Meinungsverschiedenheiten im Leutkircher Gemeinderat über Solarmodule unter freiem Himmel
Leutkirch – „Das Thema Freiflächen-Photovoltaik elektrisiert mich.” Derart unter Spannung äußerte sich am Montagabend (9.10.) im Gemeinderat Stadtrat Alfons Notz. Der Weipoldshofener Bio-Landwirt: „Wir sollten unseren Blickwinkel erweitern – nicht nur auf Klimaschutz, sondern auch auf die Ernährungssicherheit.“ Deshalb müsse bei der Planung des Sonnenstrom-Kraftwerks unter freiem Himmel in Gebrazhofen „zweiteilig“ weitergeplant werden. So der Vorschlag von Notz´ Fraktion, dem Bürgerforum Leutkirch (BF). Nämlich einen Teil der Fläche dort für agri-PV gleichzeitig landwirtschaftlich so zu nutzen, dass auch Jungvieh dort weiden könne. Dem wollte die Mehrheit der Ratsmitglieder aber nicht folgen.
Strom dank Tageslicht. Genug für 6000 Haushalte. Insgesamt 10 % des Leutkircher Bedarfs an elektrischen Kilowattstunden. Günstig so aus Solarmodulen auf Wiesen gewonnen, dass dabei 7000 Tonnen Kohlenstoffdioxid (CO 2) nicht in die Luft entweichen. Also klimaschonend. Solche elektrischen Erträge sollen künftig aus Freiland-Photovoltaik-Feldern auf Leutkircher Markung entstehen. Vor allem Am Buchwald in Gebrazhofen und in Reichenhofen-Hinterstriemen. Das bezeichnete Stadtrat Alfons Notz als sehr beeindruckend.
Landwirtschaft „im Würgegriff”
Dann aber hob der zweite ehrenamtliche Stellvertreter von Oberbürgermeister Henle an, „es einmal zugespitzt zu formulieren: Was nützt es, wenn die Herde und Öfen erneuerbar erhitzt werden, aber keine Lebensmittel dafür bereitstehen?” Man solle also „den Blickwinkel erweitern“ – hin zur „Ernährungssicherheit“. Die Landwirtschaft befinde sich nämlich immer mehr „in einem Würgegriff zwischen Energieflächen und Kiesabbau”. Und diese Entwicklung könne dazu beitragen, dass „unser tägliches Brot“ irgendwann gar nicht mehr so sicher zu bekommen sei.
Aus diesem Grund hatte der Leutkircher Gemeinderat am 23. Januar 2023 beschlossen: In Gebrazhofen und Reichenhofen sollen einerseits Solarmodule auf Wiesen und Äckern stehen, andererseits: Unter diesen Solarplatten müsse Platz für Landwirtschaft frei bleiben. Und zwar auch die typisch allgäuerische: mit Vieh. Also Jungviehweiden unter den künftigen Solarzellen auf Gebrazhofer Wiesen. Heißt konkret: Die Modultische, auf denen die Sonnenplatten aufliegen sollten, wären (mindestens) 1,50 Meter hoch.
Schwierig. Denn dem guten Willen des Gemeinderats und der Stadtverwaltung stehen offenbar fachliche Hürden im Weg. Die hohen Modultische verlangten eine stärkere Verankerung im Boden – also etwa teurere Betonsockel im Erdreich. Deshalb befürchteten die Unternehmen, die die Sonnenkraftwerke betreiben wollen (Sybac und Eon) bis zu 30 % höhere Kosten. Zu teuer, wie vor allem der Eon-Vertreter dem Stadtrat erklärte. Deshalb schlug die Stadtverwaltung vor, „dass von einer zwingenden Vorgabe einer Bewirtschaftung mit Milch- beziehungsweise. Jungvieh und der damit verbundenen Mindesthöhe für die Modultische abgesehen werden kann”. Stattdessen seien grasende Schafe oder „Biodiversitätskonzepte“ denkbar. So auch die Anregung der Antragsteller von Sybac und Eon.
Jungvieh in Gebrazhofen?
Das Bürgerforum begrüßte die Vorlage der Stadtverwaltung für Reichenhofen-Hinterstriemen. Denn dort sei nach einer früheren Kiesgrube ohnehin keine vorbildliche Landwirtschaft absehbar. In Gebrazhofen Am Buchwald sei das Gelände aber „getrennt“ zu bewerten. Einerseits Wiesengrund, der nahe der A96 neuerdings ohnehin mit Solarplatten bestückt werden dürfe. Andererseits aber das davon etwas weiter weg liegende Flurstück, das der Stadt gehört. Dort sei agri-PV mit Jungvieh darunter weiterhin zu prüfen. Eine regionale Firma habe bereits Lösungs-Wege „ohne Betonfundamente“ gezeigt, sagte Gottfried Härle. Es sei „eine Entwicklung von solchen Anlagen“ erwarten.
Anders die Stadtverwaltung. Sie riet dazu, „jetzt die Bebauungsplanverfahren fortzusetzen”. Und zwar ohne Vorgabe, darunter Vieh weiden zu lassen. Außerdem sollte es „bis auf weiteres“ keine Bewerbungsrunden für PV-Freiflächenanlagen durch die Stadt mehr geben. Es bleibe abzuwarten, ob es für den Bereich 200 Meter entfernt von der A96 bald Anträge für solche Sonnenstromkraftwerke gäbe. Dies sei nach neuen Gesetzen auch ohne Bebauungsverfahren erlaubt. Diesem Verwaltungsvorschlag stimmten 14 Ratsmitglieder zu, 7 (vor allem vom BF) hoben ihre Hände zum Nein.
Julian Aicher