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Leserbrief

Aber er steht halt im Naturschutzgebiet



Zur Diskussion um den geplanten Bau eines Naturerlebnis- und Beobachtungsturmes im Wurzacher Ried 

Gut vorbereitet war sie ja, die Einwohnerversammlung der Stadt Bad Wurzach am 24. April im Kurhaus. Eine wirklich gute Präsentation der Geschichte des Turmes und seines aktuellen Standes. Selbst ein kurzer Werbefilm wurde eingespielt, wo unter anderem eine grünschimmernde Zauneidechse zu sehen war, deren Entdeckung von einem 40 m hohen Turm wohl nur schwer möglich sein dürfte. Natürlich alles in Butter und für kritische Fragen saß ein ganzes Aufgebot von Fachleuten bereit, diese auszuräumen.

So stellt man sich eine Kaffeefahrt vor, bei der das zu kaufende Produkt in den höchsten Tönen gelobt und an den Mann bzw. die Frau gebracht wird, wo bei späterer Betrachtung aber doch gewisse Mängel zu entdecken sind.

Klar, vom Standort im Haidgauer Torfwerk aus sind sowohl die Vernässungsmaßnahmen, das vorentwässerte, verheidete Hochmoor als auch das noch relativ unberührte, baumfreie Hochmoor zu sehen. Da macht der Turm schon Sinn. Aber er steht halt im Naturschutzgebiet. Und da verbieten sich eigentlich solche Bauwerke, deren Frequentierung permanent Lärm, Vermüllung und Unruhe in ein ehemals ruhiges Fleckchen bringen. Natürlich ist das nicht so schlimm, wurden doch das Arteninventar, Brut- und Fortpflanzungsstätten, Sichtverbindungen, Fluchtdistanzen usw. der dort lebenden Fauna genauestens untersucht und dem Vorhaben aus dieser Sicht ein Persilschein ausgestellt. Selbst eine Population der nach der FFH-Richtlinie streng geschützten Zauneidechsen musste am geplanten Standort im Naturschutzgebiet weichen. Erst kürzlich verbot das Verwaltungsgerichtshof Mannheim die Umsiedlung einer Zauneidechsenpopulation bei Markdorf, so das die Umgehungsstraße nicht so wie geplant gebaut werden konnte. Im Naturschutzgebiet wird das offensichtlich nicht so streng gehandhabt, wenn, wie in unserem Fall, bereits Tatsachen bezüglich des Standorts geschaffen waren.

Denn es ist doch seltsam, dass der Turm nach Angaben des Architekten bereits 2020 fertig entworfen war und zwar speziell für den Standort im Haidgauer Torfwerk. „An anderen Standorten funktioniert der nicht“, wie er sinngemäß formulierte. Da darf man sich schon fragen, wie ergebnisoffen die vom Regierungspräsidium später geforderte Prüfung von sechs Alternativstandorten in den Jahren 2022 und 2023 erfolgte. Kann man in diesem Fall eine unvoreingenommene Prüfung erwarten?

Natürlich war das Haidgauer Torfwerk einmal eine für damalige Verhältnisse industrielle Ansiedlung. Natürlich wurde dort entwässert und der Moorkörper zerstört. Aber nach Aufgabe der industriellen Abtorfung haben sich eben Bewohner trockener Flächen eingefunden und finden dort einen geeigneten Lebensraum, wie das Vorkommen der Zauneidechse beweist. Aus Industriebrachen entwickeln sich oftmals spannende Biotope mit einem hohen Artenaufkommen. Ein schönes Beispiel sind auch Truppenübungsplätze, die oftmals die letzten Rückzugsgebiete seltenster Tier- und Pflanzenarten sind. Trotz Übungsbetrieb mit großflächiger Bodenverwundung herrscht hier eine große Artenfülle. Das klappt aber nur, weil die Störungen zeitlich begrenzt auftreten und es Tage bzw. Wochen gibt in denen kein Mensch die Flächen aufsucht. Andauernde, permanente Störungen, wie durch den Turm, sind wesentlich problematischer zu beurteilen.

Auch darf die Frage erlaubt sein, wem der Turm denn eigentlich nutzt? Der „Natur“ jedenfalls nicht, auch wenn das in einem Naturschutzgebiet zu erwarten wäre. Das war aber wohl niemals beabsichtigt, ist doch im Förderantrag der Gemeinde vom September letzten Jahres lediglich von einem Tourismusinfrastrukturvorhaben mit überwiegend touristischer Nutzung die Rede. Um dennoch den Belangen des Naturschutzes gerecht zu werden, muss es halt der Namen richten. “Naturerlebnis- und Beobachtungsturm” nennt sich das Projekt und verspricht, zumindest dem Namen nach, erlebnisreiche Naturnähe.

Es ist zu vermuten, dass für viele Besucher das Erklimmen des Turmes das größere Erlebnis darstellt als der Blick auf Wasserflächen und mehr oder weniger mit Bergkiefern bewachsene Moorflächen. Naturerlebnis stellt sich doch in der Regel durch Begehen, Betrachten, Berühren oder Riechen der kleinen Dinge am Wegesrand ein. Die Intensität des Naturerlebens beim Begehen einer „schwankenden“ Moorfläche dürfte doch wesentlich höher sein als der Ausblick aus 40 m Höhe.

Aber der Turm soll ja auch noch als Bildungseinrichtung genutzt werden. Eine Bildungseinrichtung über Moorlebensräume für fast 4 Millionen Euro ist doch in unserem Fall mehr als fragwürdig. Bereits die Dauerausstellung „Moor Extrem“ bietet nicht nur dem Laien eine ungeheure Informationsfülle über die verschiedenen Moorlebensräume. Auch das Torfmuseum ist sauber konzipiert, immer einen Besuch wert und erinnert an vergangene Zeiten. Und die vom Naturschutzzentrum angebotenen Führungen und Exkursionen bieten Naturerlebnis und Bildung par excellence. Selbst bei den Torfbahnfahrten erfährt man einiges über das Moor. Alles in allem ist das bestehende Bildungsangebot zu diesem Thema bereits so umfangreich und gut aufbereitet, dass eigentlich keine Wünsche offen bleiben. Das gleiche gilt für das Anfang der 90er-Jahre umgesetzte Wegenetz im Wurzacher Ried. Die mit viel Sach- und Fachverstand umgesetzte Konzeption präsentiert von den Wegen sowohl alle Moorlebensräume als auch Wiedervernässungsmaßnahmen im Kleinen und veranschaulicht, was sich im Großen im eigentlichen Moorkörper abspielt.

Aus rein touristischer Sicht mag ein Turm dennoch sinnvoll sein, aus faunistischer Sicht ist er für lokale Experten im Haidgauer Torfwerk indiskutabel. Wenn schon der Europarat den Bau eines Turms empfiehlt, müsste es doch möglich sein, einen Standort für einen schlichten Turm außerhalb des Naturschutzgebietes zu finden, der touristisch interessant, die Torfbahnfahrten nicht verunmöglicht und gleichzeitig naturverträglich ist.
Dr. Stefan Hövel, Bad Wurzach (Bürgerinitiative Wurzacher Becken)



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