Viele Argumente gegen Windkraft am Ried
Die Bürgerinitiative “Wurzacher Becken” e. V. hat fristgerecht beim Regionalverband Bodensee-Oberschwaben (RVBO) gegen drei im Umfeld des Wurzacher Riedes geplante Vorranggebiete für Windenergie Einspruch erhoben. Dr. Stefan Hövel, der Vorsitzende der BI, hat der Bildschirmzeitung den Einspruch mit der Bitte um Veröffentlichung zugeleitet. Wir veröffentlichen den Text ungekürzt (die Zwischentitel stammen von der Redaktion der Bildschirmzeitung).
Fristgerecht hat die Bürgerinitiative Wurzacher Becken e.V. am 2. April ihren gemeinsam mit einem Rechtsanwalt verfassten Einspruch gegen die geplanten Vorranggebiete Windenergie beim Regionalverband Bodensee-Oberschwaben abgegeben.
Innerhalb des Wurzacher Beckens
Im Einzelnen handelt es sich um die geplanten Vorranggebiete WEA-436-007 (Osterhofen), WEA-436-019 (Urbach) und WEA-436-032 (Alttann). Alle drei Gebiete liegen innerhalb des Wurzacher Beckens oder wirken direkt auf das Wurzacher Becken ein.
Neben den vom Rechtsanwalt verfassten rechtlichen Bedenken spielen wasserschutzrechtliche, klimawirksame, umweltverschmutzende, vor allem aber Biodiversitätsgründe eine dominierende Rolle.
Das Ried und der Rohrsee
Innerhalb des Wurzacher Beckens liegen die Natura-2000-Gebiete „Wurzacher Ried“ (SPA-8025-401) und Rohrsee (DE-8125-441), die als einheitliches FFH-Gebiet (D -8025-341) gelistet sind. Erstes ist bekanntlich mit dem Europadiplom der Kategorie A ausgezeichnet, zweiteres ist ein international bedeutsames Vogelbrut- und Rastgewässer. Beide Gebiete beherbergen aufgrund ihrer Biotopausstattungen permanent oder zeitweise eine bemerkenswerte Vielzahl geschützter und streng geschützter Vogelarten.
Hotspot der Biodiversität
Während der jährlichen Zugperioden rasten hier täglich zwischen 1000 und 2000 Vögel, als Spitzenwert über 4000 Individuen, bevor sie weiterziehen. Insgesamt wurden bislang rund 285 Vogelarten im oder in der näheren Umgebung des Rohrsees und des Wurzacher Riedes gezählt, die sich zeitweise oder permanent im Wurzacher Becken aufhalten. Damit ist das Wurzacher Becken ein „Hotspot der Biodiversität“ in Baden-Württemberg. Darunter sind hochbedrohte Arten wie Kranich, Schwarzstorch, Wachtelkönig, Purpurreiher oder Wespenbussard. Auch verschiedene Adler schauen hier vorbei, wie Beobachtungen von Schlangenadler, See- und Fischadler zeigen.
Erhöhtes Tötungsrisiko
Auch im „Fachbeitrag Artenschutz für die Regionalplanung Windenergie“ der Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg (LUBW), der im Übrigen bindend für den Regionalverband bei der Ausweisung von Vorranggebieten ist, wird das Wurzacher Becken hoch gelobt. Dem Fachbeitrag zur Folge ist das Wurzacher Becken für gesetzlich geschützte, windenergiesensible Arten naturschutzfachlich sehr hochwertig. Darüber hinaus kommen hier auch Arten vor, bei denen aufgrund ihrer besonderen Gefährdung und Seltenheit mit einer Verschlechterung des Erhaltungszustands auf Landesebene im Falle der Realisierung der Windparks mit einem erhöhten Tötungsrisiko bzw. einer erheblichen Störung zu rechnen ist. Außerdem wurden von dem Fachbeitrag einige Vogelarten wie Uhu, Kranich oder Schwarzstorch gar nicht weiter berücksichtigt, da sie in Baden-Württemberg so selten sind, die aber im Wurzacher Becken brüten.
Europadiplom: Keine großtechnischen Anlagen auf den Rändern des Beckens!
Und dann gibt’s ja noch das Europadiplom, das nicht gefährdet werden soll und neben dem Wurzacher Ried auch die unverbauten, umgebenden Moränenhügel des Wurzacher Beckens mit in die Gesamtbetrachtung einschließt.
Soweit so gut, sollte man meinen. Aber es müssen Vorranggebiete für Windenergieanlagen her. Und da kann offensichtlich selbst auf derart sensible Bereiche nicht verzichtet werden.
Deshalb hat der Regionalverband in Abstimmung mit Regierungspräsidium und Umweltamt die Grenzen des Wurzacher Beckens „neu definiert“ und einen neuen „Schutzbereich Europadiplom“ ausgewiesen. Nun wird die ursprüngliche, westliche Endmoräne (Wolfegg – Alttann – Urbach – Mennisweiler) sowie der eigentlich mitten im Wurzacher Becken liegenden Rohrsee ausgeklammert.
Die Geologie “angepasst”
Es ist aus unserer Sicht doch äußerst fragwürdig, wenn geologisch definierte und seit Jahrzehnten unstrittige Geländeformationen auf dem Papier verändert werden, um Vorranggebiete in sensibelsten Bereichen ausweisen zu können.
Leben der Vögel außerhalb der Brutzeit nicht berücksichtigt
Bleibt noch die einzigartige Vogelwelt. Um weitere Konflikte zu vermeiden, berücksichtigt der „Fachbeitrag Artenschutz für die Regionalplanung Windenergie“ ausschließlich den Brutzeitaspekt. Eine für die spezielle Situation der Vogelwelt des Wurzacher Beckens erforderliche Berücksichtigung von Rast- und Überwinterungsgebieten von Zugvögeln, Schlafplatzansammlungen sowie Zugkonzentrationskorridoren erfolgte interessanterweise nicht.
Die Zugkorridore führen exakt durch die Windkraftgebiete
Die Zugkorridore der Vögel, die das Wurzacher Becken anfliegen, durchschneiden alle drei geplanten Vorranggebiete. Damit sind nach Schätzungen hiesiger Ornithologen rund 3 bis 4 Millionen Zugvögel zweimal jährlich einem hohen Kollisionsrisiko ausgesetzt. Auch lassen Beobachtungen von Einzelindividuen Rückschlüsse einer engen Vernetzung der drei Vorranggebiete zu, da sie alle drei Gebiete zur Rast und/oder zur Nahrungssuche nutzen und sie dabei mehrmals den Rotorbereich der Windenergieanlagen durchfliegen müssten. Abschaltvorrichtungen an den WEA (Windenergieanlagen) funktionieren nicht zuverlässig und erfassen nur spezielle Arten, nicht aber Kleinvögel.
Kritisch zu betrachten sind auch die Abstände, ab denen nach Angaben des „Fachbeitrag Artenschutz für die Regionalplanung Windenergie“ kein Kollisionsrisiko mehr für bestimmte Vogelarten um ihren Nest- oder Horstbereich besteht. So sind beispielsweise in Baden-Württemberg Uhu oder Rotmilan ab einer Entfernung von 500 m um den Horst anscheinend nicht mehr durch Windkraftanlagen gefährdet. Allerdings streifen frisch ausgeflogene junge Uhus noch einige Zeit im erweiterten Horstbereich umher, bis sie selbständig sind. Fortpflanzungsunfähige und unverpaarte Uhus legen Strecken um 100 km, ausnahmsweise bis 300 km zurück. Ähnlich hochmobil verhält sich der Rotmilan, dessen Jagdgebiet sich in der Regel bis fünf Kilometer um den Horst erstreckt. Zur Nahrungssuche können aber Entfernungen bis 15 Kilometer, im Extremfall bis 34 km, um den Horst zurückgelegt werden.
Deshalb empfehlen die anerkannten Experten der Länderarbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten, einen Abstand von mindestens von 1500 m um einen Horst. Untersuchungen belegen, dass sich der Rotmilan in Brandenburg inzwischen im Grenzbereich einer Populationsgefährdung bewegt und in Berlin aufgrund von Windenergieanlagen bereits ausgestorben ist.
Anpassung der Gefährdungslage per Federstrich
Das alles interessiert aber unsere Landesregierung nicht. Windenergieanlagen müssen her und zwar um jeden Preis. Dann wird halt die Gefährdungslage einer Tierart auch ohne neue wissenschaftliche Erkenntnisse angepasst. So schreibt die LUBW im Jahr 2015, dass der Schwarzstorch auf jedes fortpflanzungsfähige Individuum angewiesen ist und zu dessen Schutz ein 10.000 m-Prüfradius errichtet werden sollte. Im Jahr 2022 ist er laut LUBW nur noch im Nahbereich von 1000 m in besonders erheblichem Maße beeinträchtigt. Und im Umweltbericht des Regionalverbandes von 2023 wird im lediglich eine „Störungsempfindlichkeit“ attestiert. So kann Arten- und Naturschutz eigentlich nicht funktionieren.
Erhalt der Biodiversität ist überlebenswichtig – für die Menschheit
Den Plänen der Bundesregierung folgend wird der Schutz von Fledermäusen und Vögeln ganz konkret beim Windenergieausbau erschwert, wenn nicht sogar teilweise ausgehebelt. Allerdings ist auch der Erhalt der Biodiversität im öffentlichen Interesse und für die Menschheit weit bedeutender, wie das Zitat der Direktorin des Senckenberg Biodiversität- und Klima Forschungszentrums Frau Prof. Böhning-Gaese belegt: „Der Klimawandel bestimmt, wie wir als Menschheit in Zukunft leben, das Artensterben, ob wir auf der Erde überleben.”
Regenerative Energien: Ja, aber nicht am Ried
Dem ist nichts hinzuzufügen, außer dass trotz dem durchaus berechtigten Ausbau regenerativer Energien akzeptiert werden muss, dass es Standorte beziehungsweise Regionen wie das Wurzacher Becken gibt, wo Windenergieanlagen mehr schaden als nutzen.
Unser Rechtsanwalt hat unseren Einspruch über einen anerkannten Naturschutzverband eingereicht, damit wir uns rechtliche Schritte gegen die drei geplanten Vorranggebiete vorbehalten können.
Dr. Stefan Hövel, Bad Wurzach