Warnung vor der totalen Erschließung der Fläche mit Windkraft
Eintürnenberg – Die Ortschaft Eintürnen, ein Ortsteil von Bad Wurzach, steht im Fokus eines Windkraft-Projektierers, der sowohl westlich des Ortes – im Alttanner Wald – als auch auf dessen Ostseite – im Hummelluckenwald – die Errichtung von Windkraftanlagen plant. Am Dienstagabend, 18. Juni, fanden deshalb in der Festhalle Eintürnenberg zu Windkraft und Energiewende generell und zur Betroffenheit Eintürnens und des Wurzacher Riedes im Besonderen Fachvorträge statt, angeboten vom gemeinnützigen Verein Landschaftsschützer Oberschwaben-Allgäu e. V. Referenten waren Diplomphysiker Dr. Wolfgang Hübner, der Betriebswirt Friedrich-Thorsten Müller, der Eintürner Ortsvorsteher Berthold Leupolz und der Naturfilmer und Vorstand des Vereines der Landschaftsschützer, Reinhold Mall. Unisono warnten die Referenten vor einer flächendeckenden Erschließung mit Windkraft.
Warnende Stimmen: Friedrich-Thorsten Müller, Reinhold Mall, Dr. Wolfgang Hübner und Berthold Leupolz übten Kritik an der weitreichenden Windkraft-Erschließung in Oberschwaben. Foto: Uli Gresser
Dr. Wolfgang Hübner engagiert sich seit etwa sechs Jahren zu Fragen der Energiewende, zur Sinnhaftigkeit des flächendeckenden Ausbaus von Wind- und Solaranlagen sowie zum Gesundheitsschutz im Nahfeld von Windkraftanlagen. Thorsten Müller befasst sich seit 14 Jahren mit den „Möglichkeiten und Unmöglichkeiten“ (O-Ton Müller) der Energiewende. Eintürnens Ortsvorsteher Berthold Leupolz hat die besondere Windkraft-Betroffenheit der Ortschaft Eintürnen dargestellt. Reinhold Mall, Vorsitzender der Landschaftsschützer, ging auf die Besonderheit unserer Landschaft ein. Neben rund 200 weiteren Besuchern war auch Wolfgang Heine, Verbandsdirektor des Regionalverbandes Bodensee Oberschwaben, zu dem Themenabend gekommen, als Gast und Zuhörer, wie er in einer kurzen Wortmeldung kundtat.
„Bewahren Sie die Integrität der Landschaft rund um das Wurzacher Becken“
Reinhold Mall, Vereinsvorstand der Landschaftsschützer, eröffnete die Reihe der Vorträge bei der Veranstaltung, die unter dem Motto „Landschafts- und Lebensräume im Umbruch“ stand. Er zeigte Bilder und Filmausschnitte der Landschaft und Tierwelt des Wurzacher Beckens und brachte diese in Verbindung mit Zitaten der für das Europa-Diplom zuständigen Expertengruppe beim Europarat. Diese drückten, nachdem sie im vergangenen Jahr zu den Bauplänen für Windkraftanlagen im Bereich des Naturschutzgebietes Wurzacher Ried konsultiert worden waren, „tiefe Besorgnis über die Baupläne von Windparks in der Nähe des Naturschutzgebietes“ aus. Mall zitierte auch den Satz: „Bewahren Sie die Integrität der Landschaft rund um das Wurzacher Becken und vermeiden sie den Bau von technischer Infrastruktur auf den Hügeln und Kuppen im Sichtbereich des Wurzacher Riedes.“ Desweiteren ersuchte die Expertengruppe die zuständigen Behörden, sich für eine Verlegung der im Hummelluckenwald geplanten Anlagen in ein Vorranggebiet außerhalb des Schutzbereiches einzusetzen.
Mall zeigte anhand eines Schaubildes die Größe der Anlagen zwischen Mittelurbach und Mennisweiler auf, die zusammen mit der Moränenhöhe auf etwa 335 m kommen, also höher sind als der Eiffelturm. Er bemängelte auch die ungleiche WKA-Verteilung im Gebiet des Regionalverbandes (die Kreise Ravensburg und Sigmaringen sowie der Bodebseekreis); im Bereich des Wurzacher Beckens sei derzeit die Planung von 19 Anlagen, im Altdorfer Wald gar von 39 bekannt; im Nordosten und Nordwesten der Region konzentriere sich der geplante Windkraftausbau. Beim Wurzacher Ried werde der Blick auf das so bedeutsame Naturschutzgebiet zukünftig durch mindestens acht bei Osterhofen geplante Anlagen beeinträchtigt. Neuerdings höre man sogar von bis zu zwölf die Grabener Höhe deutlich überragender Anlagen, die im Bereich Osterhofen/Haisterkirch geplant seien.
„Auch die Menschen in den Einzelhöfen brauchen Schutz“
Berthold Leupolz, Gastgeber und Ortsvorsteher von Eintürnen, dessen Umgebung für Radler und Wanderer ein beliebtes Ausflugsziel darstellt, berichtete, dass das Thema Windkraft im Ortschaftsrat intensiv diskutiert wurde. Für ihn sei das Schutzgut Mensch das höchste Gut. Die Abstände zu Anlagen müssten für alle gleich sein, egal ob Einzelhof oder Ortschaft. Für diesen Satz erntete er großen Applaus. „Wir haben hier überall Wohnbebauung“, sagte er mit Blick auf die Streusiedlung geprägte Westallgäuer Landschaft.
Auch ihn habe erschreckt, „dass wir von allen Seiten mit Anlagen zugekleistert werden.“ Er sparte nicht mit deftiger Kritik: „Wir fühlen uns nicht mitgenommen, sondern ver … .“ Deswegen habe der Ortschaftrat dem Standort Hummelluckenwald nicht zugestimmt. Solange der neue Regionalplan noch nicht in Kraft sei, gelte dieser Standort aber als privilegiert. „Ich hoffe daher, dass die Stadt bereit ist, den Rechtsweg einzuschlagen, um diese Anlagen zu verhindern.“ Eintürnen leide bereits seit 40 Jahren stark unter Schwerlastverkehr, verursacht von fünf Kiesgruben aus der Umgebung. Leben könne der Ortschaftsrat mit maximal einem Standort außerhalb des Wurzacher Beckens.
„Windparkland ist verbrauchtes Land“
Dr. Wolfgang Hübner, Diplom-Physiker, ging in seinem Vortrag „Energiewende im Konflikt mit dem Schutz von Landschaft und Lebensräumen“ hart, aber – argumentativ gut belegt – mit dem deutschen Alleingang in Sachen Energiewende ins Gericht. Im weltweiten Energiemarkt hätten nur arbeitsteilige globale Lösungen eine Chance. „Mit regenerativer deutscher Energieerzeugung sind wir global nicht wettbewerbsfähig.“ Von 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen sei der Klimaschutz nur ein kleiner Teil davon. Ein Windkraft-Ausbau auf 1,8 % der baden-württembergischen Landesfläche werde gerade einmal reichen, um die letzten beiden abgeschalteten AKWs zu ersetzen; aber während diese die Leistung konstant erbrachten, brauchen die „flatterhaften“ WKA als Backup Kohle-, Gas- oder Wasserstoffkraftwerke. Die 1,8 % seien eine politische Zahl, die vortäusche, einen großen Schritt in Richtung Klimaneutralität zu machen; unter dem Strich gebe es aber keinen Zusatzeffekt. „Bei 1,8 Prozent wird es nicht bleiben – es wird ein Nachschlag kommen“, prognostizierte der Physiker mehrfach. Hübner zeichnete das Bild einer flächendeckende Aufstellung von Windkraftanlagen, einer durchindustrialisierten Landschaft. Für Mensch, Tier und Natur bleibe dort kein Platz mehr: „Windparkland ist verbrauchtes Land, wo der Mensch auf Dauer nicht mehr leben kann.“
Eine ähnliche Problematik zeige die 0,2-Prozent-Fläche für Solar. Auf 72 Quadratkilometern ließe sich gerade einmal Dreiviertel jener Energiemenge produzieren, die ein Kernkraftwerk im Jahr produziert hatte. Und wieder sei wegen der unsicheren Produktion ein Backup erforderlich. Dafür werde Ackerland der Futtermittel- und Lebensmittelproduktion entzogen und die Importabhängigkeit Deutschlands erhöht.
Schlaflose Nächte
Dass Windräder in der Nähe von Wohnbebauung zu gesundheitlichen Problemen führen, zeigte Hübner anhand von Beispielen aus Münster und Paderborn. Ursache für schlaflose Nächte sie nicht der Lärm, den die Rotoren verursachten, sondern sind Druckänderungen, verursacht durch den im Sekundentakt durch die Rotorblätter abgehackten Luftstrom.
„Die Anlagen werden besser geschützt als der Mensch“
In diesem Zusammenhang machte Hübner auf einen fast zynisch wirkenden Aspekt aufmerksam: Um Ermüdungsbrüchen der Rotoren vorzubeugen gelten, realisieren die Projektierer in einem Windpark einen Abstand zwischen ihren Anlagen im fünffachen Rotordurchmesser, also mit 900 Metern, während sie auf bis zu 600 Meter an Wohnbebauung herangehen. Hart rügte Hübner, dass die Druckpulse im Genehmigungsverfahren kein Kriterium sind. Die Genehmigungsbehörde, also das Landratsamt, habe ihm bestätigt, dass Luftdruckimpulse „weder gemessen noch bewertet werden“.
Dr. Wolfgang Hübner beendete seinen Vortrag mit diesem Fazit: „Ein deutscher Alleingang bei der Energiewende bewirkt nichts fürs Klima auf der Welt. Aber Deutschland wird bis zur Unkenntlichkeit zerstört. Für Mensch, Tier, Natur bleibt da kein Platz mehr.“
„Die Folge der Energiewende ist Deindustrialisierung“
Friedrich-Thorsten Müller befasste sich unter dem Titel „Denkfehler der Energiewende“ mit ökonomischen Fragen. Der Denkansatz der Bundesregierung, ab 2045 den Energieverbrauch allein aus Erneuerbaren zu bestreiten, könne nicht funktionieren: Die Erneuerbaren könnten nur ein Drittel der insgesamt benötigen Energie bereitstellen. Im Hinblick auf die CO2-Problematik sagte er: Hätte man anstelle der Kernkraftwerke die Kohlekraftwerke abgeschaltet, wäre der ökologische Fußabdruck bereits jetzt deutlich kleiner, der CO2-Ausstoß pro Kopf betrüge dann statt 7,9 Tonnen nur noch 5,9 to (zum Vergleich das kernkraftaffine Frankreich: 4,5 to).
Ein Kernproblem sieht Müller in der fehlenden Speichermöglichkeiten, welche die „zuviel“ von Sonne und Wind produzierte Energie verpuffen lasse.
Ein weiteres Problem: Der Strompreis in Deutschland liegt 2,7-mal so hoch wie auf dem Weltmarkt, trotz oder wegen 56 Prozent Ökostrom. Die viel zu hohen Kosten gelten auch – in Verbindung mit einem 75-prozentigem Energieverlust – bei der Wasserstoffverstromung. Und die chemische Industrie rechne in Deutschland mit dem 1,4-fachen Energieverbrauch, für den Fall, dass die fossilen Energieträger wegfallen.
Bei der Umstellung auf alternative Energien habe Deutschland riesige Nachteile, etwa im Vergleich zu Norwegen: Im dünnbesiedelten Norwegen könnten problemlos Windräder aufgestellt werden. Zusätzlich besitze das Land enormes Wasserkraftpotential, so dass dort die Umstellung von Fossil auf Erneuerbar ohne Wohlstandsverlust erfolgen kann. In Deutschland werde die Folge die Deindustrialisierung sein.
Ähnliche Vorteile hat China. Für das Reich der Mitte, das inzwischen auch in die Erneuerbaren eingestiegen ist, kein Problem. Riesige Solarfelder in der Wüste, gigantische Möglichkeiten mit Wasserkraft sowie die Wasserstoffverstromung im großen Stil führten zu entsprechenden Wettbewerbsvorteilen.
Die Regierenden in Deutschland müssten erkennen, dass jeder Euro nur einmal ausgegeben werden kann und dass der Erhalt der Kaufkraft für die Demokratie überlebenswichtig ist. Hinter allem, was technisch machbar ist, müsse die Frage stehen: „Ist es auch bezahlbar und gibt es Alternativen?“
Ein Fünftel der angedachten WKA werden noch aus dem Plan herausgenommen
Im Rahmen einer kurzen Fragestunde wurde unter anderem auch an Dr. Wolfgang Heine (Foto: Gresser), den Direktor des Regionalverbandes Bodensee-Oberschwaben, die Frage gerichtet, wann denn der Regionalplan in Kraft treten werde und wie es mit den Einsprüchen laufe. Dieser antwortete, dass die rund 8000 Einsprüche voraussichtlich bis Ende des Jahres, wenn es gut laufe, abgearbeitet seien. Dann könne man mit der Flächenreduzierung auf 2 Prozent beginnen (bisher sind im Entwurf des Regionalplanes 2,5 Prozent der Verbandsfläche als WKA-Vorrangfläche ausgewiesen). Die Verringerung von 2,5 auf 2,0 Prozent mache rechnerisch ein Fünftel aus. Da und dort besteht also berechtigte Hoffnung, von Windkraft verschont zu werden.
Uli Gresser