Skip to main content
Barnys Advent (4)

Eine „zufällige“ Begegnung im Advent



„Oh jemine, hond dia Leit a fürchtige Hektik heit am hoiliga Obend!“, dachte sich der bettelnde Obdachlose, der auf dem Boden vor einem Kaufhaus in einer kleinen oberschwäbischen Stadt auf dem Boden kauerte und die Menschen bei ihren Weihnachtseinkäufen beobachtete. Völlig außer Atem hetzte eine junge Mutter mit Geschenktüten bepackt, ihre etwa sechsjährige Tochter im Schlepptau, an ihm durch den Schneematsch vorüber. Die Tochter sträubte sich gegen das Tempo und die Unruhe der Mutter, machte einen Seitenschritt hinaus auf die Straße – genau in dem Moment, als ein großer schwarzer Geländewagen rückwärts in die Parkbucht einbog. Der Fahrer konnte das kleine Mädchen im Rückspiegel nicht sehen, aber der aufmerksame Bettler sprang auf, hechtete auf das Kind zu und zog es im letzten Augenblick zur Seite.

„Des hett bös ausganga kenne!“, flüsterte er leise vor sich hin, als die junge Mutter mit schreckensweiten Augen ihr Kind in den Arm nahm. Tränen der Erleichterung standen in ihren Augen, als sie sich dem ungepflegten Mann zuwandte: „Dankschee! Sia hond grad a ganz großes Uglück verhindert. I woiß gar it, wo mir dr Kopf schtoht. Mir pressiert’s so arg, abr i dät Sie gern auf a Tass Kaffee eilada. Als klois Dankschee sozusaga. Hättet Sia Zeit?!“

 „Zeit isch genau des, was i im Überfluss hon“, meinte der Bettler und folgte mit gesenktem Blick der jungen Frau und ihrer Tochter in das nebenangelegene Kaffeehaus, das er sich alleine sonst nicht zu betreten getraut hätte. Dort im Warmen vor einer Tasse dampfender Schokolade sitzend, kamen die beiden Erwachsenen und das Mädchen ins Gespräch. Der Schreck war verflogen, der Puls beruhigte sich und das gegenseitige Vorstellen nahm seinen Lauf.

„I sott no en Haufa Sacha eikaufa“, erzählte die junge Mutter. „Mein Ma ka mir leider it helfa. Er isch seit seiner Kindheit blind, hockt etz drhoim und wartet auf uns. I bin heilfroh, dass Sie unserer kloina Anna gholfa, jo, vielleicht sogar s Leabe grettet hond!“

„Abr des isch doch selbstverständlich“, wehrte der Obdachlose die Dankesworte ab. „I ka ganz guad vrschtanda, wia‘s der Anna grad goht. Bloß funktoniera, weil’s de Große so wellet, des war au nia mei Sach. S isch etz scho a paar Jährle her. Mein älterer Bruadr und i hond aufm Autorücksitz gschtritta, als mir mit unsere Eltra auf dr A 8 Richtung Schtuagert unterwegs waret. Unser Vaddr hot sich zu uns rumdreht und do drbei d Kontrolle übers Auto verlora und en Ufall baut. Papa und Mama sind drbei gstorba. Mein Bruadr und i waret stark verletzt. Mi hont se dann in a Waisehaus gsteckt und mein Bruadr weaga seine Gsichts-verletzunga in a Spezialklinik brocht. I hon mi ganz arg schuldig gfühlt, bin aus dem Waisahaus bei Nacht ausgstiega und war dann in de letzschde Johr als Matros auf alle sieba Weltmeer unterwegs.“

„Und warum sind Sia dann heit do vor dem Kaufhaus ghocket?“, fragte die kleine Anna mit weit aufgerissenen Augen.

„Woisch, noch so viele Johr in dr Fremde, bin i auf dr Suche noch meine Wurzla. I will gern des Grab von meine Eltra bsucha und mein Bruadr, den i seither nemme gseha hon, ausfindig macha. Leider isch mir s Geld ausganga. Etz leab i halt auf dr Stroß, des isch it weiter schlimm. Do hon i mei Freiheit, ka dua und lassa was i will. Bloß wenn’s so kalt isch wia heit …“.

„Wisset se was“, fiel ihm die junge Frau ins Wort. „Kommet se doch oifach mit uns hoim. Mein Ma hot sicher nix drgega und no kennet sie mir beim Chrischtbaum aufstella helfa.“ „Au ja!“, freute sich die kleine Anna.

Der blinde Vater Alfons war schon etwas in Sorge, weil seine beiden Mädels so lange in der Stadt waren. Als er aber von dem „Beinaheunglück“ erfuhr, bedankte er sich herzlich bei dem Obdachlosen, der sich als Charly vorstellte, bat ihn ein Bad zu nehmen und lud ihn zum abendlichen Weihnachtsmahl ein. Als die vier feierlich gestimmten Menschen nach Kartoffelsalat mit Saitenwürstle am mittlerweile prächtig geschmückten Christbaum standen, fragte der Gast Anna und ihren Eltern: „I mecht mi gern bei Eich für dia Gastfreundschaft bedanka. Derf i vielleicht a kloins Weihnachtsliedle singa?“

Anna, ihre Mutter und ihr Vater nickten aufmunternd. Mit rauer, ungeübter Stimme sang der sichtlich gerührte Mann:

„Juchzget, Ihr Leit, freiet Eich heit!
Singet und jublet, s Fescht isch it weit!  
Singet mitnand, koiner schtoht heit am Rand.  
Frieda wird komma in jedem Land.“

Schon bei den ersten Tönen hob Vater Alfons seinen Kopf. Aufgeregt fragte der Blinde seinen Gast: „Ha, des derf doch it wohr sei. Woher kennet Sia des Liad?“

Charly schaute sein Gegenüber stirnrunzelnd an: „Mein Vaddr war Tanzmusiker. Immer wieder hot er sich kloine Melodia ausdenkt. Des Liedle, en ganz oifacha Kanon von ihm, hond mir bis zu dem Ufall auf dr Autobah immer am hoiliga Obend gsunga. Hot Ihna dia Melodie it gfalla?“

Alfons erbleichte und stammelte: „Ganz im Gegadoil. Sag mol, Charly, welchr Name schtoht in Deim Pass, doch it etwa Karl?”

„Doch, freile. Was sonscht?“

Mit weit ausgebreiteten Armen ging Alfons auf seinen Gast zu: „I bin’s! Dein Bruadr. Durch den Ufall domols hon i s Augalicht verlora, aber it mei Gedächtnis. An des Lied von unserem Vater ka i mi no guad erinnera. Du hosch domols scho it bsonders schee singa kenna“, lachte er. „Aber über dia Musik hon i di wiedererkannt! Herzlich willkomma drhoim, Karle!“

Diese Kurzgeschichte wurde dem Buch „Frai de heit, s isch Weihnachdszeit“ entnommen, das Bernhard Bitterwolf zusammen mit Edi Graf im Silberburg-Verlag herausgebracht hat.

Bernhard Bitterwolf, Edi Graf: Frai de heit, s isch Weihnachdszeit
Schwäbische Geschichten, Gedichte und Lieder
144 Seiten, ca. 50 Abb. (Grafiken) und Noten,
14,0 x 21,0 cm, Hardcover mit Fadenheftung
Silberburg-Verlag, Tübingen
€ 19,99
ISBN: 978-3-8425-2389-0

Der Schriftsteller und Moderator Edi Graf und der oberschwäbische Barde Bernhard „Barny“ Bitterwolf haben für das Buch Frai de heit, s isch Weihnachdszeit tief in ihre Weihnachtskiste gegriffen und daraus die schönsten schwäbischen Geschichten, Gedichte und Lieder hervorgezaubert. Schon das Cover des Buches zaubert dem Betrachter ein Lächeln ins Gesicht: Drei junge Sternsinger schmettern mit weit geöffneten Mündern inbrünstig ihre Lieder. Gezeichnet ist diese Darstellung des lebendigen Brauchtums im Ländle vom bekannten Illustrator Uli Gleis. Im Buch selber lockern kleine, adventlich inspirierte Bildchen den Textfluss auf. Dadurch wird allein schon das Blättern im Buch zur Freude. Der Graphiker Björn Locke hat hier tolle Arbeit geleistet.
 


 
 



LESEN SIE HIERZU AUCH …

Zum 1. Adventssonntag

Die letzte Chance

Warum sollte es bei uns anders laufen als bei anderen Paaren in der gleichen Situation? Im Laufe der Jahre hat sich auch in unserem Verhältnis zueinander vieles eingespielt, ist normal, ist zur Gewohnheit geworden. Das Haus ist abbezahlt, die Kinder sind aus dem Gröbsten raus und wir, wir haben uns in den letzten Jahren zumindest ein Stückchen weit auseinandergelebt.
Barnys Advent (3)

Die alte Hebamme

Die Zeit bleibt nicht stehen. Auch für sie nicht. Jetzt ist sie in die Jahre gekommen und spürte das Alter in den Knochen. In ihrer aktiven Zeit hatte die alte Hebamme Theresa einer unüberblickbaren Zahl von Babys auf die Welt geholfen. Ihr Beruf war echte Berufung für sie. Theresa ging auf in ihrem Bemühen um eine möglichst angenehm-professionelle Geburtshilfe. Zahlreiche Mütter im Umkreis sind ihr zu Dank verpflichtet. Nicht zu vergessen die Väter, die häufig eine besondere Zuwendung brauch…
Barnys Advent (2)

Ens Herz

‘s isch tatsächlich so: ‘s ganz Johr frei i mi auf dr Advent, auf dia Zeit, in der ma sich innerlich vorbereitet auf was Großes, auf was Bsonders, auf a Fescht, des einzigartig em Johreslauf isch. It bloß i fiebere auf Weihnachda na. Alle Leit um mi rom goht’s gleich. ‘s fangt a mit em Dekoriere vom oigene Haushalt, mit em Breedlabacka, mit em Überlega, was i wem schenk, mit dem Schwätza übers Feschtessa und it zletscht mit em Bsuach auf diverse Chrischtkendles- und Weihnachdsmärkt. Jo, für m…

NEUESTE BEITRÄGE

Bad Waldsee
Anrudern beim Ruderverein Bad Waldsee

Auftakt zum Jubiläumsjahr bei strahlendem Sonnenschein

Bad Waldsee – Zweiter Vorsitzender Johannes Wiest und Bürgermeisterin Monika Ludy stimmten am Samstagvormittag, 5.4., auf ein besonderes Jahr des Vereins ein. Gegründet 1900 kann der Ruderverein Waldsee (RVW) dieses Jahr sein 125-jähriges Jubiläum feiern.
12. April

Claudia Siegele lädt zu Mystery-Game im Steinacher Ried

Bad Waldsee – “Mystery-Game im Steinacher Ried – auf der Suche nach den Elementarkräften” – so wirbt Claudia Siegele für ein Naturerlebnis der besonderen Art. Auf der Suche nach … Luft, die wir atmen, Wasser, das wir trinken, Feuer, das uns wärmt und mit der Erde als unser Fundament. Am Samstag, 12. April, 14.00 Uhr bis 17.00 Uhr. Die Teilnehmer treffen sich am Riedparkplatz. Anmeldung bei der Bauernschule unter claudia.siegele@bauernschule.de.
Freitag, 11. April, 20.00 Uhr

Kabarettistische Lesung im “Haus am Stadtsee”

Bad Waldsee – Am kommenden Freitag, 11. April, kommen um 20.00 Uhr Lisa Federle und Bernd Kohlhepp zu einer kabarettistischen Lesung ins das “Haus am Stadtsee” nach Bad Waldsee.
Er bringt umfassendes Wissen und große Leidenschaft mit!

Peter Holl ist neuer Storchenbetreuer für Bad Waldsee

Bad Waldsee – Die Stadt Bad Waldsee freut sich: Künftig kümmert sich Peter Holl um alle Belange rund um die Störche in Bad Waldsee und der Region. Als erfahrener Storchenbetreuer und Vorsitzender der NABU-Gruppe Südliches Riss- und Umlachtal bringt er umfassendes Wissen und große Leidenschaft für den Schutz der Weißstörche mit.
Am 18. April um 20 Uhr

Lichter der Hoffnung an Karfreitag

Bad Waldsee – Zum 15. Mal Lichter der Hoffnung – auch dieses Jahr werden wieder Lichter der Hoffnung am Karfreitag um 20.00 Uhr ins Labyrinth am Stadtsee unterhalb des früheren Krankenhauses gestellt.
ANZEIGE

MEISTGELESEN

Bad Waldsee
Spitztour endete mit Totalschaden

Zwei 17-Jährige auf Abwegen: im “Durchhau” von der Straße abgekommen

Reute – Die Spritztour zweier 17-Jähriger mit dem Renault eines Familienangehörigen endete am Donnerstagabend (3.4.) für beide Jugendliche im Krankenhaus. Ihr “geliehenes” Auto landete im “Durchhau”, der Straße zwischen Bad Waldsee und Reute, zwischen den Bäumen. Das Ergebnis: ein Totalschaden. Die beiden Jugendlichen hatten Glück im Unglück: Sie wurden nur leicht verletzt.
Mitgliederforum der Volksbank Allgäu-Oberschwaben

Zufriedene Mienen und 4 Prozent Dividende

Bad Waldsee – Bei einem „Mitgliederforum“ präsentierte die Volksbank Allgäu-Oberschwaben am 1. April (kein Scherz) ihre aktuellen Geschäftszahlen vor gut 700 interessierten Mitgliedern im Erwin-Hymer-Museum.
Kleidungsstück verfing sich in der Zapfwelle

Frau auf Hof bei Rossberg schwer verletzt

Wolfegg – Lebensbedrohliche Verletzungen hat eine 55-Jährige am Donnerstagmorgen (3.3.) bei einem Arbeitsunfall in einem Weiler bei Roßberg erlitten. Die Frau verband bei landwirtschaftlichen Arbeiten ein Gerät mittels einer Zapfwelle mit einer landwirtschaftlichen Zugmaschine. Mutmaßlich weil sich ein Kleidungsstück in der laufenden Zapfwelle verfangen hat, wurde die Frau gegen das Gerät geschleudert. Dabei zog sie sich Verletzungen am gesamten Körper zu. Mitarbeiter kamen der 55-Jährigen, d…
30-Jähriger mit rund 2,5 Promille

Verkehrsunfall zieht strafrechtliche Konsequenzen nach sich

Bad Waldsee – Mit mehreren Strafanzeigen muss ein 30-Jähriger rechnen, der am Samstagabend einen Verkehrsunfall unter Alkoholeinfluss verursacht und bei den weiteren Maßnahmen Rettungssanitäter und Polizeibeamte beleidigt und bedroht hat.
Windkraft

200 Personen kamen zur Info-Veranstaltung der Bürgerrunde

Haisterkirch – Am 3. April lud die Bürgerrunde Haistergau zu einer Infoveranstaltung zu den geplanten Windkraftanlagen in die Haisterkircher Halle ein. Geschätzt mehr als 200 interessierte Bürgerinnen und Bürger lauschten gespannt den Ausführungen von Bürgerrunde-Vorsitzendem Christian Fitz und den Gastrednern Dr. Wolfgang Hübner und Manfred Brugger.

TOP-THEMEN

Bad Waldsee
Bad Waldsee – Zweiter Vorsitzender Johannes Wiest und Bürgermeisterin Monika Ludy stimmten am Samstagvormittag, 5.4.,…
Stuttgart (VM / rei) – Das aktuelle Förderprogramm des Landes für die kommunale Rad- und Fußverkehrsinfrastruktur 202…
Bergatreute  – Über Bestattungskultur im Wandel hat kürzlich Dekanatsreferentin Karin Berhalter aus Wangen im Pf…

Einzelhandel, Dienstleistungen und Handwerk in Allgäu-Oberschwaben

VERANSTALTUNGEN

Bad Waldsee