Leutkirch – Wenn es vor 24 Jahren in dem einen Bundesliga-Jahr, das Ralf Rangnick für den SSV 1846 Ulm möglich machte, mal eine so krachende Klatsche wie beim 1:9 gegen Bayer Leverkusen setzte, dann fingen die Fans an zu skandieren: “Und wenn ein Spatz den Boden küsst, steh auf, wenn Du ein Ulmer bist!” Das schien damals gewirkt zu haben, denn die Spatzen rappelten sich jedesmal wieder hoch, verspielten erst im allerletzten Spiel bei der Eintracht in Frankfurt vor 58.000 Zuschauern mit 1:2 den Klassenerhalt.
Es folgten drei Insolvenzen und Abstieg auf Abstieg. Bis als Manager der jetzt 42-jährige Markus Thiele an die Donau kam und das Heft des Traditionsclubs in seine Hände nahm. Ihm gelang in jüngerer Vergangenheit das Kunststück eines zweiten Ulmer Fußball-Wunders: vor zwei Jahren noch in der Regionalliga, spielte der SSV letztes Jahr in der Dritten Liga, schaffte dort auf Anhieb den Durchmarsch und gehört in dieser Saison der 2. Bundesliga an.
Mit nur einem einzigen Zähler nach 5 Spielen aus dem Auswärtsspiel in Paderborn zieren die Donau-Schwaben zusammen mit dem Braunschweiger Traditionsclub derzeit allerdings nur das Tabellenende der Liga. Beim 223. Talk im Bock, den Karl-Anton Maucher sehr sachverständig moderierte, fragte ein Besucher folgerichtig den “Wundermacher”, ob der kultige Imperativ des Jahres 2000 heute noch Gültigkeit habe. Thiele zögerte nicht einen Augenblick, um kurz und trocken mit einem einzigen Wort zu bejahen: “Definitiv!” Ein Raunen im Auditorium war nicht zu überhöhen.
Der noch immer ungebrochen optimistisch gestimmte Geschäftsführer ließ keine Zweifel darüber aufkommen, dass das schon noch klappen werde. Schließlich verfügt der auf einem landwirtschaftlichen Aussiedlerhof Aufgewachsene über einen beachtlichen Erfahrungsschatz. Zunächst aktiv beim heimatlichen Verein des VfR Aalen seine ersten Sporen verdienend, verbrachte er, bevor er bei den Spatzen landete, auch ein Jahr ganz oben im hohen Norden beim FC in der hanseatischen Hafenstadt Rostockt. Die dort gesammelten Erfahrungen schätzt er als so wertvoll ein, dass er sie mitnichten missen möchte.
Das 100 Jahre alte Donaustadion, das im Bundesliga-Jahr bis zu 23.000 Zuschauern Platz bot, ist derzeit mit 17.400 zugelassenen Plätzen total ausverkauft. Der Großteil der Ränge besteht aus nicht überdachten Stehplätzen, für die der Fan 17 Euro berappen muss, aber ungeschützt den Unbilden der Witterung ausgesetzt ist. Obwohl sich die Einnahmen aus den Stehrängen in Grenzen halten, möchte man mit Rücksicht auf weniger zahlungskräftige Fans, insbesondere auf jugendliche, unbedingt daran festhalten.
Die Vereinsfinanzen haben sich in den letzten Jahren prima entwickelt. Betrug der Etat 2021 noch 3,5 Millionen Euro, so ist er bis jetzt auf 25 Millionen gewachsen. Extrem auf acht Millionen gestiegen sind die Einnahmen aus dem Sponsoring, weil es gelang, Sponsoren, zum Beispiel des nur 20 Kilometer entfernten 1. FC Heidenheim zurückzuholen.
Ein Aufstieg wie damals in die 1. Liga scheint nicht auf der Ulmer Agenda zu stehen. Darüber verlor Thiele kein einziges Wort. Jedoch gilt es, sich langfristig in Liga 2 zu etablieren. Auch dafür ist eine neue Arena mit größerer Kapazität und moderner Ausstattung, zum Beispiel Toiletten, unumgänglich. Gespräche mit der Stadt Ulm sind am Laufen.
Um den finanziellen Aufwand zu schultern, müssen Stadt und Verein unbedingt an einem Strang ziehen. Aber: Kann eine Region wie Donau/Ostalb, die unvergleichlich mit Ballungsräumen wie Rhein-Ruhr oder Rhein-Main ist, wirklich zwei Proficlubs der Bundesliga tragen? Zweifel sind angebracht. Schließlich liegt auch die Fuggerstadt Augsburg mit der WWK-Arena für 31.000 Besucher nicht weit entfernt. Im 15. Jahr seiner Zugehörigkeit zur Bundesliga ist der FCA eine fest etablierte Größe geworden.
So stellt sich natürlich immer drängender die Gretchen-Frage: Wann, ja wann wird es endlich so weit sein, dass in Ulm der Knoten platzt und der erste Dreier eingefahren wird, dem dann hoffentlich weitere Siege folgen werden, die das Ziel des Klassenerhalts in immer greifbarere Nähe rücken. Siege ziehen bekanntermaßen mit dem Effekt der Selbstverstärkung weitere Triumphe nach sich. Warum eigentlich nicht auch in der Münsterstadt an der Donau? In Elversberg und daheim gegen Braunschweig sollte eigentlich schon was zu holen sein, bevor es zum hammerharten Auswärtsspiel nach Köln und dann zu Hause gegen den bärenstarken Karlsruher SC geht.
Autor: Horst Hacker