Grüne Kreis- und Gemeinderätinnen machen Mut
Bad Waldsee – Spannend von der ersten bis zur letzten Minute war die Filmveranstaltung von Seenema und Grünem Ortsverband am vergangenen Donnerstag (7.3.). Gezeigt wurde anlässlich des Internationalen Frauentags der Film „Die Unbeugsamen“ von Torsten Körner aus dem Jahr 2020. Im Anschluss sprachen Elke Müller, Lucia Vogel, Klara Engl-Rezbach und Hannah Rogosch über den Film und allgemein über das politische Engagement von Frauen.
Der Film portraitiert Frauen aus CDU, FDP, SPD und von den Grünen, die sich „unbeugsam“ den Herausforderungen gestellt haben, ihre politischen Ziele in den Bundestag in Bonn einzubringen und sich in den eigenen Parteistrukturen zu behaupten. Dabei ging es um Themen wie Sexismus, Krieg und Frieden, aber auch darum, einen Teil männlicher Macht zu übernehmen, zum Beispiel in der Ausübung eines Ministeramts oder von führenden Rollen in der eigenen Partei.
Elke Müller und Lucia Vogel Moderatorinnen des Filmgesprächs
Im anschließenden Filmgespräch begrüßten Kreisrätin Elke Müller und Stadträtin Lucia Vogel Klara Engl-Rezbach, Gemeinderätin und Kreisrätin aus Ravensburg von 1989 bis 2009, und Hannah Rogosch, Gemeinderätin seit 2019 in Wangen.
Klara Engl-Rezbach
Für Klara Engl-Rezbach war der Umgang des damaligen Gemeinderats und der Stadtverwaltung mit der Nuklearkatastrophe von Tschernobyl (1986) der Auslöser, selber mitgestalten zu wollen und sich für den Gemeinderat zu bewerben. Sie gründete eine Grüne Frauenliste, von der 1989 zwei Frauen in den Gemeinderat gewählt wurden. Das kostete der Grünen Fraktion damals zwei Mandate, aber im Nachhinein betrachtet, so Klara Engl-Rezbach, hat es dazu geführt, dass seither zur Hälfte Frauen auf den Grünen Gemeinderatslisten aufgestellt werden. Gleich mehrere Errungenschaften konnte Klara Engl-Rezbach aufzählen, so wurde die Sitzungsstruktur und -effektivität angepasst. Haushaltssitzungen von 10.00 bis 22.30 Uhr gehörten bald der Vergangenheit an, auch weil Frauen mit Kindern solche Sitzungstage schlicht nicht umsetzen konnten.
Eine Kindergartenbedarfsplanung und die kontinuierliche und abgesicherte Finanzierung von Frauenprojekten und Trägern wie z.B. Frauen und Kinder in Not e.V. konnten durch das Thematisieren im Gemeinderat zunächst aus der „Tabuzone“ geholt und durch „unbeugsames“ Dranbleiben erreicht werden. Das wichtigste im Rückblick, so Klara Engl-Rezbach, sei das Einbringen von Themen und Anträgen neben der Tagesordnung, die von der Stadtverwaltung kommt. Auch wenn die Anträge nicht durchgehen, so würden Themen angesprochen und Diskussionen angestoßen. Nach drei Jahren kämen diese dann von einer anderen Fraktion wieder und könnten durchgesetzt werden. Grüne und Frauen seien diesbezüglich Wegbereiter, das wüssten auch die Fachleute in der Verwaltung zu schätzen.
Hannah Rogosch
Der Einstieg der 35-jährigen Hannah Rogosch gestaltete sich zunächst ungewöhnlich. 2019 war sie mit Mann und zwei kleinen Kindern frisch aus München wieder nach Wangen zurückgekommen. In der Nominierungsversammlung der Grün Offenen Liste (GOL) wurde der Antrag gestellt, dass der bisherige Fraktionsvorsitzende auf dem Listenplatz 1 kandidieren darf. Dies entsprach nicht dem Grünen Frauenstatut, nachdem ungerade Plätze und damit auch der begehrte 1. Listenplatz den Frauen vorbehalten sind. Hannah Rogosch entschloss sich zur „Gegenrede“ und wurde auf Platz 1 der Liste als Spitzenkandidatin gewählt und am Wahltag dann auch in den Gemeinderat.
In den Fraktionen fehlen Menschen im mittleren Lebensalter, Hannah Rogosch nennt diese Phase „rush hour“. Also, wenn Haushalt, (kleine) Kinder, Berufstätigkeit und weitere Interessen beider Eltern zusammenkommen, sind die zeitlichen Spielräume zu eng, um sich in ein politisches Mandat einzubringen. Es erfordert von beiden Elternteilen eine ehrliche und hohe Bereitschaft, diesen ehrenamtlichen Beitrag zu organisieren ohne dass es zu einseitigen Belastungen kommt. Das in der Gemeindeordnung vorgesehene Kinderbetreuungsgeld sei zwar hilfreich für die Teilnahme an Sitzungen. Aber viele mit einem Mandat verbundenen weiteren Termine wären nicht abgedeckt. Außerdem würden sich Kinder nicht nach Zeitplan „organisieren“ lassen.
Als sie während ihrer Amtszeit, das dritte Kind bekommen hatte, hat ihr Mann es regelmäßig in die Sitzung zum Stillen gebracht, das war neu im Gremium. Hannah Rogosch empfiehlt, schon bei der Partnerwahl solche Themen nicht auszusparen, denn die Mandatsausübung scheitert, wenn der Partner nicht bereit ist, an den Sitzungsabenden die Kinder ins Bett zu bringen und Haushaltstätigkeiten zu übernehmen. Sie hat aber die Erfahrung gemacht, dass mehr geht, als sie zuvor angenommen hatte. Sie würde wieder kandidieren, auch aus der heutigen Perspektive. Motivierend sei der Zusammenhalt und die gute Zusammenarbeit innerhalb der Fraktion, die Rückendeckung, auch weil die Grünen oft diejenigen seien, die einer Beschlussvorlage als einzige nicht zustimmen.
Mit ihrem Thema der „autofreien Innenstadt“ habe sie die Erfahrung gemacht, dass die Verwaltung den Vorstoß der GOL-Fraktion aufgegriffen und letztes Jahr eine Testphase durchgeführt und danach eine Erhebung in Auftrag gegeben hat, wie sich die Innenstadt von Wangen hin zu einem attraktiven und lebenswerten Ort entwickeln kann. Auf die Diskussion der Ergebnisse freut sie sich, weil es um mehr geht, als um wegfallende Parkplätze.
In Wangen hat die GOL-Fraktion außerdem das Thema Klimaziele und klimagerechte Stadt auf die Tagesordnung gebracht. Unter anderem gibt es nun das „Klimakästchen“. Das heißt, dass die Verwaltung alle Beschlüsse auf ihre Auswirkungen aufs Klima überprüfen und begründen muss, ob der Haken ins Kästchen „klimaschädlich“ gesetzt wird oder nicht. Das führt oft zu Diskussionen, wie geprüft wurde und was klimaschädlich ist und diese hält Hannah Rogosch für wichtig.
Frauen denken oft, „ich kann das nicht“ – das stimme nicht. Die Empfehlung von Klara Engl-Rezbach, „gehen Sie mal in eine Gemeinderatssitzung, dort sehen Sie, dass Sie manches vielleicht sogar besser können.“
Ein interessanter Abend für die knapp 30 Zuhörenden und Ansporn, sich als Frau einem kommunalpolitischen Wahlamt zu stellen.