Im Sinkflug
Bad Wurzach – Bereits seit über 50 Jahren wird in Deutschland jedes Jahr ein „Vogel des Jahres“ gekürt. Anfangs durch die Naturschutzverbände, inzwischen durch eine Wahl der Bevölkerung. In diesem Jahr hat der Kiebitz das Rennen gemacht. Mit dem Slogan „Wasser marsch“ steht er dabei auch für den Schutz seiner Lebensräume: Moore und andere Feuchtgebiete.
Mit seinem Wahlsieg ist der Kiebitz nur vordergründig ein Gewinner, denn zur Wahl stehen insbesondere Vogelarten, die direkt oder durch den Verlust ihrer Lebensräume bedroht sind und daher stärker in das Bewusstsein gerückt werden sollen. Dabei war der Vogel mit der markanten Federholle auf dem Kopf und dem charakteristischen, schmetterlingsarten Flug früher ein Allerweltsvogel und nahezu überall auf Wiesen, Weiden und Äckern anzutreffen. Weithin hörbar schallte sein „Ki-witt, k-iwitt“ durch die Landschaft, das dem Vogel auch seinen Namen gab. Übersetzt als „Komm mit, komm mit“ interpretierte man die Rufe in manchen Gegenden allerdings als Lockrufe in die Unterwelt und stigmatisierte den Vogel so zum Unheilbringer. Andernorts galt er als Glücksbringer oder Liebesmagier, was nicht weiter verwundert, wenn man die extravaganten Flugdarbietungen der werbenden Kiebitz-Männchen betrachtet. Mit kräftigen Flügelschlägen fliegen sie los, starten dann senkrecht nach oben durch, um sich anschließend mit Überschlägen und Drehungen um die eigene Achse taumelnd nach unten zu stürzen und erst im letzten Moment wieder in die Höhe zu ziehen. Die anspruchsvollen Kiebitz-Weibchen aber geben sich keineswegs mit dieser spektakulären Flugshow zufrieden. Sie fordern auch noch einen wippenden Bodentanz ein, bevor sie mit der Familiengründung einverstanden sind. Das Gelege der Kiebitze ist im Gegensatz zur auffälligen Balz meisterhaft unauffällig. Die vier Eier werden auf den nackten oder nur mit wenigen Halmen angerichteten Boden gelegt, wo sie durch ihre Farbgebung mit dem Untergrund optisch verschmelzen. Sollten sich Fressfeinde nähern, locken die Eltern diese mit vorgetäuschter Flugunfähigkeit humpelnd und mit hängenden Flügeln vom Nest weg. „Verleiten“ nennt man diese raffinierte Täuschungsaktion.
Trotz dieser Anpassungen sind die Rufe der Kiebitze vielerorts verstummt. Früher setzte ihnen eine direkte Verfolgung zu, heute ist es die intensive Landnutzung, die durch Entwässerung von Feuchtgebieten die ursprünglichen Lebensräume der Kiebitze nahezu vollständig zerstört hat. Die Bestände des Flugakrobaten befinden sich im drastischen Sinkflug. In Deutschland ist der Vogel inzwischen stark gefährdet, in Baden-Württemberg vom Aussterben bedroht. Häufig brütet die Art nur noch in Restvorkommen auf Ersatzlebensräumen wie Äckern, wo die kleinen Bestände durch die frühe Bodenbearbeitung und Fressfeinde meist keine Chance haben. Das Naturschutzzentrum Wurzacher Ried hat den Kiebitzschutz in diesem Jahr in den Fokus gerückt. Zehn bis zwölf Brutpaare konnten bereits im und um das Wurzacher Ried festgestellt werden, wodurch die enorme Bedeutung dieses Gebietes wieder einmal unterstrichen wird. Einige Gelege wurden mit Drahtkörben gegen Fressfeinde geschützt. Wundern Sie sich also nicht, wenn Sie bei ihrem Spaziergang mal einen Kiebitz im Korb entdecken. Gute Chancen, die Vögel bei der Nahrungssuche oder ihren Flugdarbietungen zu beobachten, bestehen übrigens im Bereich der Wasserbüffelweide am westlichen Rand des Rieds. Von den vierbeinigen Landschaftspflegern, die sowohl die Strukturvielfalt als auch das Insektenangebot erhöhen, profitiert auch unser Jahresvogel.