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Gestapo-Hotel-Silber Foto: HdGBW-Daniel-Stauch 57A1673


Stuttgart – Ein Ort der Erinnerungen, kaum bekannt, wie eine Umfrage in meinem Umfeld ergab. In der Weimarer Republik war das ehemalige „Hotel Silber“ von 1928 bis 1933 das Zentrum der Politischen Polizei; nahtlos wurde es unter den Nazis zum Zentrum der Geheimen Staatspolizei, GESTAPO, von Württemberg-Hohenzollern. In der Sonderausstellung „GESTAPO vor Gericht. Die Verfolgung von NS-Verbreche(r)n“ wird eine fast durchgehend skandalöse Phase der westdeutschen Nachkriegsjustiz exzellent recherchiert dargestellt.

Nach dem Krieg war das einstige Hotel von 1949 bis 1984 ein Gefängnis, mitten in Stuttgart, am Charlottenplatz. 2018 wurde es als eine Außenstelle des Hauses der Geschichte Baden-Württemberg grundlegend saniert und zu einem Geschichts- und Gedenkort. In einer Dauerausstellung wird das Selbstverständnis der Polizei in Diktatur und Demokratie reflektiert und die „Geschichte von Polizei, Gestapo und Verfolgung“ in diesem Bundesland dargestellt. 

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Ungefähr 1000 Männer und Frauen hatten sich in Württemberg-Hohenzollern von 1933 bis 1945 der GESTAPO verpflichtet. Die westdeutschen Justizbehörden waren durch die Alliierten verpflichtet worden, deren Verbrechen aufzuklären und sie zu verurteilen. Unmittelbar nach dem Faschismus fanden erste Prozesse zu deutschen Kriegsverbrechen in der Tschechoslowakei statt. Für die Verfolgung, Ermordung und Deportation tschechischer Zivilisten, unter ihnen viele Juden und Widerstandskämpfer, wurde der GESTAPO-Leiter der CSR, Ludwig Greisinger 1947 zu 20 Jahren Haft verurteilt. 1955 wurde er vorzeitig entlassen. Bei seiner Rückkehr wurde er auf dem Tübinger Marktplatz mit einem Blumenstrauß vom Oberbürgermeister Hans Gmelin empfangen. Seine Verurteilung als Kriegsverbrecher wurde in der Bundesrepublik nicht anerkannt. „Wieder kehrt einer zurück“, schrieb das „ Schwäbische Tagblatt“. 

Massendeportationen waren kein Verbrechen

Vor dem Landgericht Ravensburg wurden Eugen Reschle und Helmuth Braun wegen Beihilfe zu Totschlag zu 18 Monaten verurteilt. Nach einem Jahr wurden sie entlassen. Das, lernt man in der Ausstellung, war die Regel. Die württembergische GESTAPO verschleppte zwischen 1941 und 1945 etwa 2.500 Jüdinnen und Juden. Doch es kam nicht zu Prozessen. Vor dem Oberlandesgericht Stuttgart wurde 1951 ein Verfahren eingestellt. Massendeportationen waren im deutschen Gesetzbuch kein Verbrechen. Sie kamen nicht vor. Und „in Deportationen von Tausenden konnten die Angeklagten kein Unrecht erkennen. Der Staat habe sie doch angeordnet“, heißt es in der Ausstelung. Auch beriefen sich die Angeklagten auf „Befehlsnotstand“: Sie hatten, rechtfertigten sie sich, „um ihr Leben fürchten müssen.“ Das mussten sie nicht nachweisen.  

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Vom Naziverbrecher zum Oberregierungsrat

Eine der ungeheuerlichsten Nazi-Biografien im „Hotel Silber“ ist die von Dr. Wilhelm Harster, der über 100.000 Juden und Jüdinnen im August 1942 aus den besetzten Niederlanden deportieren ließ. Unter ihnen Edith Stein, die im Ordenskleid der Karmelitin in der Gasbaracke in Auschwitz erstickte. Angeblich, so formulierte er es vor dem Münchner Schwurgericht im Januar 1967, wo er der Beihilfe zum Mord an 82.856 holländischen Juden angeklagt war, wusste er nicht, was mit den Juden geschah und war rasch wieder ein freier Mann. Mehr noch: aufgrund eines Empfehlungsschreibens von August Geislhöringer von der Bayernpartei, der von 1954 bis 1957 bayerischer Innenminister war, wurde Harster erst Regierungsberater und 1956 Oberregierungsrat. Der jüdische Publizist und Schriftsteller Simon Wiesenthal deckte den Skandal auf. Es war für ihn „ein Akt der moralischen Wiedergutmachung.“ Harster erhielt in Auschwitz die Beinamen „Der Teufel von Auschwitz“ und „der fahrende Tod.“ 

Joachim Kugler, ein anderer der führenden Kriegsverbrecher in der Stuttgarter Ausstellung, erhielt von den dem Tode Geweihten in Auschwitz den Beinamen „Buchhalter des Todes“. Er war, heißt es in Zeugenberichten, „ein korrekter Beamter“. Er wurde für den Auschwitz-Prozess 1965 offensichtlich untersucht, denn einer der Staatsanwälte wird mit dem Ergebnis zitiert: „Der Psychiater fand nichts Außergewöhnliches in diesem Mann.“ Und dazu passt die Aussage von Gerhard Wiese, Staatsanwalt im Auschwitz-Prozess: „Man sieht den Menschen nicht an, was sie getan haben.“ 

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Einen Schlussstrich ziehen

Bereits am 31. Dezember 1949 verabschiedete der Bundestag das „Gesetz über die Gewährung von Straffreiheit“. Bundeskanzler Konrad Adenauer ließ die Frage der Amnestie prüfen. Die junge Republik sollte nicht länger in zwei Klassen geteilt sein, „die politisch Einwandfreien und die politisch nicht Einwandfreien“. 

Am 26. September 1949 hatte der Kanzler im Parlament gemahnt, man solle „für manche Verfehlungen menschliches Verständnis aufbringen“. 

Man vermag nach dieser Ausstellung die Frage zu beantworten, welche „Verfehlungen“ schon 1949 in der Bundesrepublik erst Verständnis fanden, auch in Teilen der Justiz, und bald, mit ein wenig Nachhilfe, „abgelegt“, vergessen  wurden. Man  verlässt diese Ausstellung auch mit der bedrückenden Frage, was diese scheinbar „normalen“ und „korrekten“ Figuren (ausschließlich Männer) zu Menschenverächtern, zu Mördern, viele zu Massenmördern werden ließ, ohne  Empathie und Mitleid, ohne Ethik und jedes Empfinden für Unrecht. Die Mehrheit dieser Täter, ob in der SS oder in der GESTAPO, an Schreibtischen oder in KZs, hatte eine „Höhere Bildung“. Manche gar eine „humanistische“. Was fehlte darin? Was lernen wir daraus für heute?

Die Ausstellung läuft noch bis 2. Februar 2025, Di–So und an Feiertagen 10–18 Uhr, Mi bis 21 Uhr. Dorotheenstraße 10, direkt an der U-Bahn Station Charlottenplatz.

Autor: Wolfram Frommlet



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