Zukunftsorientiert, mutig, kraftvoll
Zur Diskussion um die eingesparte Aula beim geplanten Erweiterungsbau am Bad Waldseer Gymnasium
Obwohl die Entscheidung für einen Erweiterungsbau ohne Aula für das Gymnasium Bad Waldsee in der Gemeinderatssitzung am 29. Januar 2024 mit großer Mehrheit getroffen wurde, kehrt keine Ruhe zu diesem Thema ein. Dies zeigen die Leserbriefe in der “Schwäbischen Zeitung”, die ins Leben gerufene Online-Petition „Eins draufsetzen – Gymnasium Neubau mit Aula” und viele Gespräche in unserem Städtle. Das Thema scheint wichtig zu sein und die Bad Waldseerinnen und Bad Waldseer umzutreiben. Als Bürger der Stadt möchte ich mich positionieren.
Meiner Wahrnehmung nach haben sich alle an und in diesem Prozess beteiligten Personen den vielfältigen und sehr guten Argumenten für eine Aula an unserem Gymnasium angeschlossen. Das zeigte sich auch in dem aufwändigen Realisierungswettbewerb für den Erweiterungsbau. Anfang Juli 2022 kürte das Preisgericht, bestehend aus unabhängige Architekten, der Stadtspitze, dem Stadtbaumeister, den Fraktionsvorsitzenden, der Fachbereichsleitung Schulen, Bildung, Betreuung, der Schulleitung, Lehrer-, Eltern- und Schülervertretungen, unter sechs eingereichten Architektenentwürfen, den Entwurf des Architekturbüros Lanz/Schwager aus Konstanz als hochgelobten Sieger. Der „Clou”, den der Entwurf aus Konstanz auf Platz 1 des Wettbewerbs brachte (“Schwäbische”, 3. August 2022), war die in dem dreigeschossigen Gebäude eingeplante zweigeschossige Aula. „Weitsicht”, „zukunftsorientiert”, „Leuchtturmprojekt”, „nachhaltig” sind die Begriffe, mit denen der Siegerentwurf euphorisch betitelt wird. Und das zu Recht! Ein hervorragendes Ergebnis, erzielt am Ende eines Prozesses mit einer breiten Beteiligung.
Alle finden eine Aula am Gymnasium sinnvoll, wichtig und richtig – ausschlaggebend für die Entscheidung gegen die Aula sind die Finanzen. Es geht um einmalige Mehrkosten von 2,3 Millionen Euro und um Folgekosten. Diese Argumentation ist nachvollziehbar, denn wir alle wissen, Geld ist begrenzt und die Aufgaben einer Kommune sind enorm.
Keine einfache Situation für die Gemeinderätinnen und Gemeinderäte. Dennoch bitte ich diese, den im Januar 2024 gefassten Beschluss zum Erweiterungsbau am Gymnasium zu überdenken. Viele Punkte wurden schon genannt, einige wenige will ich ergänzen bzw. vertiefen:
1. Wir leben in einer Zeit der Individualisierung und Vereinzelung. Dem Rückzug ins Private. Bindungen an und Beziehungen zu Vereinen, Institutionen und anderen Gruppierungen werden loser. Die Aula ist der Ort an der Schule, um Gemeinschaft zu üben und zu erleben. Bei Feiern und Festen, bei Schulversammlungen und vielen weiteren kulturellen Veranstaltungen der Schulgemeinschaft – auch mit außerschulischen Partnern – können Beziehungen gelebt, Bindungen aufgebaut und Gemeinschaft erfahren werden. Das schafft ein Gefühl der Identifikation und Zugehörigkeit. Das bringt starke Persönlichkeiten hervor. Genau das, was unsere Gesellschafft braucht.
2. Wir erleben ein schwindendes Vertrauen in die Demokratie. Demokratische Gesellschaften leben von dem Austausch sich widerstreitenden Meinungen und der Suche nach Kompromissen, bei dem sich alle einbringen können. Dann wird Demokratie spürbar und erlebbar. Dafür braucht es Räume. Die Familie braucht den gemeinsamen Esstisch, der Verein das Vereinsheim, die Ortschaft das Dorfgemeinschaftshaus, die Stadt die Stadthalle, der Gemeinderat den Sitzungssaal. Für eine Schulgemeinschaft ist der geeignete Ort um Demokratie erlebbar zu machen die Aula.
3. „Vision trifft auf politische Realität”, so könnte man den Gemeinderatsbeschluss für die Erweiterung des Gymnasiums ohne Aula bezeichnen. Ein guter Kompromiss, der der Erweiterungsbau ohne Aula zweifellos ist: vernünftig, besonnen, pragmatisch. Brauchen wir aber nicht auch mehr? Zeichnet sich unsere Gesellschaft nicht auch dadurch aus, dass wir mutige und kraftvolle Entscheidungen treffen können und dadurch Besonderes möglich machen? Benötigen wir nicht auch gerade für unsere Kinder und Jugendliche diese mutigen und kraftvollen Entscheidungen? Entscheidungen, die mit Zuversicht in die Zukunft weisen?
4. Nachhaltigkeit ist beim Erweiterungsbau ein wichtiges Kriterium. Die nun eingeplanten 7,8 Millionen Euro für den Erweiterungsbau ohne Aula sind viel Geld und ohne Zweifel eine nachhaltige Investition. Es sollen nachhaltige Baumaterialien zum Einsatz kommen. Investitionen in Bildung, in unsere Kinder und Jugendliche, sind immer nachhaltig. Auch die städtische Finanzkraft soll nicht über Gebühr belastet werden. Sie soll nachhaltig bleiben. Aber gehört zur Nachhaltigkeit nicht auch, dass das Produkt, der Erweiterungsbau, den Anforderungen und Aufgaben des Nutzers, der Schulgemeinschaft, entspricht? Erhöht sich nicht die Dauer und die Intensität der Nutzung eines Gebäudes, wenn diese Passung stimmt? Ist das nicht auch ein wichtiger Aspekt von Nachhaltigkeit?
Mit dem Erweiterungsbau am Gymnasium haben wir die Möglichkeit, das Gymnasium und die Schulkultur des Gymnasiums für die kommenden Jahrzehnte unwiederbringlich zu prägen. Und damit das Lernen, Arbeiten und Schul-Leben der aktuell rund 670 Schülerinnen und Schüler, deren Familien und der 65 Lehrkräfte. Jeden Schultag. Jede Schulstunde. Für die kommenden Jahrzehnte. Über viele Schülergenerationen hinweg. Was für eine einmalige Chance!
„Die richtigen Dinge tun. Die Dinge richtig tun.” Der Erweiterungsbau an unserem Gymnasium in Bad Waldsee ist richtig, lassen Sie ihn uns „richtig” tun: zukunftsorientiert, mutig, kraftvoll – dann wird er noch nachhaltiger sein.
Frank Wiest, Bad Waldsee