Skip to main content
Fabian Gmeinder und Sarah Göser, Schüler und Schülerin am Gymnasium Ochsenhausen, vor der Infotafel am Rathaus, die an die einzige jüdische Familie und ihr Schicksal erinnert. Foto: Andrea Reck

Ochsenhausen – Vor dem Rathaus in Ochsenhausen erinnert seit dem 7. Juli eine Infotafel an die Vertreibung einer jüdischen Familie aus der ehemaligen Nazi-Hochburg. Zu verdanken ist sie zwei bemerkenswerten Siebzehnjährigen vom Ochsenhauser Gymnasium.

Sarah Göser und Fabian Gmeinder, beide 17 Jahre alt, gehen gerne auf Partys. Ganz normale Schüler der 11. Jahrgangsstufe des Ochsenhauser Gymnasiums. Doch nebenher haben sie rund 300 Stunden ihrer Freizeit investiert für die Recherche über die Lebensgeschichte einer jüdischen Familie in Ochsenhausen.  Haben online in den Arolsen Archives, dem internationalen Zentrum über NS-Verfolgung, und in australischen Archiven sowie vor Ort im Staatsarchiv in Sigmaringen nach Hinweisen gesucht, um Details über Theresia und Adolf Haarburger und deren Nachkommen zu finden. Die Forschenden waren im Rahmen des Kursprojekts „Auswirkungen der Gleichschaltung auf die Jugendlichen anhand des Marktflecks Ochsenhausen“ auf die einzige jüdische Familie im Ort gestoßen. Und dies nicht im Rahmen eines Geschichts-Leistungskurses (der nicht zustande kam), sondern aus eigenem Interesse und Antrieb.

ANZEIGE

Bereits in der 9. Klasse hatte Geschichtslehrer Frank Heckelsmüller Fabian Gmeinder aufmerksam gemacht auf die Vorarbeit einer ehemaligen Geschichtslehrerein, die vor 30 Jahren über Familie Haarburger geforscht hatte. Heckelsmüller hatte 2015 in einem Roman „Einigkeit, Unrecht und Freiheit“ die Geschichte von Franz Fricker erzählt, der 1890 in Barabein geboren wurde, seinen Großvater. Er beschreibt in einem Interview Ochsenhausen als „eine kleine NSDAP-Hauptstadt in der Umgebung“. Fabian Gmeinder fand zusammen mit Sarah Göser, die in der 10. Klasse dazu stieß, in den Archiven bestätigt, dass die NSDAP-Funktionäre in der Gemeinde sehr geachtet waren. Es gab ein antisemitisches Theaterstück, die Karnevalsgesellschaft präsentierte rassistische Umzugswagen. Lediglich der katholische Kolpingverein hielt Abstand. Wer in der Partei war, durfte nicht Mitglied des katholischen Gesellenvereins sein. 1933 wählten fast 45 Prozent der Ochsenhauser die NSDAP, etwas mehr als der Durchschnitt in Württemberg. Ochsenhauser waren auch beteiligt bei der Brandstiftung in der 2300-Einwohner-Gemeinde Buchau, wo damals knapp 200 Juden lebten. In der Pogromnacht des November 1938 misslang der erste Versuch von SA-Männern aus Ochsenhausen und Saulgau, die Synagoge in Brand zu setzen, da Buchauer Einwohner das Feuer löschen konnten. Erst beim zweiten Versuch in der folgenden Nacht brannte die Synagoge bis auf die Grundmauern nieder.

Deportation nach Theresienstadt

Adolf Haarburger, dem nach einer Verletzung im Ersten Weltkrieg ein Bein amputiert worden war, zog mit seiner Frau 1922 von Baisingen nahe Rottenburg am Neckar, wo es eine jüdische Gemeinde mit Synagoge und Friedhof gab,  nach Ochsenhausen, eine arme, landwirtschaftlich geprägte Gemeinde. Sie wohnten im ersten Stock des heutigen Gasthauses Pizzeria zur Alten Post. In einem Raum im Erdgeschoss verkaufte Theresa Schuhwaren, das dokumentieren auch Anzeigen im Rottum-Boten. Wenige Tage nach dem Umzug wurde Tochter Luise geboren, 1923 Sohn Manfred. Beide gingen auf die katholische Volksschule. Luise besuchte ab 1935 die Realschule in Laupheim. Die wirtschaftliche Lage der Familie Anfang der dreißiger Jahre war schlecht, der Viehhandel Haarburgers lief schleppend, Adolf half seiner Frau beim Schuhverkauf, der Invalide fuhr mit dem Fahrrad bis ins Illertal zu Kunden. 1936 kündigten die Vermieter auf Druck der Nationalsozialisten Wohnung und Geschäftsräume. Die Familie zog zurück in Adolfs Heimatstadt Baisingen. 1942 wurden beide in das Ghetto Theresienstadt in der besetzten Tschechoslowakei deportiert. Adolf half bei der Reinigung der Latrinen, Theresa arbeite als ausgebildete Krankenschwester im Siechenheim. Ende 1944 entgingen sie dem Abtransport nach Auschwitz und wurden im Mai 1945 von der Roten Armee befreit, Adolfs Bruder Ludwig war in Theresienstadt gestorben. Adolf und Theresia zogen nach Baisingen und emigrierten 1953 nach Victoria/Australien, wo ihre Kinder lebten. Wann Tochter Luise Ochsenhausen verlassen hatte, ist nicht bekannt. Nach ihrer Krankenschwesterausbildung in Köln begleitete sie einen Transport nach Theresienstadt. Nach eineinhalb Jahren kam sie ins KZ Auschwitz und wurde schließlich in Bergen-Belsen von den Briten befreit. 1947 heiratete sie den polnischen Juden Felix Salcman und wanderte mit ihm nach Australien aus. Mit ihrem zweiten Mann bekam sie Sohn Eric. Sie starb 2010.

ANZEIGE

Videobotschaft aus Colorado

Wie aus einem Video hervorgeht, das die beiden Gymnasiasten von Greg Haarburger aus Colorado erhielten, war sein Vater Manfred, Luises Bruder, mit einem Kindertransport über die Schweiz nach England gekommen. Er spielte Fußball für Aston Villa. Später zog er mit seiner Schwester nach Australien und heiratete Eva, eine Christin aus Wien. Als er später einmal auf Besuch zu einem Jahrgänger-Treffen nach Ochsenhausen kam, das müsste 1965 gewesen sein, stieß er auf Ablehnung. 

Fabian Gmeinder und Sarah Göser würden gerne die Haarburgers aus Colorado bewegen, nach Ochsenhausen zu kommen. Die beiden haben schon viel erreicht. Der Bürgermeister von Ochsenhausen Philipp Bürkle war gleich Feuer und Flamme für den Vorschlag, am ehemaligen Wohnhaus der Familie eine Infotafel aufzustellen, auch der Gemeinderat plädierte dafür. Sie wurde schließlich in Sichtweite des Wohnhauses jenseits der Rottum vor dem Rathaus aufgestellt und am 7. Juli nach einem Vortrag der Forschenden mit vielen Besuchern enthüllt. Natürlich ist auch ein QR-Code darauf mit weiteren Informationen. 

Wie kamen die beiden dazu, sich für dieses Thema zu engagieren? Sarah Göser, die aus einer Lehrerfamilie in Kirchheim stammt, erinnert sich, schon als Kind viel vor Geschichtsbüchern gesessen zu sein. Ein Besuch im Laupheimer Museum zur Geschichte von Christen und Juden in der 6. Klasse hat sie beeindruckt und ihr Interesse an verschiedenen Religionen geweckt. Sie will selbst Geschichte und Politikwissenschaft für Lehramt studieren. Fabian, der sich in der DLRG engagiert und in der Schule Ski-Mentor ist, plant, Jura zu studieren. „Meine beiden Opas haben mir viel von früher erzählt“, erklärt er sein Interesse für Geschichte. „Beim Entziffern der Sütterlinschrift hat mir meine Oma geholfen“. 

Gegenwind haben die Jugendlichen wegen ihres Engagements noch nicht gespürt. Bedenklich sei, wenn man aktuell an verschiedenen Stellen wieder Lieder mit antisemitischen und rassistischen Inhalten hört, so Fabian, der ebenso wie Sarah Göser weiß, wie viel Aufklärungsbedarf besteht. 

Buchtipps:
Franz Fricker: Einigkeit, Unrecht und Freiheit, 3 Bände, 2020, Books on Demand, je 15,99 €.
Ludwig Zimmermann: Das katholische Oberschwaben im Nationalsozialismus, Eppe Verlag Aulendorf 2021, 30 €.
Peter Eitel: Geschichte Oberschwabens Band 3; In den Strudeln der großen Politik (1918-1952). Jan Thorbecke Verlag 2023; 34 €

Autorin: Andrea Reck



NEUESTE BLIX-BEITRÄGE

Editorial BLIX Januar/Februar 2025

Liebe Leserinnen, liebe Leser, das Jahr 2024 ist Geschichte. Es war anstrengend, wie ich finde. Also freuen wir uns auf das neue Jahr 2025 und hoffen auf Leichterung. Und bevor ich jetzt gleich wieder gegen meinen Skeptizismus ankämpfe, will ich mich bedanken:
erschienen in: BLIX Januar/Februar 2025

Jahresillustration 2025

Zum schmunzeln und nachdenken. Von unserem Illustrator Michael Weißhaupt.
erschienen in: BLIX Januar/Februar 2025

Ahnungslos

Die Aufgabe lautete: mit Hilfe Künstlicher Intelligenz (KI) eine autokratische Person zu kreieren, die sich um den Job des Bundeskanzlers bewirbt. Sechs ExpertInnen fanden sich im Auftrag des SWR dafür in einem Studio in Hamburg zusammen, um dieses Experiment vor laufender Kamera zu wagen. Florian Vögtle ist einer davon. Der Multimedia-Unternehmer aus Aulendorf ist als Social-Media-Experte gefragt und dafür verantwortlich, dass der virtuelle Bundeskanzlerkandidat über die diversen Internet-Ka…
erschienen in: BLIX Januar/Februar 2025

Auf dem Weg „zur Hölle“

Weingarten – „Die Digitalisierung überrennt Gesellschaft, Unternehmen und jeden Einzelnen von uns mit unvorstellbarer Dynamik und Wucht. Während manche Auswirkungen in unserem Alltag sichtbar und spürbar sind, bleibt vieles andere vage und im Verborgenen“, erklärt Prof. Bela Mutschler in seinem Blog und benutzt das Bild eines Eisbergs, um die Situation zu beschreiben. „Gesellschaft, Unternehmen und Individuen sehen vor allem das, was über der Wasseroberfläche zu erkennen ist“, und damit …
erschienen in: BLIX Januar/Februar 2025

„Wir wollen keine Verbotskultur“

Allgäu / Oberschwaben – Nicht alle sehen das geplante Biosphärengebiet Allgäu-Oberschwaben als Chance für Mensch, Tier, Natur und Umwelt. Eine Allianz von Forstbesitzern und Landeigentümern formierte sich während des breit angelegten Prüfprozesses gegen das Projekt. 
erschienen in: BLIX Januar/Februar 2025

Irregeleitet

Ravensburg – Der Sturm um das Glashaus hat sich noch nicht gelegt, sollte die Hoffnung bestanden haben. Die Diskussion um die Rechtsdrift der Schwäbischen Zeitung hält an. Nachdem die KollegInnen von der Süddeutschen über die taz bis zur ZEIT und FAZ der Chefredaktion in Ravensburg ein schlechtes Zeugnis für gefällige Interviews mit AfD-Mann Krah und dem Rechtsaußen Maaßen ausstellten und fleißig in der miesen Stimmung im Glashaus rührten, rumort es in der Leserschaft weiter. Der folgende Off…
erschienen in: BLIX Januar/Februar 2025

Glänzende Aussichten

Biberach – Die „Oma & Opas for Future Biberach“ veranstalten im Januar die Karikaturenausstellung „Glänzende Aussichten“. 
erschienen in: BLIX Januar/Februar 2025

„Kein Platz für Gewalt gegen Frauen“

Aulendorf – Im Landkreis Ravensburg werden demnächst 13 rote Bänke als sichtbare Zeichen gegen Gewalt an Frauen zu finden sein – den Anfang machte Aulendorf, wo darüber öffentlich informiert wurde.
erschienen in: BLIX Januar/Februar 2025

Kunst kennt keine Grenzen

Mochenwangen / Baienfurt – Der Mann ist vielbeschäftigt – immer noch. Egon Woblick ist Fotograf, der gleich zwei Ausstellungen – im Januar in Mochenwangen und im Februar in Baienfurt – bestreitet, und 90 Jahre alt ist. Woblick blickt dabei auf sein Lebenswerk zurück und tut dies in Baienfurt gemeinsam mit der Künstlerin Maria Niermann-Schubert. Eine Ausstellung ganz besonderer Art.
erschienen in: BLIX Januar/Februar 2025

„Ich wollte, du und ich …“

Attenweiler – Am 22. Januar jährt sich der 80. Todestag von Else Lasker-Schüler, der Dichterin schönster Liebesgedichte. Als Hommage an sie vertonte der in Jerusalem geborene und in Berlin lebende Tenor und Kantor Yoëd Sorek einige ihrer Gedichte. Er trägt sie vor bei der Ausstellung „Ich wollte, du und ich …“ der Künstlerin Marlis E. Glaser. 
erschienen in: BLIX Januar/Februar 2025

Besuch im „Hotel Silber“

Stuttgart – Ein Ort der Erinnerungen, kaum bekannt, wie eine Umfrage in meinem Umfeld ergab. In der Weimarer Republik war das ehemalige „Hotel Silber“ von 1928 bis 1933 das Zentrum der Politischen Polizei; nahtlos wurde es unter den Nazis zum Zentrum der Geheimen Staatspolizei, GESTAPO, von Württemberg-Hohenzollern. In der Sonderausstellung „GESTAPO vor Gericht. Die Verfolgung von NS-Verbreche(r)n“ wird eine fast durchgehend skandalöse Phase der westdeutschen Nachkriegsjustiz exzellent reche…
erschienen in: BLIX Januar/Februar 2025

Bilder, die anstoßen

Berg in der Pfalz – Kaum war der Besuch fort, kam die Unbill. Der Künstler Hermann Weber ist Bauernjunge aus Mettenberg bei Biberach und lebt und arbeitet in Berg in der Pfalz, nahe der französischen Grenze. Es ist für den 65-Jährigen mit seinem Hund Bruno ein Rückzugsort, wo er gerne auch Gäste empfängt.
erschienen in: BLIX Januar/Februar 2025

Müller-Meier oder Müller Meier 

Wie heißen wir nach der Hochzeit? Ab Mai kann laut liberalisiertem Namensrecht auch ein aus den Familiennamen beider Ehegatten gebildeter Doppelname als Ehename bestimmt werden. 
erschienen in: BLIX Januar/Februar 2025

„Wir wollen Alternativen aufzeigen“

Der vom Ulmer Hirnforscher Prof. Manfred Spitzer vor Jahren geprägte Begriff der „digitalen Demenz“ wird nicht von allen Medienpsychologen geteilt. Aber gerade erst sprachen sich Augsburger Pädagogen für ein Handy-Verbot in Schulen aus. Wie gehen die Schulen in der Region damit um? 
erschienen in: BLIX Januar/Februar 2025

Sonnenenergie vom Balkon 

Biberach – Die Kosten für ein Steckersolar-Gerät sind überschaubar. Doch bei Fragen, was es beim Kauf und der Montage zu beachten gilt, sollte man sich von Experten beraten lassen. Zum Beispiel am 15. Januar um 19 Uhr in Biberach im Gemeindehaus St. Martin, Kirchplatz 3-4.
erschienen in: BLIX Januar/Februar 2025

ANZEIGEN

BLIX-NEWSLETTER

VERANSTALTUNGEN

ALLGÄU-OBERSCHWABEN

Ravensburg – Nach dem Verkehrsunfall in der Wangener Straße vom 08.01.25, bei dem eine 70-jährige Fußgängerin zu Tode…
Haisterkirch – 20. Januar, Sebastianstag. Im bäuerlichen Jahreskreis einst ein herausragender Tag, pilgerte man doch …
Baienfurt – Das Trio Berta Epple – landauf landab bekannt für hintersinnig musikalische Unterhaltung – reist mit eine…
„Rossberg! – Geschichte & Geschichten“ von Paul Sägmüller

Pfiffige Annäherung an den Eisenbahn-Weiler

Bergatreute – Paul Sägmüller, Jahrgang 1958, Heimatforscher, Autor zahlreicher Bücher und Original aus Bergatreute, h…
Kreis Ravensburg – Der Verein Landwirtschaftlicher Fachbildung Ravensburg-Waldsee e. V. lädt zu einer Veranstaltung m…