Latent antisemitisch
Zur in Ravensburg abgehaltenen Kundgebung „Oberschwaben for palestine“
In der mich per Mail erreichenden Einladung ist der 7. Oktober 2023 (Terroranschlag der Hamas auf ein Jugendfestival im Süden Israels mit mehr als 1200 Ermordeten) nicht erwähnt. Bemerkenswert für mich ist die Tatsache, dass die Veranstaltung den Titel „Oberschwaben for palestine” trägt und nicht etwa „Israel & Hamas – Stop the war!” Oder: “Oberschwaben für Palästina & das Existenzrecht Israels!” Denn selbst ein „Stop” israelischer (und palästinensischer!) Bombardierung und selbst ein vollkommener Rückzug Israels aus dem Gazastreifen würden die Absicht der islamischen Bruderstaaten, von Hamas und Hisbollah/Iran, den Staat Israel und die Juden ganz auszulöschen, nicht beenden, im Gegenteil!
Unter dem Aspekt der ständigen und stereotypen und relativierenden Verharmlosung des Geschehens vom 7. Oktober 2023 scheint mir eine solch einseitig betitelte Veranstaltung wie in Ravensburg pervers. Denn – und auch das wird ausgeblendet – die Hamas wusste genau, welche Steine und Felsen sie mit ihrem Massaker vor fast 14 Monaten auf der Seite Israels lostritt. Sie ist der Schlächter nicht nur der über 1200 Israelis und der jungen Shani Louk, deren Mutter aus Ravensburg stammt, sondern auch der Schlächter des eigenen Volkes.
Ich habe als Sozialberater rund 20 Jahre lang beruflich mit überwiegend muslimischem Migranten/innen gearbeitet und habe eine positive Haltung gegenüber dem Islam, wie ihn der Koran verkündet. Ich besitze selbst einen solchen mit einem islamisch-theologischen Auslegungsteil. Von Antijudaismus oder Antisemitismus ist da keine Rede. Im Gegenteil. Die positive Darstellung der Söhne Israels zeigt sich beispielsweise in der ersten in Medina offenbarten Sure, in der Gott die Muslime erinnert, sie sollten seiner Gnade, die er ihnen erwiesen habe, gedenken und daran denken, dass Er sie (die Juden) unter anderen Menschen in aller Welt auserwählt habe. Es wird also selbst der Status der Juden als auserwähltes Volk Gottes im Koran anerkannt!
Der Antijudaismus/Antisemitismus unter Muslimen (kein Pauschalurteil!) ist politisch und rassistisch begründet (ich beschäftige mich seit 1980 damit) respektive von dafür missbrauchten Passagen des Korans abgeleitet, welche aus dem historischen und kontextuellen Zusammenhang gerissen wurden. In Deutschland teilen 40,5 Prozent aller Muslime israelbezogene antisemitische Einstellungen, wie aus der Autoritarismus-Studie der Universität Leipzig aus dem Jahr 2020 hervorgeht. Zum Vergleich: bei evangelischen Christen sind es 5,2 Prozent, bei katholischen Christen 7,1 und bei Menschen ohne Religionszugehörigkeit 9,4 Prozent. Und genau das wird sich heute (23.11.) in Ravensburg widerspiegeln – zumindest in den Köpfen der Teilnehmer/innen!
Stefan Weinert, Ravensburg
Anm. d. Red: Der Leserbrief wurde vor der am 23. November abgehaltenen Kundgebung bei der Redaktion der Bildschirmzeitung eingereicht.
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