Ein Narrenspiel in acht Akten
Bad Waldsee – Beim Narenrechtabholen am „Mittwoch vor der Fasnet“ wird den Zuschauern im Waldseer Rathaus immer ein tolles Spektakel geboten. Unser Reporter Erwin Linder war dabei.
Die Gemeinderäte sitzen gravitätisch in ihren schwarzen Talaren und weißen Puderperücken auf ihren Plätzen. Der Schultes präsidiert die Sitzung mit flottem Federbarett und stilvollem schwarzen Jackett und einer Rüschenbinde um den Hals. Vor sich die edlen Humpen, gefüllt mit Bier oder Wein.
Erster Akt. Der Herold der Zunft kommt in den Ratsaal. Braune Joppe. Weißer Koller. Brauner Hut mit Feder. In der Hand eine Schriftrolle. Er rollt sie ab und verliest das Ansinnen des Elferrates: Nichts Geringeres als die Abdankung des Schultes und seiner Räte für die Fasnetszeit.
Es beginnt ein Rollensspiel. Der Schultes frägt seine Räte. Zuerst heftiges Ablehnen des Ansinnens. Das kommt ja überhaupt nicht in Frage. Dann langsames Zugeständnis: Sollen doch die Narren versuchen, in einer Woche zu erledigen, was wir das ganze Jahr nicht auf die Reihe bringen. Ergebnis: Der Rat gibt auf, der Herold kann die Kapitulation dem Elferrat überbringen.
Zweiter Akt. Die Nachtwächtergruppe entert den Sitzungssaal. Schwungvoll hebt der Büttel die Schelle. Der Trommler schlägt seinen Wirbel und der Büttel schellt aus, was denn im Städtle passierte: „Es ischt eine üble Verleumdung, wenn behauptet wird, die Schilder zur Geschwindigkeitsregulierung in der Innenstadt seien willkürlich mit dem Förderband zur Lärmreduzierung aufgestellt worden; vielmehr ischt es so, wir wollten unter der Bevölkerung maximale Verwirrung stiften und die Lust am eigenen Auto nehmen mit dem Ziel, eine bessere Auslastung des City-Busses, also eine Verdoppelung von 0,2 auf 0,4 Prozent der Fahrgastzahlen zu erreichen. Die abgeschlagene, sorry, raffinierte Verwaltung.“
Oder als Zugabe: „Wir, die Nachtwächtergruppe, die kleinste und sympathischste Randgruppe der Narrenzunft Waldsee e.V., wetten, dass selbst wir es nicht schaffen, für das kommende Jahr einen Verdienstordensträger für die Narrenschelle der VSAN zu finden, der noch weniger mit tatsächlichem Brauchtum und schwäbisch alemannischer Narretei am Hut hat wie der diesjährige Preisträger Thomas Gottschalk.
Dritter Akt. Nachdem der Büttel die Missetaten ausgeschellt hat, betreten der Elferrat, angeführt vom Zunftmeister Roland Haag, und die Prinzengruppe den Sitzungssaal. Der Zunftmeister nimmt seinen Platz am Kopfende, neben dem Schultes ein, die Zunfträte sitzen spiegelbildlich den Räten gegenüber. Schwarz gegen rot. Aber überhaupt nicht politisch. Der Zunftrat liest dem Schultes die Abdankungserklärung und die Übergabe aller Amtsgewalt an den Zunftrat vor. Das Dokument wird unterschrieben und gesiegelt.
Aus den Urgichten ist uns bekannt, dass in unserer Stadt der Federle heimisch war. Auch Schrättele und Schorrenweible, Narro und Faselhannes beweisen, dass uraltes Brauchtum und Volksgut in Waldsee lebendig geblieben sind. Dies schöne Erbe soll stets durch die hochachtbare Narrenzunft weiter gepflegt und der Nachwelt überliefert werden. Der Oberbürgermeister und der Magistrat verbriefen hiermit den gefassten Beschluss:
Vom Gumpigen Dunstig bis zum Aschermittwoch herrscht in Waldsee Narrenrecht und Narrenfreiheit. Wir, Oberbürgermeister und Magistrat, übertragen während dieser Zeit alle Gewalt in unserer Narrenstadt dem Zunftmeister und seinen Räten.
Diesen zur Beurkundung gegeben im Namen des Magistrats.
Am Mittwoch vor der Fasnet, den 7. Februar 2024
Der Oberbürgermeiter Matthias Henne
Vierter Akt. Als äußeres Zeichens seines Machtverlustes muss der Oberbürgermeister sein flottes, mit einer Feder geschmücktes, Barett ablegen und bekommt dafür vom Zunftmeister, getreu dem Elferlied „Der Schultes kriagt an Schtrohhuet, aus isch mit’m Hochmuet“ eine stroherne Kopfbedeckung aufs Haupt gesetzt.
Fünfter Akt. Er gehört dem Hofmarschall. Im Waldseer Fasnetskosmos hat der Hofmarschall in der Prinzengruppe eine wichtige Rolle. Er ist es, der wortgewaltig, mit Witz und feiner Ironie, aber niemals bösartig und verletzend, Menschliches und Allzumenschliches auf die Schippe nimmt.
Gleich vorneweg: Die Anwesenheit hoher Politprominenz spornte Hofmarschall Felix Schmidinger zu Höchstleistung an und er lieferte die bislang beste seiner Reden ab. Für jeden der anwesenden Politpromis hatte er einen Pfeil im Köcher. Hier nur ein paar Kostproben:
Begrüßt Agnes Strack-Zimmermann,
die aus Düsseldorf heut zu uns kam …
der kurze Name, so man will,
wird auch ergänzt mit Dr. phil.
Und verabschiedete sie mit einem gesungenen
Wärst du doch in Düsseldorf geblieben
schöne Agnes, du wirst nie ein Zwerglein sein
Für den Landwirtschaftsminister hatte er parat:
Es geht nicht nur um den Agrar-Diesel,
sondern um die Landwirtschaft von Done und Liesel.
Angst hatte man vor dem Protest in ganzer Fülle
Befürchtungen gab es von Bundesstraßen voller Gülle.
Laut Dir, lieber Cem, ist der Karren so tief im Dreck,
do müsset alle z’sammen schaffen, dass er kommt do weg.
Ein Bauer isch koin doteloser Nerd,
das wusste schon der Bauernjörg.
Für Manuel Hagel:
Von Ehingen auf die Landesbühne
bei der CDU mittlerweile ein wahrer Hüne,
neu als Landesvorsitzender und ziemlich fleißig
du wirst sicher Spitzenkandidat mit Mitte dreißig.
Dabei immer die Rückeroberung der CDU-Hochburg fest im Blick
vielleicht gelingt dir 2026 bei manch konservativem Kretsche-Wähler der Enkel-Trick.
Kurzweilig und mit viel Beifall brachte der Hofmarschall Bundes-, Landes- und die Kommunalpolitik freihändig gereimt in den Sitzungssaal und es folgte der …
… sechste Akt. Ordenskanzler Elmar Kibler konnte die Auszeichnung einer „Obernärrin“ an Conny Zehrer verleihen. „Diamanten, Gold und Silber funkeln in deinem Laden in der Wurzacher Straße, doch der glänzendste Schatz steht mitten im Laden drin, unsere liebe Conny“, so der Ordenskanzler bei seiner Laudatio. Man konnte über die närrische Laufbahn von Conny Zehrer nur staunen. Hofdame, Auftritte beim Zunftball, bei närrischen Gruppen und bis heute mit der Neugestaltung des Ölmühlenmuseum war sie der Zunft immer verbunden und hat diese Auszeichnung redlich verdient.
Siebter Akt. Alle anwesenden Ehrengäste erhielten aus der Hand des Zunftmeisters einen Zunftorden und man versammelte sich zum Umzug um den Stock.
Achter Akt. Ohne Anwesenheit des Reporters der Bildschirmzeitung. Fröhliches Beisammensein der Ehrengäste und sonstigen „Großkopfeten“ im Bürgermeisterzimmer. Und wie meine Mäuschen mir erzählten, soll es dort noch hoch und lustig hergegangen sein …
Text und Fotos: Erwin Linder (mit Stadtsee-Wasser getauft)
Im Artikel „Ein Promi-Aufgalopp wie noch nie“ finden Sie viele Bilder vom diesjährigen Narrenrechtabholen