Ens Herz
‘s isch tatsächlich so: ‘s ganz Johr frei i mi auf dr Advent, auf dia Zeit, in der ma sich innerlich vorbereitet auf was Großes, auf was Bsonders, auf a Fescht, des einzigartig em Johreslauf isch. It bloß i fiebere auf Weihnachda na. Alle Leit um mi rom goht’s gleich. ‘s fangt a mit em Dekoriere vom oigene Haushalt, mit em Breedlabacka, mit em Überlega, was i wem schenk, mit dem Schwätza übers Feschtessa und it zletscht mit em Bsuach auf diverse Chrischtkendles- und Weihnachdsmärkt. Jo, für mich ghört des Schlendra über dr Weihnachdsmarkt, eischließlich vo zwoi oder drei Glühweinbecherle, fescht zua meine Advents-Rituale.
Em letzschda Johr lauf i aufm Weihnachdsmarkt z Raveschburg grad so vor me na an dene Kunsthandwerkerständ vorbei und überleg drbei, welchen Glühweinstand i glei mit meinra Anwesenheit beglücka will, als i so etwa zwanzg Meter vor mir en urasierta, etwas ugepflegta Ma em jüngera Alter beobachta hon könna. Der Kerle hot wilde Grimassa gschnitta und sich grimmig umguckt. Plötzlich sieht er mi und fuaßlet zielstrebig auf mi zua. I guck mi no um, weil i it sicher war, ob er tatsächlich mi moint. Mein erschter Gedanka: Oh je, do isch ebbes bassiert, do muaß i helfa! Kurz vor mir bremst der Urasierte ab, stoht vor mi na, runzlet sei Stirn und sagt mit ra sich fast überschlagenda Stimm laut und deitlich zu mir: „I wünsch dir s Chrischtkendle ens Herz!“ Noch dreht er sich rum, springt mit ema Affazah drvo und verschwindet hinterm Verkaufsstand vom Töpfermeister Deiringer.
Ehrlich, a bissle perplex war i scho. Abr a Freid übr den Satz in broideschdem Schwäbisch hon i au empfunda.
Auf dr Hoimfahrt hon i dann im Autoradio auf SWR 4 ghört, dass en Insasse ausm nahegelegena Zentrum für Psychatrie z Weißenau ausbrocha sei. Dia Bevölkerung sott Abstand von dem Ma halta und sich melda, falls er irgendwo auftaucha dät. Noch hont se em Radio a Personabeschreibung durchgea. Etz war mir klar, den Ma hon i grad aufm Markt troffa, der hot mir doch den alta Weihnachdswunsch zuagruafa.
Der Radiomoderator hot dann no weitervrzählt, dass der Entflohene aus Wurmlinga bei Rottaburg käm, eigentlich en friedfertiga Mensch sei, aber leider ins Kleinkriminella- und Drogamiliö abgrutscht isch, weil sei alloierziehende Muadr wohl mit soma Kerle überfordert war.
Dia Begegnung hot mi dann nemme losglassa. A baar Däg später bin i dann ge Weißenau in des psychatrische Krankahaus und hon Erkundigunga über den junga Ma eizoga. Erscht hon i koi Auskunft kriagt, weil i jo koi Verwandtschaft hon nochweisa kenna. Wo i dann aber von unserm Treffa aufm Weihnachdsmarkt vrzählt hon, hot mi a junge Ärztin mit auf d’ Statio gnomma. Do hon i dann den junga Ma, Peter hoißt er, wiedergseha. Kurzum, mir hont lang mitanand gschwätzt und unsre Kindheitserinnerunga an frühere Weihnachda austauscht.
Au en de nächste Däg hon i dr Peter auf seinra Krankastatio bsuacht und mi mit ihm ernsthaft agfreundet. I hon bald gmerkt, dass dr Peter a helfende Hand braucht. Während und noch seinra Therapie hon i mi um dr Peter kümmert. Heit schafft er aufm städtischa Bauhof, verdient a schees Geld und isch mit sich und dr Welt rundum zfrieda. Mir zwoi treffet uns nach wie vor regelmäßig und sind richtig guade Fraind worra.
S isch scho verwunderlich, was so en Satz, ausgsprocha en dr Vorweihnachdszeit, alles bewerkstelliga ka. Drum wünsch heit au Dir und de Deine bloß ois, nämlich: ‘s Chrischtkendle ens Herz!
Diese Kurzgeschichte wurde dem Buch „Frai de heit, s isch Weihnachdszeit“ entnommen, das Bernhard Bitterwolf zusammen mit Edi Graf im Silberburg-Verlag herausgebracht hat.
Bernhard Bitterwolf, Edi Graf: Frai de heit, s isch Weihnachdszeit
Schwäbische Geschichten, Gedichte und Lieder
144 Seiten, ca. 50 Abb. (Grafiken) und Noten,
14,0 x 21,0 cm, Hardcover mit Fadenheftung
Silberburg-Verlag, Tübingen
€ 19,99
ISBN: 978-3-8425-2389-0
Der Schriftsteller und Moderator Edi Graf und der oberschwäbische Barde Bernhard „Barny“ Bitterwolf haben für das Buch Frai de heit, s isch Weihnachdszeit tief in ihre Weihnachtskiste gegriffen und daraus die schönsten schwäbischen Geschichten, Gedichte und Lieder hervorgezaubert. Schon das Cover des Buches zaubert dem Betrachter ein Lächeln ins Gesicht: Drei junge Sternsinger schmettern mit weit geöffneten Mündern inbrünstig ihre Lieder. Gezeichnet ist diese Darstellung des lebendigen Brauchtums im Ländle vom bekannten Illustrator Uli Gleis. Im Buch selber lockern kleine, adventlich inspirierte Bildchen den Textfluss auf. Dadurch wird allein schon das Blättern im Buch zur Freude. Der Graphiker Björn Locke hat hier tolle Arbeit geleistet.