Kein Ruhmesblatt
In der Nacht von 30. auf 31. Januar hatte eine Tankstelle in Leutkirch ihren Kraftstoff aufgrund eines technischen Fehlers, vielleicht sogar wegen einer externen Manipulation für 1 Cent den Liter feilgeboten. Das hatte sich rasch herumgesprochen und so machten sich die Schnäppchenjäger auf den Weg. Bis nachts um 4.00 Uhr wurden So-gut-wie-gratis-Tankende an den Zapfsäulen gesehen. Stimmt die Angabe des geschädigten Tankstellenbetreibers, der von 3000 Litern „abgeschlauchtem“ Kraftstoff spricht, dann haben wohl um die 60 Autofahrer ihren Schnitt gemacht. Schlau oder unmoralisch?
„Na, heute Nacht auch tanken gewesen“, wurde eine Freundin des Kommentators schelmisch gefragt. Unterton: „Wär‘ ja blöd von Dir, wann Du diese Gelegenheit nicht genutzt hättest.“
Ihre Antwort: „Ich empfinde das mit dem Sprittanken bis 4 Uhr morgens als Schande für uns Allgäuer. Wie kann man eine Panne so schamlos ausnutzen! Ich würde es nicht tun und hätte ebenfalls die Polizei gerufen.“ Wie jener Anonymus, der dem Spuk per 112 ein Ende machte.
Formaljuristisch handelt es sich wohl nicht um Diebstahl. Eine Preisauszeichnung ist Bestandteil eines Vertragsschlusses. Aber wenn der Preis so unglaublich unrealistisch ist? Ist dann ein Einschlagen, wie man es vom Viehhandeln kennt, noch reell? Ist das Annehmen des 1-Cent-„Angebotes“ noch von Treu und Glauben gedeckt?
Die bäuerlich geprägten Allgäuer kennen einen Spruch, der Mein und Dein gut abgrenzt: „Numm mäha derf ma scho, ab’r rummrecha it.“ Für Zugereiste: Es kann beim Mähen schon mal passieren, dass der Messerbalken über die Grenze hinüberreicht. Aber das fremde Gras herüberholen, das ist nicht statthaft.
Jeder, der in jener Nacht mit vollem Tank weggefahren ist, wird sich die Hände gerieben haben. Und hat sich damit insgeheim eingestanden: Ganz sauber war das nicht.
Ehrenrettung für Viehhändler. Die können kräftig feilschen, das weiß man. Aber ein Stück Vieh für 1 Mark vom Hof ziehen, das würde keinem von ihnen einfallen.
Gerhard Reischmann