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Mohammed Audeh ist Kandidat bei den Freien Wählern. Foto: Reck

Bad Waldsee – Es bleiben ihm nur 60 Sekunden, dann ist Schluss. Genau eine Minute Redezeit und keine Sekunde mehr wird ihm eingeräumt, um sich zu bewerben. Mohammad Audeh ist Kandidat bei den Freien Wählern und will in den Gemeinderat der Großen Kreisstadt Bad Waldsee. Nun steht er vor über 200 neugierigen Zuschauern im Haus am Stadtsee und soll ihnen in 60 Sekunden erklären, warum sie ihn wählen sollen. Der gebürtige Syrer ist nervös, in seinem Sakko ist ihm heiß, er schwitzt. In 60 Sekunden oder einer Minute ist alles vorbei. Egal, es fängt auf jeden Fall etwas Neues an. Mohammad Audeh beginnt.

„Liebe Mitbürger-innen, mein Name ist Mohammad Milad Audeh, ich bin 33 Jahre alt, Deutsch-Syrer und seit fast acht Jahren als Infrastrukturplaner in zahlreichen Projekten in der Region tätig. Im Jahr 2015 wurde ich in der Stadthalle in Bad Waldsee untergebracht und habe mich mit Hilfe vieler ehrenamtlicher Helfer-innen sehr gut integriert. Als ich Fuß gefasst hatte, wusste ich, dass die Zeit des Nehmens vorbei war und die Zeit des Gebens begonnen hatte. So unterrichtete ich ehrenamtlich als Deutschlehrer in mehreren Vororientierungskursen und vermittelte sowohl die Sprache als auch die Werte des Zusammenlebens. Ich bringe mein Fachwissen als Planer und meine Erfahrung für eine gelungene Integration mit und möchte meinen Beitrag leisten. Alles, was ich dazu brauche, ist Ihre Unterstützung. Herzlichen Dank!“

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Das war’s! Eine Minute ist um, der Applaus „brandet regelrecht auf“, berichtet die Tageszeitung. Der Auftritt ist dem Kandidaten so gut gelungen, dass die Reporterin der Schwäbischen Zeitung ihn zum „Gewinner des Abends“ erklärt unter 63 Mitbewerbern. Das Format „Ein-Minuten-Vorstellung“ zur Kommunalwahl, organisiert von der Schwäbischen Zeitung, ist gelungen. Meine Neugier als Leser und Journalist ist geweckt. Aus einer Minute Vortrag im Haus am See in Bad Waldsee werden zwei Stunden Gespräch mit Mohammad Audeh in der BLIX-Küche in Aulendorf über Leben, Flucht und Ankunft. Über „die Zeit des Nehmens und die Zeit des Gebens“.

Es ist das Jahr 2015. Es ist das Jahr, das Deutschland durchrüttelt. Es ist das Jahr, als ein 24-jähriger Syrer mit zig-tausenden anderen Geflüchteten aus vielen Herren Ländern zu Fuß, in Bussen, im Zug über Bayern nach Deutschland kommt. Es ist das Jahr, in dem die Bundeskanzlerin Angela Merkel verkündet: „Wir schaffen das!“ Mohammad Audeh hat es geschafft!

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Er ist den Bomben Assads und der drohenden Einberufung in dessen Armee entkommen. Er ist der Jüngste von fünf Geschwistern, seine Eltern fürchteten, dass ihr Jüngster, so wie zwei seiner Freunde, als Soldat stirbt und rieten ihm zur Flucht. Mit einem Rucksack macht er sich auf den Weg in die Türkei, weiter reichen seine Überlegungen nicht, aber die Ratlosigkeit einerseits und die Ratschläge von den vielen Geflüchteten andererseits treiben ihn weiter. In Izmir steigt er als Nichtschwimmer in ein Schlauchboot und erreicht Lesbos. Nun ist er in Europa, aber noch nicht am Ziel. Krank und erschöpft erreicht er über die Balkanroute mit vielen anderen Passau. Dass er schließlich von Karlsruhe aus im November 2015 mit 150 anderen Geflüchteten in der Stadthalle in Bad Waldsee landet, ist Zufall. Ein glücklicher Zufall – den der Entwurzelte nutzt, um wieder Halt zu finden.

Rund 4000 Kilometer legte Mohammad Milad Audeh 2015 zurück, bevor der damals 24-jährige Syrer aus Damaskus geflohen, im November 2015 in Bad Waldsee strandete. Grafik: BLIX

Er spricht zwar kein Wort Deutsch, aber sehr gut Englisch und bietet sich als Dolmetscher an bei Arztbesuchen, dabei begegnet er dem Neurologen Dr. Ansger Boczek und dessen Frau Christine Uhl, von denen er „als sechsten Sohn“ in Obhut genommen wird. Vielleicht spürte das Ehepaar das Potenzial, das in dem jungen Mann steckt, für ihn ist es Ansporn, mit Feuereifer Deutsch zu lernen. Er lernt gern und hat auch schon ein abgeschlossenes Studium zum Bauingenieur hinter sich. Die Sprachbarriere ist schnell überwunden. Und was er weiß und kann, gibt er auch gleich als Sprachlehrer weiter. Er ist nicht nur gläubiger Muslim, sondern glaubt auch an die Menschen, egal, woher sie kommen. Vielfalt begeistert ihn. Er ist Techniker, denkt an den worst case und sucht nach der besten Lösung. Er kann stricken und häkeln und schreibt gerne, aktuell versucht er sich an einem Theaterstück. Er sucht die Bühne als Schauspieler und scheut sich davor. Er ist seit einem Jahr Bürger dieses Landes und fühlt sich ihm verpflichtet. Seit 2016 arbeitet er in einem Ingenieurbüro in Ummendorf und will nun in seinem Glücksort Bad Waldsee in den Gemeinderat einziehen. Warum? „Weil ich die Chance erhalten habe, in einer Demokratie zu leben“, erklärt der Neubürger. Und „weil Demokratie zerbrechlich ist, ist Engagement wichtig“.

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Das BLIX-Gespräch mit Mohammad Audeh findet einen Tag nach den Feierlichkeiten in Berlin anlässlich „75 Jahre Grundgesetz“ statt, wozu der Bundespräsident viel Nachdenkliches sagte. Steinmeier: „Das Grundgesetz garantiert Freiheit, und es erwartet Verantwortung. (…) Es ist das Modell für das friedliche Zusammenleben in einer Gesellschaft der Verschiedenen – geschichtsbewusst und zukunftsoffen.“ Mit dem gläubigen Moslem Mohammad Audeh, der in dem schicksalhaften Jahr 2015 aus seinem Vaterland Syrien nach Deutschland flüchtete, hat der Bundespräsident einen überzeugten Mitstreiter, der sicher ist: „Wir schaffen das!“

Autor: Roland Reck



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