Wer im Glashaus sitzt …
Wenn heute, am 24. Juli, in der Gemeindehalle in Bergatreute die 74 neu- bzw. wiedergewählten Mitglieder des Ravensburger Kreistages sich versammeln, werden sie von einer Gruppe von Menschen vor der Halle erwartet. Das sind einerseits die „Freunde der Räuberhöhle” aus Ravensburg und zum anderen das Bündnis „Oberschwaben ist bunt”. Ihr Anliegen ist es, gegen den Einzug der zehn ihrer Meinung nach undemokratischen Mandatsträger/innen der AfD und des „Bauernbündnisses” in dieses Gremium zu protestieren, welche aber demokratisch in den Kreistag gewählt wurden. Jedenfalls hat dies der Kreiswahlleiter so bestätigt. Verzwickt, oder?
Die beiden Gruppierungen wollen aber nicht nur „gegen-protestieren“, sondern auch „für-demonstrieren”, nämlich indem sie den 64 verbliebenen „demokratischen“ Mandatsträgern/innen Tipps für den Umgang mit den „Undemocratics“ geben.
Kann man/frau machen. Ist aber meines Erachtens – und damit stehe ich nicht alleine – ziemlich fragwürdig. Denn abgesehen von der oben angeführten Zwickmühle, die hätte verhindert werden können, wenn selbige Demonstranten vor der Wahl gegen die Zulassung respektive für ein Verbot der „Zehnergruppe“ (sowohl der Wählervereinigung Bürger-Bauern-Mittelstand als auch der Kreis-AfD) demonstriert hätten, wird mit der Demo suggeriert, dass das verbliebene Gremium von 64 Abgeordneten aus CDU, Freien Wählern, Die Grünen, SPD, ÖDP und FDP „demokratisch“ sei. Doch weit gefehlt – quid demonstrandum.
In Sachen OSK Bad Waldsee ging es keinesfalls demokratisch (= im Sinne des Volkes) zu, und in Sachen Landratswahl wohl eher auch nicht. Bei einer Volkswahl hätte es womöglich ein anderes Ergebnis gegeben. So aber ist viel Hinterzimmer-Diplomatie zu verspüren.
Auch besteht der Kreistag zu einem großen Teil aus Bürgermeistern, was demokratietheoretisch problematisch ist, da sie sich dem Landrat verpflichtet fühlen und sind (siehe OSK) und ebenso ihrer eigenen Kommune. Als Kreisräte haben sie den Landrat zu beaufsichtigen, als Bürgermeister stehen sie unter der Aufsicht des Landrats.
Und dann gibt es noch das die Demokratie grundsätzlich zerstörende Parteiensystem mit der jeweiligen Parteien-Philosophie und den weichgespülten Kompromissen und Zugeständnissen und natürlich die „Lex Ravensburgis”, welche auch für den Kreis gilt. Lex Ravensburgis: Auch das ist Hinterzimmer, ist Entscheidungsfindung jenseits demokratischer Transparenz.
Sollen die Damen und Herren des „64er-Zirkels” in den kommenden fünf Jahren erst einmal beweisen, dass sie im Sinne von Bürgern, potentiellen Patienten, Schülern, Auszubildenden, Pflegepersonal, ÖPNVlern, Klimaaktivisten und so weiter … also im Sinne des Volkes handeln.
Und schau’n mir mal, wie sich die anderen schlagen … und sich womöglich am Ende als bürgernäher erweisen – zumindest die beiden vom „Bauernbündnis“.
Für die Demonstranten wie auch für die „Altparteien“ im Kreistag gilt: Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werden.
Seien wir gespannt auf den Wettbewerb: „Wer ist der bessere Demokrat?“
Stefan Weinert, Ravensburg
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