Mit Liebe zum Detail
Baienfurt – Was für die Berliner die Wühlmäuse, die Nürnberger das Burgtheater, die Stuttgarter die Rosenau ist für die Oberschwaben das Hoftheater Baienfurt. 192 Plätze umfasst allein der Auftrittssaal, weitere Verweiloasen kommen im theatereigenen Restaurant und Biergarten dazu. Die Herbstsaison ist in vollem Gange. Zeit, dem Kleinod der Kultur einen Besuch abzustatten.
So bunt wie der Herbst ist auch das Programm: 14 Veranstaltungen im Oktober, 22 im November, 19 im Dezember, mit einer Vielfalt, wie sie die Kulturlandschaft um Kabarett, Comedy, Lesung und Konzert nur bieten kann. Ausgezeichnete Urgesteine wie Django Asül und Wigald Boning geben sich die Ehre. Prämierte Newcomer wie “Suchtpotenzial” bitten zum Stelldichein. Auch Winnetou, Silberrücken und der Herr der Zwinge schauen in dem Haus mit Fachwerkflair vorbei. 45 Mitarbeitende vor und hinter den Kulissen sorgen Abend für Abend für ein volles Haus, kulinarische Genüsse und unterhaltsame Momente.
Auch an jenem Abend, einem Freitag Anfang November, als wir zu Besuch waren. Der Kabarettist und Autor Michael Altinger steht auf der Bühne mit seinem aktuellen Programm „Lichtblick“, kündigt sich und den Gitarristen Andreas Rother, der ihn begleitet, in schönstem bayerischem Akzent mit den Worten an: „Jetzt gibt es volle Ladung auf die Ohren.“ Die Gitarre surrt, Altinger manifestiert locker ironisch „Ich find dich gar nicht blöd, nur deine Meinung“ ins Mikro. Das Publikum bleibt entspannt gelassen, schmunzelt.
Wie Burt Reynolds auf der Ponderosa-Ranch
Für nicht so Ortskundige: Wir befinden uns zwischen Weingarten und Baienfurt, Ausfahrt Aulendorfer Straße. Ein kleiner Kreisverkehr, saftige Wiesen auf beiden Seiten, klare Sicht über die Berger Höhe, wenn nicht gerade der berühmt-berüchtigte Bodensee-Nebel seine Fühler ausstreckt. Dann ein großes Schild an der Einfahrt. Mit Schwung geht’s in die Kurve. Dynamisch bewegt sich das Fahrgestell. Der Kies unter den Reifen knistert wie Luftpolsterfolie. Die ausgebufften Burt-Reynolds-Filme aus den 1970er- Jahren mit Jane Fonda im Gepäck hätten hier gedreht werden können.
Auf dem Parkplatz angekommen, mutet das Gelände ein wenig an wie die Ponderosa-Ranch der Cartwrights. Im positiven Sinn. Heute würde man eher an die Serie „Yellowstone“ mit Kevin Costner denken. Parkplatz gefunden, Gangway eingeschlagen. Auf dem Weg flackert die Flamme in der Feuerschale und vermittelt ein Gefühl von Warmherzigkeit. Cowboys welcome – und auch alle anderen, die auf Gemütlichkeit, Entschleunigung und ein wenig Abtauchen stehen.
Familiär auf Augenhöhe aus eigener Kraft
Am Eingang steht Salka Böttcher. Sie betreut die Künstler und ist als Leiterin des Abenddienstes, wie sie selbst sagt, gleichzeitig „aufmerksame Gastgeberin“. Auf die Frage, was das Hoftheater besonders macht, hat sie direkt eine Antwort „Es ist der Team-Spirit. Bei uns ist es sehr familiär. Viele Kollegen sind seit Anbeginn dabei und später arbeiten sogar ihre Kinder bei uns mit.“ Alles sei auf Augenhöhe, sagt die gebürtige Tübingerin, die in Paris Kunstgeschichte studierte und durch ihre zahlreichen Reisen durch Australien, Südamerika und Asien ein Gespür entwickelt hat, auf Menschen unterschiedlichster Kulturen positiv zuzugehen.
Eine Eigenschaft, die in der Aufgabe, Künstler zu betreuen, sicher von Vorteil ist. Künstler wie Dieter Thomas Kuhn, der im Rahmen einer deutschlandweiten Jonny- Cash-Hommage-Tour mit vielen anderen bekannten Künstlern auch in ihrem Haus Halt machte. „Im März 2011 sind wir mit einer Idee gestartet, aber niemandem war klar, was es heißt, Gastronomie und Theater zu führen. Die eine oder andere Lehrstunde wurde genommen, Lehrgeld bezahlt, um da zu sein, wo wir heute sind.“
Salka ist mit ihrem Mann, dem Schauspieler und Kabarettisten Uli Boettcher, Gesellschafter des Hoftheaters. Beide lieben das, was sie tun, aus vollster Überzeugung, auch wenn der Weg als privatwirtschaftliches Unternehmen ohne staatliche Förderung manchmal nicht ganz einfach ist. Neben dem Theaterbusiness bieten sie ihre Location deshalb auch für Hochzeiten, Geburtstage und Firmenevents an. Weitere finanzielle Unterstützung erhält das Hoftheater durch Sponsoren. Firmen aus der Region, denen der Erhalt dieses Kleinods der Kultur am Herzen liegt.
Nah an Künstlern und Publikum, damit sich alle wohlfühlen
Die Lacher an diesem Novemberabend in Oberschwaben werden lauter. Aldinger mahnt, Selbstachtung zu bewahren. Sätze wie „Ich bekomme Lob als Hate Speech“ und „In Bayern gilt: Wenn man vorher kifft, darf man gendern“ passen zum Zeitgeist. Smartphone-Neulinge wie „Meine Mama ist in 1000 WhatsApp-Gruppen. Da sagt dann selbst WhatsApp: Was will denn die schon wieder?“ finden genauso ihren Weg wie altbekannte Klassiker „Meine Generation hat ja nur noch Arbeit, Schlafen und Sport. Und manchmal auch Sex. Obwohl, das verbuche ich unter Sport.“
Der gebürtige Landshuter, der den Erlös seines Löwen-T-Shirts, das er auf der Bühne trägt, dem Fußball-Nachwuchs des TSV 1860 spendet und einmal im Monat die Sendung „Schlachthof“ im Bayerischen Fernsehen moderiert, lässt hin und wieder den Gong ertönen und bietet dem Publikum „Wissen, dass man nicht nachgoogeln kann“ an. Nach zweieinhalb Stunden Wortwitz und Musik verabschiedet er sich mit den Worten „Danke Baienfurt. Danke für diesen Abend.“ Er verbeugt sich. Das Publikum klatscht.
Am Ausgang wartet bereits Tommy Seitzinger, Gesellschafter und Geschäftsführer des Hoftheaters und seit 20 Jahren Agent vieler erfolgreicher Kabarettisten und Comedians. Für die “Toten Hosen” hat er mehr als 50 Aftershow-Partys betreut. Seinen Platz jedoch hat er hier gefunden, im Hoftheater Baienfurt. „Das Besondere bei uns ist die Liebe zum Detail. Wir sind nah dran – sowohl an den Künstlern als auch am Publikum. Wir wollen, dass sich alle wohlfühlen. Das macht es aus.“
Salka Böttcher: “Wir sind eine große Familie.”
Michael Altinger bei seinem Gastspiel in Baienfurt. Foto: Fred Nemitz
Zuschauer-“Oscar”
Wer hätte das gedacht: And the Oscar goes to … the Zuschauer. Gemeinsam mit der Kreissparkasse Ravensburg hat das Hoftheater Baienfurt den vermutlich einzigen Kulturpreis in Deutschland ausgelobt, der nicht an Kulturschaffende, sondern an Zuschauer geht. Als „Kulturritter“ werden die Bürger ausgezeichnet, die das kulturelle Angebot in seiner Gänze und Vielfalt nutzen und schätzen.
Mehr unter www.hoftheater.org
Fred Nemitz