In der Wüste gibt es doch nur Sand. Von wegen. Das Erleben der vielfältigen Landschaften der Sahara, der mit zehn Millionen Quadratkilometern größten Wüste der Welt, ist alles andere als öde. Impressionen eines Abschieds.
Ein Sprichwort der Tuareg weiß: Gott hat die Länder mit viel Wasser geschaffen, damit die Menschen dort leben können und die Wüsten, damit sie dort ihre Seele finden. Die nomadischen Wüstenbewohner kennen am besten seit Jahrhunderten das harte Leben in den unfruchtbaren Regionen Nordafrikas und dennoch lieben sie es. Die Zeit der Karawanen ist längst vorbei und die meisten Tuareg sind sesshaft geworden, doch manche begleiten Reisende durch die Wüste. Als Wanderführer, Kameltreiber, Koch oder Geländewagen-Fahrer.
Etwas wehmütig sitze ich Mitte November auf einer dreihundert Meter hohen Düne im Tadrart, einer abgelegen Region westlich von Tamanrasset im Dreiländereck Algerien, Libyen und Niger. Algier, die Hauptstadt von Afrikas größtem Land, liegt über zweitausend Kilometer nördlich davon. Seit über vierzig Jahren reise ich immer wieder nach Algerien. Im eigenen VW-Bus, im Geländewagen oder später als tourguide für einen Münchner Trekkingreise-Veranstalter. Eine Nacht auf der Isomatte unter dem unglaublichen Sternenzelt der klaren Wüstennacht begeistert mich mehr als jedes Sterne-Hotel der Welt. Wanderungen zwischen den Felstürmen des Tassili n’Ajjer, im fast dreitausend Meter hohen Hoggar-Gebirge oder einer der weiten Sandlandschaften sind immer wieder ein großartiges Erlebnis. Die Gespräche mit Mitreisenden am mühsam mit spärlichem unterwegs gesammeltem Akazienholz entfachten Feuerchen, auf dem die Tuareg auch ihren süßen Tee kochen, bleiben oft lange im Gedächtnis. Es ist wohl auch kein Zufall, dass die großen monotheistischen Weltreligionen Judentum, Christentum und Islam in der Wüste entstanden sind.
Ich lasse meinen Blick über das endlose Dünenmeer schweifen. „Meer ohne Wasser“ nennen die Araber die Wüste treffend. Wobei gerade mal zehn Prozent der Sahara aus Dünen bestehen; der Großteil sind Fels, Sandebenen und Schotterflächen. Jede Wüste birgt dabei ihre ganz eigene Schönheit. Das durfte ich in der chilenischen Atacama, der Namib, der äthiopischen Danakil oder der iranischen Dasht-e Lut erfahren. Ich bin dankbar für das Erlebte, möchte aber in Zeiten des Klimawandels keine Fernflüge mehr machen und nehme gewissermaßen Abschied von der Wüste bei dieser Algerientour.
Meine erste Flugreise führte mich 1975 nach Israel, wo ein Freund für die Aktion Sühnezeichen in einem Kinderheim arbeitete. Als Achtzehnjährige erlebte ich neben all den biblischen Stätten wie der Geburtskirche in Nazareth und dem See Genezareth auch die Wüste Sinai. Das Wüstenvirus erwischte mich und ließ mich nicht mehr los.
Zwei Wochen war ich nun fast fünfzig Jahre später „im Land weit draußen“, was Ténéré, wie die Tuareg in ihrer Sprache Tamaschek die Wüste nennen, bedeutet. Wir hatten keinen Nachrichtenempfang und spekulierten darüber, was wohl gerade im Nahen Osten passierte. Die Wirklichkeit sollte uns bald einholen. Sie übertraf unsere Befürchtungen.
Gerne wäre ich noch länger auf meiner einsamen Düne gesessen, hätte den warmen Sand durch die Finger rieseln lassen und die Sonne beim Untergehen beobachtet. „Es macht die Wüste schön, dass sie irgendwo einen Brunnen birgt“, lässt der französische Schriftsteller und Wüstenpilot Antoine Saint-Exupéry seinen Kleinen Prinzen sagen. Bleibt zu hoffen, dass wir auch außerhalb der Wüste die kleinen Inseln der Hoffnung finden.
Text & Fotos: Andrea Reck