm der Verbandsdirektor Dr. Wolfgang Heine als nächster das Wort. In einem ruhigen und sachlichen Vortrag machte er den Planungsprozess des Regionalverbandes, der aus den Landkreisen Ravensburg, Sigmaringen und Bodenseekreis besteht, transparent. Anhand zweier Statistiken zeigte er Anteile und Ziele der Erneuerbaren Energien am Energieverbrauch auf und die daraus abgeleiteten Ausbauziele Windenergie. Bis 2030 sollte der Strom zu 80 %, die Gebäudewärme zu etwa 45 % und der Energiebedarf für den Verkehr zu 25 % mit erneuerbaren Energien erzeugt beziehungsweise gedeckt werden. Die Stromerzeugung ist hierbei auf gutem Wege, die Sektoren Gebäude und Verkehr sind noch weit von ihren Zielen entfernt.

Um die Ziele der Energiewende zu erreichen, sollten ab 2027 jährliche Neuinstallationen von 700 MW pro Jahr erreicht werden. Das bedeutet jährlich 100 bis 120 zusätzliche Windkraftanlagen. Für 2023 war das Ziel 300 MW Neuinstallation, erreicht wurden ca. 60 MW.
Verbandsdirektor Dr. Heine verwies auf gesetzliche Vorgaben
Die Grundlagen für den Ausbau bilden das Gesetz für den Ausbau erneuerbarer Energien (EEG) und das Wind-an-Land Gesetz des Bundes sowie das Klimaschutz- und Klimawandelanpassungsgesetz des Landes Baden-Württemberg. Im letzteren sind die Flächenziele für die Regionalpläne festgesetzt: 2 % Regionsfläche sichern für 1,8 % Wind und 0,2 % Freiflächen-Photovoltaik. Werden die Flächenziele erreicht, ist die Errichtung von Windanlagen außerhalb der Vorranggebiete praktisch nicht mehr möglich, wenn nicht, können Windkraftanlagen praktisch überall errichtet werden.
Im Anschluss zeigte Heine an verschiedenen Plänen auf, wie der Regionalverband die Planungen immer weiter verfeinert und bis ins Detail ausgearbeitet hat. Die Vorranggebiete wurden immer kleiner, die Planung ging bis ins Detail. Übrig blieben zum Beispiel jetzt die ausgewiesenen Flächen auf der Gemarkung Bad Waldsee (im Bereich Haisterkirch, Mittelurbach und Michelwinnaden).
Als unbeteiligter Zuschauer konnte man die Planung gut nachvollziehen. Der Regionalverband hat es sich nicht leicht gemacht. Da wurde der Windatlas angeschaut. Flächen mit zuwenig Windhöffigkeit aussortiert. Blieben noch 77 % der Fläche übrig. Wo gibt es Konflikte mit Siedlung, Infrastruktur und Freiraum? Dann bleiben noch 11 % der Fläche übrig.
Weitere Suchkriterien wurden angelegt. Von der Windleistung über den Artenschutz bis zu FHH-Gebieten. Übrig blieben 1,9 %. Darunter fallen eben auch die Gebiete auf der Gemarkung Bad Waldsee. Auf Waldseer Gemarkung gelten 464 Hektar als Vorranggebiet Wind. Damit liegt Bad Waldsee rein nach Fläche auf Rang vier im Regionalverband (unter 87 Städten und Gemeinden). Bezogen auf seine Gemarkungsfläche liegt Bad Waldsee mit 4,27 % für Windkraft-Vorrangflächen auf Rang 17 (von 87).

Peter Neisecke vom Landratsamt (das Landratsamt ist die Genehmigungsbehörde bei Windkraftanlagen).

Peter Neisecke vom Landratsamt gab einen Überblick der Genehmigungsverfahren. Das Fazit ist schnell gezogen. Sind die gesetzlichen Vorschriften eingehalten, muss eine Genehmigung erteilt werden. Beantragt der Projektierer eine Genehmigung für weniger als 20 WKA an einem Standort, kommt ein verkürztes Genehmigungsverfahren zur Anwendung. Über 20 Anlagen bedarf weiterer Voraussetzungen. Die Kommune, auf deren Gemarkung die WKA errichtet werden, wird gehört, hat aber keinen weiteren Einfluss auf das Genehmigungsverfahren.

Alexander Meyer von der Bürgerrunde Haistergau.

Christian Fitz (Bürgerrunde Haistergau).
Christian Fitz und Alexander Meyer sprachen für die jüngst gegründete Bürgerrunde Haistergau. Sie störten sich vor allem an der Intransparenz. „Keiner weiß was.“ In ihrem Flyer spricht sich die Bürgerrunde gegen die massive Überbauung im Haistergau durch Windkraftanlagen aus. Dafür sucht sie noch Unterstützung durch Gleichgesinnte.
Diskussionsrunde
Frage: Wie kommt man zu den Abständen von Wohngebäuden?
Wolfgang Heine erläutert, dass nach der aktuellen Rechtssprechung eine optische Bedrängung dann vorliege, wenn der Wert unter der zweifachen Höhe der Anlage liege.
Frage: Wie wird eine Wertminderung von Grundstücken und Gebäuden durch die Errichtung von WKAs ausgeglichen?
Heine: Bislang konnten Wertminderungen nicht beobachtet werden.
Frage: Geht eine Gefahr durch die jüngst in der Diskussion stehenden PFAS-Kunststoffen aus?
Antwort: Es handelt sich dabei um eine Gruppe von über 10.000 Kunststoffen. Sicher sind welche in den Elektronik-Bauteilen vorhanden. In den Flügeln der hier verwendeten WKAs sind keine PFAS-Kunststoffe vorhanden. Weitere Anmerkung: Beim Waschen in der Waschmaschine zu Hause würden mit Sicherheit mehr PFAS freigesetzt.
Frage: In Mennisweiler haben wir die Kiesgrube, den Funkturm und jetzt noch drei Windräder. Betrachtet das Landratsamt die Häufung der Eingriffe beim Genehmigungsverfahren?
Antwort: In der Summe der Emissionen ja, aber ansonsten schaut man nicht, was daneben steht.
Frage: In Volkertshaus steht eine denkmalgeschützte Kapelle. Wurde die berücksichtigt?
Heine: Es wurden im Verbandsgebiet acht Objekte unter Denkmalschutzaspekten berücksichtigt, die Kapelle in Volkertshaus war nicht dabei (wohl aber Schloss Zeil und die Waldburg).
Frage: Ich habe bis heute keine Antwort auf meinen Einspruch zum Regionalplan erhalten?
Heine: Wir hatten über 10.000 Seiten zu schreiben. Die Antwort auf Ihre Eingabe erhalten Sie bis Ende des Monats März.
Frage: Bekomme ich für meine Photovoltaik-Anlage einen Ausgleich für die verminderte Leistung wegen des Schattenwurfs der WKA?
Antwort: 30 Minuten am Tag, maxinal 8 Stunden im Jahr
Unklar: die Zahl der WKA im Raum Bad Waldsee
Frage von Seiten des BUND: Gibt es einen Naturausgleich für die Windkraftanlagen und wieviele WKA werden es überhaupt?
Antwort: Naturausgleich ja.
Bei der Frage nach der Anzahl der geplanten WKA gab es keine letztgültige klare Antwort. Derzeit sind folgende beplante Standorte und zugehörige Projektierer bekannt:
Oberurbach: Laoco 2
Oberurbach: Uhl 2
Haisterkirch/Osterhofen: EnBW 7
Haisterkirch/Osterhofen: Laoco 2
Haisterkirch/Osterhofen: Windparkprojekt Bad Waldsee GmbH 3
Michelwinnaden/Osterholz: Laoco und RES Deutschland 4 bis 5
Anmerkung unseres Reporters: Wieviele WKA genau gebaut bzw. projektiert sind, konnte am Abend nicht genau ermittelt werden. Da noch keine Genehmigungen beantragt sind, kann auch das Landratsamt keine genauen Zahlen nennen.
Frage: Können die landwirtschaftlichen Flächen rund um die WKA bewirtschaftet werden?
Antwort: Die landwirtschaftlichen Flächen rund um die WKA bleiben erhalten.
Anmerkung unseres Reporters: Im Laufe des Abends wurde auch gefragt, wieviel Fläche ein WKA benötigt und darauf war die Antwort 25 ha. Die Erklärung ist, dass eine WKA etwa 25 Hektar Raum benötigt. Es macht keinen Sinn, die WKA näher beieinander aufzustellen, weil sie sich sonst gegenseitig den Wind wegnehmen.
Die WKA, die auf der Gemarkung Bad Waldsee geplant sind, haben am Fuß des Turms eine Breite von ca. 12 m und benötigen eine Stellfläche von ca. 1 ha. Bei 20 Anlagen werden also ca. 20 Hektar der etwa 450 ha ausgewiesenen Fläche tatsächlich verbraucht, der Rest steht für die Landwirtschaft weiter zur Verfügung.
Frage: Können jetzt immer mehr Projektierer kommen und wo ist die Grenze?
Antwort: Die Anzahl ist durch die Fläche begrenzt. Und der Eigentümer der Fläche entscheidet, ob ein Windrad gebaut wird oder nicht.
Anmerkung der Redaktion: siehe Leserbrief von Hans-Joachim Schodlock vom 17.3. (“Bei den Gemeinden verbleibt nur ein Nasenwasser”)
Dann wurde es ein wenig turbulent, denn die Moderatoren wollten die Endzeit um 21.30 einhalten. Es wurden nur noch wenige Fragen zugelassen.
Frage: Sind die Emissionen für Menschen, die ein Implantat wegen Gehörlosigkeit tragen, unbedenklich?
Antwort: Das müssen wir prüfen
Frage: Sind die WKA mit Sensoren ausgestattet, die ein Abschalten zulassen, damit Vögel nicht geschreddert werden und die Lungen der Fledermäuse nicht implodieren?
Antwort: Wann die Abschaltvorrichtungen der WKA greifen, muss noch geprüft werden und die Fledermäuse fliegen in der Regel unterhalb der Höhe der Rotorblätter.
Frage: Im Tannenbühl wurde vor 15 Jahren ein 80 Meter hoher Mast aufgestellt, um die Windhöffigkeit zu prüfen. Damals lohnte es sich nicht. Heute schon?
Antwort: Die neuen WKA arbeiten mit anderer Effizienz als vor 15 Jahren und mit der Einspeisevergütung lohnt sich der Betrieb der WKA auch wirtschaftlich.
Der gebürtige Bad Waldseer Dr. Wolfgang Hübner, ein Diplomphysiker, konnte seine Meinung hinsichtlich des Pulsierens des Luftstromes ausführlich darlegen. Hierzu verweisen wir unsere Leser auf die Diskussion um den Hübner-Beitrag „Der Indizienbeweis“ in der Bildschirmzeitung.
Damit endete die Einwohnerversammlung und die Gäste hatten noch Gelegenheit, sich mit den einzelnen Akteuren an den Infoständen im Foyer auszutauschen.
Text und Fotos: Erwin Linder