Zu nahe an den Naturschutzgebieten
Haidgau – Am vergangenen Sonntag, 10. März, hat im Gemeindesaal St. Josef in Haidgau eine Veranstaltung zum Thema Windkraft in der Region stattgefunden. Hierzu hatte die BI Wurzacher Becken zusammen mit den Landschaftsschützern Oberschwaben-Allgäu e.V. im Rahmen des Netzwerks Naturschutz Allgäu Oberschwaben eingeladen. Der Saal war gut besucht und die Gäste folgten den vier Vorträgen mit großem Interesse; das angebotene Frühstück wurde gerne in Anspruch genommen. Anlass der Veranstaltung war es, die Bürger auf die Frist „29. März 2024“ hinzuweisen; bis dahin kann man schriftlich Einwände beim Regionalverband Bodensee-Oberschwaben unter www.rv-bo.de gegen die geplanten Windvorranggebiete einbringen.
Osterhofen, Mittelurbach, Alttann
Bei der Veranstaltung wurde dargestellt, dass viele der geplanten Windvorrangflächen in direkter Nähe zum europadiplomierten Wurzacher Becken liegen werden. Der mögliche Windpark Osterhofen hätte nur in etwas mehr als 3 Kilometer Distanz. Auch die Lage in der Hauptwindrichtung, nämlich westlich bis südwestlich des Beckens für die Gebiete Osterhofen, Mittelurbach und Alttann sei ungünstig für das Naturschutzgebiet Wurzacher Ried. Es sei bekannt, dass Windenergieanlagen das lokale Klima verändern. Vor Allem in der Nacht würde die warme aufsteigende Luft wieder nach unten getragen, so dass der nächtliche Abkühlungseffekt, der für Feuchtgebiete wichtig ist, reduziert wird. 2023 konnte von Gang Wang et al. zusätzlich zur Erwärmung der Luft eine Reduktion der Bodenfeuchtigkeit durch Windturbinen nachgewiesen werden. Innerhalb des Windparks nahm die Trockenheit des Bodens im Jahr um 4,4 % zu. Auch in 30 km Entfernung im Lee der Anlagen war noch eine Abnahme der Bodenfeuchtigkeit messbar.
Humberg, Diepoldshofen
Carmen Pöhl, stellvertretende Vorsitzende der Landschaftsschützer e.V., berichtete über den Stand der Projekte. Die Projektierer Laoco GmbH und Energiequelle GmbH des Gebietes Hummelluckenwald, das innerhalb des Wurzacher Beckens zwischen Eintürnen und Arnach liegt und kein ausgewiesenes Windvorranggebiet sein wird, haben bisher ihre Unterlagen beim Landratsamt nicht eingereicht, obwohl das Vorhaben schon im September 2023 in Bad Wurzach öffentlich vorgestellt wurde. Weiterhin hat der Projektierer Uhl Windkraft am 27. Februar 2024 bekanntgegeben, dass bei Mittelurbach nun doch fünf Anlagen des neuesten Typs mit einer Höhe von 290 m vorgesehen sind. In der Nähe des Wurzacher Beckens liegt zudem das Windvorranggebiet Diepoldshofen. Auch im Norden unserer Region, in dem der Regionalverband Donau-Iller plant, könnten noch Windparks entstehen.
Der Tod der Fledermäuse
Fledermäuse sind besonders gefährdetDer Biologe und Fledermausspezialist Luis Ramos stellte die bei uns heimischen Fledermausarten vor. Man wisse weiterhin nicht genug über die Vorkommen der Fledermäuse, da eine lückenlose Erfassung schwer sei. Es gäbe nicht nur örtlich lebende Fledermäuse, die einen Winterschlaf halten, sondern eine große Anzahl (70 %) ziehende Arten, die bis zu 2000 Kilometer zurücklegen können, um vom kalten Nordosten Europas in den warmen Südwesten zu fliegen. Fledermäuse sind durch Windkraftanlagen (WKA) besonders gefährdet. Gründe sind Kollisionsrisiko, Barotrauma (Tod durch Druckveränderung) und Verlust von Lebensraum. Man zählt aktuell in Deutschland mehr als 250.000 durch WKA getötete Tiere im Jahr, wobei die wandernden Arten – unter anderem der Große Abendsegler und die Rauhautfledermaus – stärker betroffen sind. Zudem führten WKA im Wald oder am Waldrand zu mehr Schlagopfern, aber auch die zunehmenden Höhen der neuen WKA sind für die wandernden Arten gefährlich. Faktoren wie Rückgang an Insektenmasse und Verlust von Baumquartieren dezimieren die Fledermäuse zusätzlich. Der Schutz der bestehenden Populationen ist eine zentrale Aufgabe des Naturschutzes, da Fledermäuse mit nur einem Jungen pro Jahr eine geringe Reproduktionsrate haben.
Die Vogelschätze von Ried und Rohrsee
Anschließend zeigte der seit mehr als 35 Jahren im Wurzacher Becken aktive Ornithologe Ulrich Grösser den Anwesenden ein paar Schätze der regionalen Vogelwelt. Unter den vielen wunderbaren Fotos mit bei uns rastenden und brütenden Vögeln waren unter anderem die Schwarzkopfmöwe, der Buchfink und der Silberreiher. Wegen der Prädatoren (Raubtiere) wie Marder, Fuchs oder Katze würden einige Bodenbrüter Inseln im Rohrsee aufsuchen, um den Nachwuchs ungestört aufziehen zu können. Bei uns findet ein fast ständiger Vogelzug statt, im Spätsommer vor allem nachts und im Frühherbst dann während des Tages. Den Anfang im Sommer macht der Kuckuck, der oft schon ab Juli nach Afrika zurückfliegt. Somit findet Vogelzug über viele Monate des Jahres Tag und Nacht in unserem Luftraum statt. Zudem nutzten Vögel gerne den starken Rückenwind für ihre Wanderungen. Ob Abschaltmechanismen der Windkraftanlagen diese Abläufe der Natur entsprechend berücksichtigen, sei zu bezweifeln.
Der Rotorblätter-Müll
Andreas Reichel von BREMN e.V., einem im Altdorfer Wald aktivem Naturschutzverein, stellte anschließend die Frage, welche Umweltrisiken durch den Ausbau mit Windkraftanlagen in unserer Region entstehen. Er wies auf den hohen Wert von Bäumen für unsere Natur hin und zitierte eine vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft geförderte Publikation; diese bezifferte diese sogenannten Ökosystemdienstleistungen bei einem 50 Jahre alten Baum auf ungefähr 700.000 Euro. Zudem habe sich die weltweite Menge an Bäumen halbiert, was ebenfalls einen relevanten Einfluss auf das Klima und das CO2 habe. Die Rotorblätter könnten aufgrund der Mischung verschiedener umweltschädlicher Materialien wie Epoxidharzen und Carbonfasern nur schwer recycelt werden. Es würden jedoch in absehbarer Zeit pro Jahr 70.000 t alter Rotorblätter anfallen. Wie diese entsorgt werden sollen, sei bislang ein ungelöstes Problem. Zudem befänden sich in Windkraftanlagen viele kostbare Materialien, die oft unter menschenunwürdigen und naturschädigenden Bedingungen gewonnen werden. Hier wurden Balsaholz und Neodym genannt.
Mikroplastik im Wald
Zudem falle pro Windkraftanlage bis zu 90 Kilogramm Mikroplastik im Jahr ab, das sich in der Umgebung – oft im Biotop Wald – verteilt, immer kleiner gerieben wird, sich aber letztlich kaum abbaut. Das ergäbe über den 20-jährigen Betrieb eines Windrades knapp 2 Tonnen Mikroplastik, das in den Boden gewaschen wird und sehr wahrscheinlich früher oder später auch im Trinkwasser nachweisbar sein wird.
Dr. Carmen Pöhl, Bad Wurzach
Diese Karte wurde bei der Windkraftveranstaltung in Haidgau gezeigt. Sie zeigt die Naturschutzgebiete Mühlhauser Ried, Wurzacher Ried und Rohrsee. Die schwarzen Sterne markieren die vom Regionalverband Bodensee-Oberscgwaben vorgesehenen Windkraftstandorte Osterhofen, Mittelurbach-Mennisweiler und Alttann-Weitprechts sowie den von Laoco/Energiequelle angestrebten Standort Humberg. Möglichweise weist der Regionalverband Donau-Iller zusätzlich noch bei Mühlhausen ein weiteres Windkraftgebiet aus. Die Basis-Karte stammt aus der Umwelt-App des Landes Baden-Württemberg.