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Anmerkungen zur Unechten Teilortswahl

Wahl heißt Auswahl



Zur Entscheidung des Bad Wurzacher Gemeinderates, es für die im Juni 2024 anstehende Kommunalwahl beim Verfahren der Unechten Teilortswahl zu belassen

Die Unechte Teilortswahl ist ein gutes Verfahren, um in einer parzellierten Flächengemeinde die Vertretung von Untereinheiten zu gewährleisten. Mit Bedacht hat der Landesgesetzgeber dieses Verfahren bei der Gemeindereform vor einem halben Jahrhundert eingeführt – und die meisten Gemeinden mit Gebietszuwächsen haben dieses Verfahren in ihren Hauptsatzungen verankert. So auch Bad Wurzach.

Die Großgemeinde hat gut daran getan. So wurden die Eingemeindungsschmerzen abgemildert. Die neun Landgemeinden, die in den frühen bis mittleren 1970er-Jahren nach Bad Wurzach eingemeindet wurden, hatten so eine garantierte Repräsentanz im neuen zentralen Gemeinderat.

Die Stadträte vom Land waren (und sind) im zentralen Gemeinderat in der Überzahl, eine Relation, die in den Anfangsjahren aus Sicht so mancher Kernstädter als schief empfunden wurde – so sehr, dass vereinzelt der Ruf nach der Errichtung eines Ortschaftsrates allein für die Kernstadt laut wurde. Diese zentrifugalen Überlegungen sind längst in der Mottenkiste des Stadtarchivs verschwunden. Jeder in Stadt und Land spürt: Da ist etwas zusammengewachsen. Der Gemeinderat und die Stadtverwaltung denken und handeln gesamtgemeindlich. Kleinteiliges Kirchturmdenken ist weitgehend verschwunden.

Deshalb ist es hoch an der Zeit, das alte Verfahren zu überdenken. Denn es hat große Nachteile – demokratietheoretische und partizipative. Eine Wahl ist keine Wahl, wenn es keine Auswahl gibt.

Haidgaus leerer Sitz

Zwei Beispiele aus der Kommunalwahl 2019: In Haidgau und in Gospoldshofen hatte sich jeweils nur 1 Kandidat, 1 Kandidatin für die Gemeinderatswahl gefunden. Die beiden Bewerber waren also mit der Nominierung durch ihre Listen quasi schon Gemeinderäte. Die eigentliche Wahl an der Urne hatte nur noch akklamatorischen Charakter – der Wähler hatte keine Auswahl. Im Laufe der Legislaturperiode zog sich der Vertreter Haidgaus im Gemeinderat aus wichtigem persönlichen Grund aus dem Gremium zurück. Da ja kein Ersatzbewerber vorhanden war, hatte Haidgau fortan keine stimmberechtigte Repräsentanz mehr im Gremium (die Ortsvorsteherin ist beratendes Mitglied).

Es fällt auf, dass sich in der Kernstadt relativ mehr Bewerber und Bewerberinnen für die Gemeinderatswahl finden als auf dem Land: Bei der Kommunalwahl 2019 hatten 17 Kernstädter kandidiert und auf dem Land waren es insgesamt 26 Bewerber. Dabei hat die Kernstadt nur halb so viele Einwohner wie die neun Ortschaften zusammen. Der mathematischen Logik zufolge hätten vom Land 34 Bewerber/innen ihren Hut in den Ring werfen müssen. Sind die Bürger auf dem Land etwa politikmüder?

Gewiss nicht. Es liegt an der Sitzzahl-Begrenzung für die einzelnen Wohnbezirke. Wenn, zum Beispiel, für den Wohnbezirk Arnach zwei Sitze im Gemeinderat garantiert sind, dann überlegt es sich der vierte oder fünfte potenzielle Kandidat zweimal, ob er antritt. Der Kernstadt hingegen sind aufgrund Einwohnerzahl und Hauptsatzung sieben Sitze garantiert. Da macht sich der elfte oder fünfzehnte Kandidat berechtigte Hoffnungen.

Mit schwachem Ergebnis Ratsmitglied

Besonders selektiv wirkte das Verfahren der Unechten Teilortswahl zu Zeiten der Dominanz der CDU: Damals hatte ein Nicht-CDUler auf dem Land kaum eine Chance, einen Sitz im Gemeinderat zu ergattern – weil eben beide Sitze (oder der eine Sitz) in den jeweiligen Ortschaften an die Mehrheitspartei gegangen sind. Das wahlverfahrensbedingte Übergewicht der CDU auf der Seite der Land-Gemeinderatssitze wiederum führte dazu, dass bei den kleinen Parteien, für die es Ausgleichsmandate gab (und gibt), Bewerber mit sehr schwachen persönlichen Ergebnissen in den Gemeinderat einzogen.

Auf Ortschaftsebene

Zu hinterfragen ist die Unechte Teilortswahl auch auf Ortschaftsebene. Die Teilgemeinden Dietmanns, Gospoldshofen und Unterschwarzach haben von alters her Unterwahlbezirke mit Garantiesitzen im Ortschaftsrat. So sind im Ortschaftsrat Dietmanns zum Beispiel für den Wohnbezirk Oberschwarzach 2 Sitze garantiert; kandidiert haben 2019 2 Personen. In Rupprechts und im Wohnbezirk Hinterried dasselbe Bild: jeweils 1 Sitz im Ortschaftsrat und jeweils 1 Bewerber. In Hinterried erhielten dazuhin zwei weitere Personen, die gar nicht kandidiert hatten, jeweils 1 Stimme. Wenn nun der eine Gewählte in der Legislaturperiode weggezogen wäre, wäre einer der beiden Zufallskandidaten nachgerückt – da aber beide jeweils 1 Stimme hatten, hätte das Los entschieden. Mit 1 Stimme in einem Ortschaftsrat vertreten – das ist keine demokratische Legitimation!

Dasselbe Bild zeigte sich 2019 auf Ortschaftsebene in Gospoldshofen: Wohnbezirk Albers – 2 Sitze, 2 Kandidaten; Wohnbezirk Bauhofen – 1 Sitz, 1 Kandidat; Wohnbezirk Gospoldshofen (Ort) – 2 Sitze, 2 Kandidaten; Wohnbezirk Wiesen – 1 Sitz, 1 Kandidat. Lediglich im Wohnbezirk Truschwende hatte es eine echte Wahl gegeben: Hier bewarben sich 3 Bürger um 2 Sitze. In der sehr weitläufigen und nicht arrondierten Teilgemeinde Gospoldshofen macht die Unechte Teilorts-„wahl“ dennoch Sinn, sind so doch alle Wohnplätze im Ortschaftsrat vertreten. Offenbar gibt es in den jeweiligen Wohnplätzen eine Übereinkunft, wer in den Ortschaftsrat entsandt wird.

Auch in der Teilgemeinde Unterschwarzach wird eine Unechte Teilortswahl durchgeführt. Für den Wohnbezirk Unterschwarzach (Ort) sind 6 Sitze im achtköpfigen Ortschaftsrat reserviert: 2019 hatten sich 10 Personen um die 6 Sitze beworben. Je 1 Sitz im Ortschaftsrat haben Eggmannsried und Truilz. In Eggmannsried hatten sich 2019 2 Personen, in Truilz 1 Person beworben.

Trotz fehlender Wahlmöglichkeiten hat die Unechte Teilortswahl auf sublokaler Ebene eine gewisse Berechtigung. Statt „Wahl“ ist hier aber eher von Delegation zu sprechen in dem Sinne, dass Wohnplätze ihre Sprecher entsenden. Auf Gemeindeebene aber überwiegen die Nachteile des überkommenen Verfahrens.

Das Verfahren mit Leben erfüllen!

Für die Wahl 2024 hat der Bad Wurzacher Gemeinderat entschieden, das bisherige Verfahren beizubehalten. Das aber verpflichtet die Bürgerschaft zu aktiver Teilnahme an der Wahl. Es kann nicht angehen, dass in 1-Mann-Wahlbezirken nur 1 Person antritt. Entsprechendes gilt natürlich für 2-Mann-Wahlbezirke. Die Bürgerschaft hat es in der Hand, das Verfahren der Unechten Teilortswahl mit Leben zu erfüllen. Oder es ad absurdum zu führen.

Kein Aufreger

Nach der Kommunalwahl 2024 sollte das Thema vorurteilsfrei und ohne Emotionen diskutiert werden. Als in Leutkirch, mit einer Gemeindefläche von 175 Quadratkilometern größenmäßig vergleichbar mit Bad Wurzach (182 Quadratkilometer), die Abschaffung der Unechten Teilortswahl anstand und man Bürgerprotest befürchtete, setzte man eine große Info-Veranstaltung in der Festhalle an und ließ einen Professor von der Verwaltungshochschule Ludwigsburg kommen, auf dass dieser die Bedenken des Wahlvolkes zerstreue. In die Festhalle gekommen war außer Gemeinderäten und Mitgliedern der acht Ortschaftsräte kaum ein Bürger: Das Thema ist kein Aufreger mehr.

Das Gewicht einer abgegebenen Stimme

Leutkirch, Isny und Aulendorf haben es vorgemacht, haben die Unechte Teilortswahl abgeschafft. Kißlegg dagegen hat für die Beibehaltung optiert. Dort aber gibt es nur zwei Ortschaften. Die Verwerfungen, bedingt durch das Verfahren der Unechten Teilortswahl, sind in Kißlegg in Summe nicht so problematisch wie in einer Großgemeinde wie Bad Wurzach. Das grundsätzliche Problem besteht aber hier wie dort. Es besteht darin, dass nicht jede abgegebene Stimme gleich viel wiegt.
Gerhard Reischmann




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