Zu Allerseelen wurde Mozarts „Requiem“ in der Aulendorfer Martinskirche aufgeführt
Aulendorf – Die katholische Kirche begeht am 2. November das Hochfest Allerseelen. Es ist der Tag des Gedenkens an alle Verstorbenen. Das geschieht durch Gebet, durch Fürbitten und durch den Besuch der Gräber. Zur Aufführung einer vertonten Messfeier für Verstorbene – eines Requiems – gibt es wohl keinen passenderen Termin. Folgerichtig lud Gregor Simon, mehrfach ausgezeichneter Komponist, Chorleiter, Konzertorganist und Kirchenmusiker, exakt an Allerseelen zur Aufführung des wohl bedeutendsten Requiems, geschaffen von Wolfgang Amadeus Mozart.
Capella Novanta (vorne) und Konzertchor Oberschwaben (hinten).
Nur wenige andere namhafte Komponisten wagten sich an die spannungsreiche Vertonung einer liturgischen Messfeier für Verstorbene und alle gingen diese große Herausforderung nur einmal an. Und weil es sich dabei um eine an christlichen Glauben gebundene Herausforderung handelt, ist eine entsprechende Grundhaltung des Komponisten nahezu unabdingbar. Für Mozart trifft dies mit absoluter Sicherheit zu, hat er doch vor „seinem“ Requiem 17 Messen komponiert!
Wie eine ganz normale Messfeier dauert ein nur an die Liturgie gebundenes Requiem gerade mal eine knappe Stunde. Wenn man dazu vier bedeutende Gesangssolisten, das etwa 30 Musiker starke Orchester Capella Novanta und den ca. 50 Sänger umfassenden Konzertchor Oberschwaben aufbietet, wäre die bloße Aufführung von Mozarts „Requiem“ ein kurzes Vergnügen der Konzertbesucher und für die Ensembles zu aufwändig. Daher fügte Gregor Simon ein „Vorprogramm“ hinzu, wie er selbst es bescheiden im Konzertprogrammheft bezeichnet.
Gregor Simon an der Orgel
Schon dieses Vorprogramm aber setzte tolle Ausrufezeichen hinsichtlich des hohen Niveaus der Konzertierenden. Den Auftakt bot Simon selbst an der Orgel mit dem Stück „Arcaico“. Dieses eigentlich rhythmisch-heitere Werk, eine Auftragskomposition, ist für Simon eine Inspiration für Glaube, Askese, Mittelalter und Archaik, wie er selbst sagt und man könnte meinen, er ist auch hier schon von den in einem Requiem zu lösenden Spannungen geleitet.
Die Friedenssehnsucht des Arvo Pärt, intoniert vom Konzertchor Oberschwaben
Teil zwei des „Vorprogramms“ war „Da pacem, Domine, in diebus nostris“ des estnischen Komponisten Arvo Pärt. Seine Komposition für ein Friedenskonzert in Barcelona vor 20 Jahren begann zwei Tage nach den blutigen Terroranschlägen auf die U-Bahn in Madrid. In der Interpretation spielte der Konzertchor Oberschwaben mit nur wortlosen Stimmen eine bestens tragende Rolle. Eine fast sphärische Stimmung erfüllte das Gotteshaus und drückte so Friedenssehnsucht überzeugend aus.
Leila Trenkmanns Solo
Der nächste Vorprogrammpunkt war die kompositorische Verarbeitung des Psalms 130 von Heinrich Kaminski. Der Psalmist fleht dort, Gott möge seine Bitte um Gnade erhören und Gott könne ihn doch aus den Tiefen befreien, in die ihn die Sünde gestürzt hat und der Psalmist ermutigt auch Andere, um Vergebung zu flehen, denn man könne doch auf Erlösung hoffen. Die Sopranistin Leila Trenkmann trug dazu ein berührendes Solo vor und der Chor verdeutlichte das Flehen des Psalmisten.
Leila Trenkmann beim Solo.
Gregor Simons „Vaterunser“
Es folgte die von Simon 2023 selbst komponierte Vertonung des „Vaterunsers“ für Chor a cappella, die stimmlich die darin enthaltenen Aussagen oder Bitten nachdrücklich unterstreicht. Passenderweise führte bereits der Schluss des „Vorprogramms“ zu Mozarts „Ave verum“. Darin geht es um die Stärkung der Prüfung des Todes. Unwillkürlich erinnert dies an die Denkweise des Heiligen Franziskus von Assisi, der den Tod Jesu und aller Menschen mit „Schwester“ bezeichnete, den man erwartungsvoll als von Gott barmherzig geschenktes Fest sehen kann, das nie enden werde. Zwar beendet der Tod das Leben, aber er sei eben doch auch als Stärkung zu verstehen. Vor allem Chor und Streicher interpretierten das „Ave verum“ in einer Weise, die Mozarts Absicht deutlich zum Ausdruck brachte, souverän geleitet von Gregor Simon!
Souveränes Dirigat.
Requiem-Ergänzung, dargeboten von der Capella Novanta
Mozarts „Requiem“, der Höhepunkt des Konzertabends, war nun angesagt. Simon erläutert dazu im Programmheft die Entstehung des Werkes. Nach Mozarts frühem Tod mit nur 35 Lebensjahren waren erst zwei Drittel des Werkes fertiggestellt. Seine Schüler Franz-Xaver Süßmayr und Joseph von Eybler wagten anhand von Notizzetteln und mündlichen Aussagen die Vollendung des Werkes. Solche Fertigstellungen sind stets Anlass von Zweifeln, ob denn wirklich im Sinne der begonnenen Komposition gearbeitet wurde. Bis in die Gegenwart gibt es Versuche, sich ursprünglichen Absichten Mozarts anzunähern. Für anspruchsvolle Interpreten eröffnet sich daher die Chance, einer fast taktweisen Auswahl unterschiedlicher Fertigstellungen. Auch der „Requiem“-erfahrene Gregor Simon hat für die Interpretation in der Aulendorfer Kirche davon Gebrauch gemacht, womit nach seiner Überzeugung eine angemessenere Behandlung insbesondere des Orchestersatzes gegeben sei. Damit erlebten die Besucher dieses Abends eine Fertigstellung von Mozarts „Requiem“ aus Süßmayr, von Eybler und ganz aktuell von Howard Arman. Die Capella Novanta setzte diese Idee vorzüglich um.
Die einzelnen Sätze
In den Sätzen Introitus (I) und Communio (VIII) kamen Leila Trenkmann als Solistin und der Chor stark zu Gehör, wo es um Akzeptanz des Todes und die Bitten für das ewige Licht geht. Das Kyrie (II) erbat wuchtig der ausgewogen besetzte Chor, motivierend geleitet von Simon. Mit der aus sechs Abschnitten bestehenden Sequenz (III) kommen abwechselnd Solisten in Sopran, Alt, Tenor und Bass und Register des Orchesters zum Einsatz, wobei Tuba mirum und Recordare besondere Herausforderung sind und bestens gelangen. Leila Trenkmann (Sopran), Barbara Dorothea Link (Alt), Marcus Ullmann (Tenor) und Ekkehard Abele (Bass) konnten dabei gemeinsam und einzeln ihr Können demonstrieren. Eindrucksvoll war der Chor in Dies irae, Rex tremendae, Confutatis und Lacrimosa zu bewundern. In Lacrimosa griff Simon statt auf Arman auf die Süßmayr-Beyer-Fassung zurück.
Leila Trenkmann, Barbara Dorothea Link, Marcus Ullmann und Ekkehard Abele (von links).
Erstaunlich an der gelungenen Wiedergabe war, dass alle Mitwirkenden gleichermaßen das Ohr der Besucher erreichten, was sicher der erfahrenen Leitung so verschiedener Mitwirkenden durch Gregor Simon zu danken ist. So war auch das Sanctus (V) mit Chor und insbesondere Blechregister eine beachtlich aufgefasste Umsetzung der Herrlichkeit von Himmel und Erde. Im Benedictus (VI), dem Lobpreis, leisteten dies neben den Gesangsolisten Chor und Holzregister, im Agnus Dei (VII) Chor und Streicher. Im Communio (VIII) war die friedlich-freudige Ruhe im ewigen Licht sehr wohl vernehmbar, auch in Trenkmanns kraftvoller Stimme. Der aufmerksame Konzertgast sollte vermutlich so an die eingangs verbreitete Freude des Orgelstücks „Arcaico“ erinnert werden.
Hochverdient war schließlich der äußerst lang anhaltende Applaus des dankbaren und zahlreichen Konzertpublikums. Sicher könnte sich auch Mozart selbst mit Simons Aulendorfer Interpretation gut verstanden fühlen.
Text und Fotos: Peter Lutz