In der abendländischen Tradition, sei es aus Sicht der klassischen Antike oder des Christentums, gehört der persönliche Beitrag zum Allgemeinwohl zu einem sinnerfüllten Leben. Immer noch?
Viele Bereiche des öffentlichen und sozialen Lebens würden ohne Ehrenamtliche kaum mehr funktionieren. Neben Betreuung von Kindern, Kranken und alten Menschen zählen dazu Dienste bei Jugendorganisationen, im Natur- und Umweltschutz, im Tierschutz, in Wandervereinen, in der Bewährungshilfe, Telefonseelsorge, in Caritas oder Diakonie, in Hilfsorganisationen, Tafelläden, bei der Hausaufgabenhilfe, als Krankenhauslotsen, in Sport-, Kultur- und anderen Vereinen. Selbst die Freiwilligen Feuerwehren haben neben einigen wenigen hauptberuflichen Mitarbeitern (etwa als Gerätewarte, im Rettungsdienst oder auf ständig besetzten Wachen) größtenteils ehrenamtliche Mitglieder. Laut der Allensbacher Markt- und Werbeträger-Analyse von 2022 sank die Zahl der Ehrenamtlichen in Deutschland von 2020 bis 2022 von 17,2 Millionen auf 15,7 Millionen Menschen. Andere Zahlen liefert die Deutsche Stiftung Engagement und Ehrenamt. Sie meldet „29 Millionen Engagierte in ganz Deutschland – mehr als jede und jeder Dritte bundesweit – gehören zum #TeamEhrenamt! “ Ergebnisse zur organisierten Zivilgesellschaft bietet auch die Umfrage des Think Tanks Ziviz. Demnach stellen Freiwilligen-Organisationen und Vereine ein leichtes Nachlassen des Engagements fest. Jede fünfte Organisation verzeichnete demnach einen Rückgang ihrer Engagierten. Laut der Zuversichts-Studie des Rheingold-Instituts von 2023 ist trotz eines Rückzugs ins Private das Ehrenamt nicht bedroht: 60 Prozent der Befragten gaben an, Kraft daraus zu schöpfen, aktiver Teil einer sozialen Gemeinschaft zu sein.
Wertschätzung ist wichtig
Unbestritten verändert sich die Gestaltung des Ehrenamtes. Menschen engagieren sich eher projektorientiert und kürzer. Das beobachtet auch Rouven Klook (40), seit 2015 Ehrenamtsbeauftragter der Stadt Biberach. Er berät am Ehrenamt Interessierte oder bereits Aktive, plante – zuletzt in diesem Jahr – die Ehrenamtsmesse in der Stadthalle und pflegt die digitale Ehrenamtsbörse, organisiert die Ehrenamtsakademie. „Das Ehrenamt hat sich in den letzten Jahren stark differenziert“, erklärt er im Gespräch. „Die Lust, sich einzubringen ist sehr hoch, sie nimmt sogar in manchen Bereichen zu. Laut dem fünften „Freiwilligensurvey“ ist in den letzten zwanzig Jahren der Anteil der freiwillig Engagierten gestiegen. Deutlich zurück geht aber beispielsweise die Bereitschaft einen Vorstandsposten im Verein zu übernehmen“ Zu Klook kommen nach Vereinbarung eines Termins meist Menschen über fünfzig, oft kurz vor dem Ruhestand, aber auch Jugendliche und Studenten. Er berät über Einsatz- und Fortbildungsmöglichkeiten, vermittelt Kontakte zu Vereinen, klärt über Versicherung und mögliche Bezahlung auf. Manchen Rentnern sei die Aufwandsentschädigung durchaus wichtig, weiß er. Manche Organisationen bezahlen gar nichts, andere bis zu zwölf Euro in der Stunde, vor allem Organisationen, die regelmäßig und dauerhaft Ehrenamtliche brauchen. Dabei sind Übungsleiter- und Ehrenamtspauschalen grundsätzlich steuerfrei.
Was tun bei Konflikten?
Die Stadt Biberach ist Mitglied im Netzwerk Ehrenamt, das von der Caritas betreut wird. In diesem Netzwerk findet Erfahrungs- und
Wissensaustausch statt, es wird Öffentlichkeitsarbeit für das Ehrenamt gemacht und es werden gemeinsam Fortbildungen oder öffentliche Veranstaltungen organisiert. Die Stadt Biberach zeigt Ehrenamtlichen gegenüber besondere Wertschätzung durch den Stadtpass. Er bietet nicht nur Geringverdienenden Vergünstigungen, sondern in beschränktem Umfang auch Ehrenamtlichen. So ermäßigen sich die Gebühren von Kursen der Volkshochschule, der Veranstaltungen des Kulturamts, des Museums, der Stadtbücherei und der Bäder. Gut angenommen wird die kostenlose Vortragsreihe „Ehrenamt erfolgreich gestalten“ mit Themen wie Konfliktmanagement, Versicherungen, Aufwandsentschädigung und Social Media für Ehrenamtliche. Organisiert haben diese Vortragsreihe für Ehrenamtliche die Stadt Biberach, das Stadtteilhaus Gaisental und der Stadtseniorenrat. Viel nachgefragt werden Hilfen für Ältere und Hausaufgabenbetreuung. Gibt es Betätigungsfelder, die Klook besonders am Herzen liegen? „Ich werbe immer für die Bahnhofsmission. Die machen eine sehr gute Arbeit und brauchen Leute, die regelmäßig Schichten übernehmen. Zum Glück haben sie einige langjährige Helferinnen und Helfer, die wirklich brennen für ihre Aufgabe.“ Groß war 2022 die Bereitschaft, Geflüchteten aus der Ukraine zu helfen, etwa bei dem Projekt zusammen mit der polnischen Partnerstadt Schweidnitz. „Wir haben bei der Stadt Freiwillige in sehr unterschiedlichen Bereichen. Nur um mal zwei Beispiele zu nennen: Sie sortieren Bücher in der Stadtbücherei oder helfen beim Schmücken des Christkindlesmarktes“, führt Rouven Klook aus.
www.biberach-riss.de/Stadt-und-Politik/Bürgerengagement/Ehrenamtsbörse/
www.deutsche-stiftung-engagement-und-ehrenamt.de
www.ziviz.de/publikationen/engagement_im_wandel
INFO: Ehrenamt
Die Mitbestimmung des Bürgertums war bereits in der Preußischen Städteordnung von 1808 festgeschrieben. In ihr hat auch der Begriff der ehrenamtlichen Arbeit ihren Ursprung. Paragraph 191 legte fest, dass die Bürger zur Übernahme öffentlicher Stadtämter verpflichtet werden konnten, ohne dafür Entgelt zu beanspruchen.
Ein Ehrenamt ist ein Engagement in öffentlichen Funktionen, legitimiert durch eine Wahl (zum Beispiel in den Vereinsvorstand, zum Ratsmitglied, als Wahlhelfer oder zum Schöffen). Der Begriff ist in der Umgangssprache nicht klar von bürgerschaftlichem Engagement oder Freiwilligentätigkeit abgegrenzt. Hierunter wird üblicherweise Handeln im Interesse des Gemeinwohls verstanden, bei dem unentgeltliche Arbeit geleistet oder eine Aufwandsentschädigung gewährt wird.
Autorin: Andrea Reck