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Kommentar

Ein Stich ins Herz



Die Erosion des kirchlichen Lebens ist längst schon in der Provinz, auch im einst stramm katholischen Oberschwaben, angekommen. In der Amtskirche gibt es seit geraumer Zeit konkrete Pläne, wie man sich angesichts schwindender Mitgliederzahlen von Baulasten lösen kann.  Dieser Prozess bezieht sich zunächst auf überständige Raum-Volumina jenseits der sakralen Räume. Aber es kommen auch da und dort schon Kirchenräume ins Visier.

Noch dramatischer ist es bei sakralen Räumen, die im staatlichen oder kommunalen Besitz stehen. Dort ist ja die emotional-religiöse Bindung nicht vorhanden, dort sieht man nur die Baulast und möglicherweise alternative Nutzungschancen.

Wie schwer sich Städte und Gemeinden angesichts knapper Finanzen und einer grassierenden Säkularisation der Zivilgesellschaft mit der Erhaltung kirchlicher Gebäude tun, zeigt sich am Beispiel der renovierungsbedürftigen Weiler-Kapelle in Osterhofen, die ja im Besitz der Stadt Bad Waldsee steht. Erst ein Kraftakt unter Zusammenfassung verschiedenster Akteure hat das derzeit laufende Sanierungswerk in Gang gebracht. Dazu wurden die Nichtbesitzer Pfarrgemeinde Haisterkirch und Diözese Rottenburg-Stuttgart ins Boot geholt und ein tüchtiger Förderverein tut das Übrige dazu.

Jetzt also die Wurzacher Spitalkapelle. Die Stadt Bad Wurzach, die tapfer ihre vielen Kapellen erhält – zumeist unter fleißiger Mithilfe örtlicher Kapellen-Freunde wie zuletzt in Zwings – hat ein Problem mit „ihrer“ Spitalkapelle. Es gibt keine religiöse Nutzung und es gibt die konkrete Anfrage eines Geschäftsmannes nach Umnutzung und Verwendung zu Handelszwecken.

Das trifft alte Wurzacher ins Herz. Bis 1964 gab es das Spital-Krankenhaus mit Geburtshilfe. Und in der Spitalkapelle wurde getauft.

Was tun mit dem sakralen Raum?

Einen Feinkostladen daraus machen? Bei allem Respekt vor tüchtigen Versorgern mit guten Lebensmitteln – das ist für viele Wurzacher eigentlich unvorstellbar.

Im 19. Jahrhundert, als erste evangelische Christen in Wurzach und Umgebung Fuß fassten, bekamen sie in der Kapelle oben am Leprosenhaus Gastrecht.

Was ist mit den christlichen Gemeinden jenseits der altehrwürdigen Verena-Pfarrei? Wäre die Spitalkapelle nicht geeignet als Andachtsstätte für diese Christen? So wie damals die Leprosenhauskapelle für die Protestanten. Kein Bedarf heißt es bei den Freien Christen, bei der Neuapostolischen Gemeinde und bei der Evangelischen Gemeinde. Alle haben ihre eigenen Gebäude.

Was ist mit kultureller Nutzung? Die Alte Kirche in Mochenwangen und die Alte Pfarr in Wolfegg sind Beispiele für eine raumadäquate Verwendung unter kulturellem Vorzeichen. Ausstellungen, Konzerte, Lesungen – der Vorschlag von Norbert Fesseler achtet die Würde des Raumes.

Stadtführer Peter Körver, der im Rahmen seiner Tour zu Bad Wurzachs stillen Orten regelmäßig die Spitalkapelle aufsucht, ist gar nicht angetan von der angedachten Umnutzung der Spitalkapelle. Er kann sich vorstellen, dass dort der „Wurzacher Altar“ von Manfred Scharpf auf Dauer ausgestellt wird. Das moderne Kunstwerk hat der renommierte Künstler 2012/2013 zusammen mit Schülern des Salvatorkollegs geschaffen. Das durchaus umstrittene Werk war damals in der Spitalkapelle ausgestellt.

Der Schreiber dieser Zeilen möchte den Vorschlag machen, das inspirierende Ambiente des Raumes pädagogisch zu nutzen: Die Bad Wurzacher Schulen könnten dort Religionsunterricht abhalten. Der Raum könnte beflügelnd wirken dahingehend, dass man auch mal ein Gebet spricht oder sich ein geistliches Lied erarbeitet. In einem sterilen Klassenzimmer kommt eine meditative Stimmung zumeist nicht zustande.

Ein ungewöhnlicher Vorschlag. Aber man möge ihn ernsthaft bedenken. Es sollte ein Klassenzimmer sein wie bei einer Fachklasse. Eben das Reli-Zimmer.

Der zeitgenössische Religionsunterricht könnte neue Impulse gut vertragen.
Gerhard Reischmann



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