Allgäu / Oberschwaben – Nicht alle sehen das geplante Biosphärengebiet Allgäu-Oberschwaben als Chance für Mensch, Tier, Natur und Umwelt. Eine Allianz von Forstbesitzern und Landeigentümern formierte sich während des breit angelegten Prüfprozesses gegen das Projekt.
Am 29. November fand in Alleshausen-Seekirch die fünfte Sitzung des Dialogkreises Regionalentwicklung statt. Wenige Wochen, nachdem sich in Bad Waldsee der Verein „ALLIANZ für Allgäu-Oberschwaben“ gegründet hatte. Die Mitglieder dieser Allianz der Landeigentümer und Bewirtschafter arbeiten seit Beginn in den Arbeitsgemeinschaften mit, lehnen nun aber die Schaffung des Biosphärengebiets ab.
Bis Ende 2026 sollen die Gemeinden im Raum Oberschwaben und württembergisches Allgäu Entscheidungen treffen, ob sie einem angedachten Biosphärengebiet beitreten wollen. Das Suchgebiet umfasst derzeit 184.000 Hektar Fläche, das Minimum für eine Ausweisung seien 30.000 Hektar Förderfläche, sagt Timo Egger, Bürgermeister von Fleischwangen im Kreis Ravensburg. Er ist Sprecher der kommunalen Arbeitsgemeinschaft. Zentrum des Biosphärengebiets ist das Federseemoor, das Wurzacher Ried und das Pfrunger-Burgweiler Ried. Aber selbst das Ummendorfer Ried bei Biberach könnte noch dazugehören. Dabei sollen etwa drei Prozent der Fläche „Kernzone“ (ausschließlich Flächen im öffentlichen Besitz), 17 Prozent „Pflegezone“ und 80 Prozent „Entwicklungszone“ sein. Von Mitte 2022 bis Mitte 2023 fanden neun Regionalkonferenzen mit rund 500 Teilnehmern statt. Bereits in der ersten Phase 2023 hatten sich rund 140 Teilnehmer getroffen in vier Arbeitskreisen zu den Themen Landwirtschaft und nachhaltige Landnutzung, Ernährung und Regionalvermarktung, Wald, Holz, Jagd und Fischerei, Freizeit und Tourismus. 2024 kamen nochmals 80 Personen in weiteren vier Arbeitskreisen zusammen. Hier ging es um „Bildung für nachhaltige Entwicklung, Moorschutz und Ökosystemleistung.“
Der Dialogkreis setzt sich aus unterschiedlichsten Interessenvertretern der Verwaltung und Kommunen aus den Landkreisen Biberach, Sigmaringen und Ravensburg zusammen. Auf dem Podium des Dialogkreises saßen in Alleshausen Regierungspräsident Klaus Tappeser, Biberacher Landrat Mario Glaser, der Ravensburger Landrat Harald Sievers, Karl-Heinz Lieber, Abteilungsleiter Naturschutz beim Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg, sowie der Sprecher der Kommunalen Arbeitsgemeinschaft Timo Egger.
Für den Arbeitskreis (AK) Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE) mit 13 Teilnehmern sprach Dieter Giehmann, Leiter der Bürgerakademie Donau-Oberschwaben. Wichtig ist dem AK der Lebensweltbezug. Er beobachtet eine große Nachfrage nach außerschulischen Lernorten in der Region, dabei sollten Vereine und andere Akteure einbezogen werden. Eine logistische Herausforderung sei die Erreichung der oft abgelegenen Lernorte, ein Problem die begrenzten personellen Kapazitäten der Bildungsakteure. Als Ziel nannte er eine authentische Öffentlichkeitsarbeit, eine Vernetzung der BNE-Strukturen und deren ressourcenschonende Ausstattung. Und die Implementierung von Reallaboren, wie es sie bereits an Hochschulen gibt.
Der AK Green care – Gesundheit für alle (16 Teilnehmer) wurde vorgestellt vom Biologen und Informatiker Dr. Rainer Kaluschka und Dr. med. Malte Natalis. Sie betonten die positive Auswirkung von intakter Natur und Tierwelt auf Gesundheit und Wohlbefinden und setzen auf Steigerung der Eigenverantwortlichkeit. Ziel sei die Entwicklung einer Gesundheits-Modellregion und das Aufzeigen der Wechselwirkung zwischen Klimawandel und Gesundheit. Weitere niederschwellige Angebote sollen gemacht werden wie Waldbaden, Kneipp-Anwendungen, Gesundheits-Bauernhöfe, tiergestützte Therapie. Auf Nachfrage gab man ein bis zwei Jahre für den Aufbau entsprechender Strukturen an. Anreize für die Landwirtschaft seien etwa neue Vermarktungschancen, in denen Patienten aus Reha-Kliniken in Hofläden und -lehrküchen eingeladen würden. Eine skeptische Bäuerin bezweifelte, dass mehr Gesundheit nur mit einem Biosphärengebiet machbar sei. In der Pause gab sie im Gespräch mit der Berichterstatterin zu bedenken: Wir sind oft mehr im Büro als auf dem Feld, können vor lauter Auflagen bald kein Essen mehr produzieren und machen uns noch mehr von Lebensmittelimporten abhängig. Die Landfrauen würden den Lernort Bauernhof schon längst anbieten und forderten beispielsweise die Einführung eines Ernährungsführerscheins für Grundschulkinder.
Der AK Moorschutz und Ökosystemleistungen mit 28 Teilnehmern wurde vertreten von Landwirtschaftsmeister Klaus Germann und Robert Bauer vom Landschaftserhaltungsverband Ravensburg. 95 Prozent der Moore sind entwässert, 80 Prozent der 45.000 Hektar baden-württembergischer Moore liegen in der Region Allgäu-Oberschwaben, wo es einen hohen Bedarf an Futter- und Düngeflächen gibt. Moorschutz sei ein sehr komplexes Thema, es gebe dabei große Unterschiede zwischen Hochmooren oder intensiv genutzten Niedermooren. Gehrmann gab zu bedenken, dass nur acht Prozent der CO₂-Emissionen aus der Landwirtschaft stammten. „Wir müssen darauf achten, eine geschlossene Grasnarbe zu haben. Auf vier- bis fünf Schnitte auf der Moorfläche sind wir angewiesen, damit wir unseren Tierwohlstall abzahlen können“, spitzte er zu. Wo sollen bei zunehmendem Flächendruck durch PV-Freiflächen und Baugebiete die Tauschflächen herkommen, frage man sich. Als Ziel nannten die Referenten des Arbeitskreises Bestandschutz für landwirtschaftliche Betriebe mit hohem Moorflächenanteil, eine Kartierung von Flächen, die sich für die Wiedervernässung eignen und den Aufbau regionaler Absatzmöglichkeiten von Paludi-Kulturen (vom lat. Wort „Morast, Sumpf“) wie etwa Rohrkolben. Zudem müsse man Wiedervernässung und Bibermanagement zusammen denken. Und weiter: Die Öffentliche Hand müsse mit ihren Flächen vorangehen, die Landeigentümer entscheiden selbst und erhalten auch Ausgleich für entfallene Fichtenstandorte. Angeregt wurden zudem Kooperationen für gemeinschaftliche Bewirtschaftung von Moorflächen und eine Moor-Flächentauschbörse.
Für den AK Nachhaltiges Wirtschaften im klimaneutralen Oberschwaben mit 20 Teilnehmern sprachen der Klimaschutzmanager der Stadt Wangen Patrick Zembrod und Gottfried Härle von der Brauerei Clemens Härle KG. Beide sehen durchaus Chancen für die regionale Wertschöpfung. Notwendig sind laut Zemrod dafür aber neben mehr Aufklärung, die Vorgänge zu vereinfachen, Hilfe zu leisten bei verbleibenden Anträgen und Dokumentationen. Es brauche dafür regionale Kümmerer und Förderer für Nachhaltigkeitsbelange, Bürgerpools für Beteiligung an nachhaltigen Projekten. Härle sprach sich aus für die Entwicklung regionaler Zertifikate für Maßnahmen zur Vermeidung klimawirksamer Gase. Transparenz müsse geschaffen werden durch intensive Öffentlichkeitsarbeit, ein Leitbild für die Region Allgäu-Oberschwaben entwickelt werden. Der Bau von Anlagen für erneuerbare Energie sei notwendig, um evtl. eine Verbindung von Biogas-Landwirten und Unternehmen herzustellen. Härle regte an, PV-Anlagen auf Moorflächen zu installieren. Franz Schönberger als Vertreter des Bauernverbands gab zu bedenken, dass Betriebe im Kreis Ravensburg mit extensiver Flächenvergärung zwar CO₂-Zertifikate bekämen, die Preise für Zertifikate allerdings gefallen seien. Agri-PV-Flächen seien problematisch, da nun mal keine landwirtschaftlichen Flächen entbehrlich seien.
Karl-Heinz Lieber vom Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft befand, dass die Ergebnisse der Arbeitskreise Mut machten und die insgesamt acht Arbeitskreise in eineinhalb Jahren viel Inspirierendes zusammengetragen hätten. Er betonte: „Man kann in die Biosphäre reingehen aber auch wieder rausgehen.“ Die prosperierende Region müsse vormachen, wie man mit nachhaltigen Prozessen Zukunft gestalte, wie in den 18 anderen Biosphärengebieten, die es derzeit in Deutschland gebe. „Wir wollen keine Verbotskultur“, bekräftigte er.
Bürgermeister Timo Egger gab schließlich bekannt, dass am 31. März die Karten freigeschaltet werden, auf denen alle Flurstücke zu sehen sind, die Teil des Biosphärengebietes werden könnten. Vorher sollen Informationsveranstaltungen helfen, die Karten richtig zu lesen. Es werde eine Austrittsklausel geschaffen, damit man auch wieder austreten könne. Die maximale Größe des Gebietes betrage 150.000 Hektar, so Egger. Regierungspräsident Klaus Tappeser, selbst Oberschwabe, lobte die offene Diskussion. „Keine einzige Wortmeldung wurde abgewürgt“. Er zeigte sich zuversichtlich, man habe ja schon das gut funktionierende Biosphärengebiet Schwäbische Alb. Die Entscheidung, ob eine Kommune Teil des Schutzgebietes werden will, liegt bekanntlich bei den Gemeinderäten, schloss er die Sitzung.
www.pruefprozess-biosphaerengebiet.de
Beispielhaft: Mensch und Natur
Biosphärengebiete oder -reservate sind großräumige Kulturlandschaften mit reicher Naturausstattung, die im Bundesnaturschutzgesetz nach § 25 als „einheitlich zu schützende und zu entwickelnde Gebiete“ definiert sind. Biosphärenreservate sind Modellregionen mit hoher Aufenthalts- und Lebensqualität, in denen aufgezeigt wird, wie sich Aktivitäten im Bereich der Wirtschaft, der Siedlungstätigkeit und des Tourismus zusammen mit den Belangen von Natur und Umwelt gemeinsam innovativ fortentwickeln können.
In Deutschland sind es aktuell 16 UNESCO-Biosphärenreservate, darunter zwei in Baden-Württemberg, im Südschwarzwald rund um Schönau sowie auf der Schwäbischen Alb rund um den ehemaligen Truppenübungsplatz bei Münsingen.
Das Biosphärenreservat muss in Kern-, Pflege- und Entwicklungszone gegliedert sein, wodurch nachhaltige Regionalentwicklung praxisnah möglich sein soll. Die Kernzone muss mindestens 3 Prozent der Gesamtfläche einnehmen. Die Pflegezone soll mindestens 10 Prozent der Gesamtfläche einnehmen. Kern- und Pflegezone sollen zusammen mindestens 20 Prozent der Gesamtfläche betragen. Die Entwicklungszone soll mindestens 50 Prozent der Gesamtfläche einnehmen.
Kernzone
Biosphärenreservate besitzen eine oder mehrerer Kernzonen, welche dem unbeeinflussten Naturzustand sehr nahe kommen sollen. Diese Flächen werden von jeglicher wirtschaftlicher Nutzung freigehalten. Hier geht es also vorrangig um den Schutz natürlicher und naturnaher Lebensräume und Lebensgemeinschaften.
Pflegezone
Das Credo der Pflegezone wird am besten mit „Schützen durch Nützen“ beschrieben. Für den Menschen kann dieser Bereich, unter Berücksichtigung ökologischer Aspekte, zur Erholung, der Umwelterziehung oder der nachhaltigen Landbewirtschaftung dienen.
Entwicklungszone
In der Entwicklungszone schließlich steht der wirtschaftende Mensch im Vordergrund. In dieser Zone soll durch Förderprogramme die nachhaltige Entwicklung von Mensch und Natur gefördert werden, es soll versucht werden, die Wertschöpfung der Region auf eine umwelt- und ressourcenschonende Weise zu steigern. Es soll beispielhaft gezeigt werden, dass der Mensch die Biosphäre nutzen kann, ohne sie zu zerstören oder die Möglichkeiten zukünftiger Generationen zu gefährden. Die Entwicklungszone wird ausdrücklich als Lebens-, Wirtschafts- und Erholungsraum der Bevölkerung verstanden. Es gelten daher keine besonderen rechtlichen Beschränkungen.
Quelle: www.biosphaerengebiet-alb.de/index.php/lebensraum-biosphaerengebiet/basisinformationen
Kommentar: „Skandal erster Ordnung“
Wenn es nach der „ALLIANZ für Allgäu-Oberschwaben“ ginge, bräuchte es keine weiteren Sitzungen: sondern Schluss der Debatte und damit Aus für ein mögliches Biosphärengebiet wäre die beste Lösung. Die Vertreter der Bauernschaft und Forstbesitzer, darunter die regionalen Adelshäuser, nehmen seit Beginn am Prüfprozess Biosphärengebiet kritisch teil. Anfang November haben sie nun den Verein „ALLIANZ für Allgäu-Oberschwaben“ gegründet mit dem Ziel, das Biosphärengebiet zu verhindern. Michael Fick (Förster des Fürsten von Waldburg-Zeil), Erbgraf Ludwig zu Waldburg-Wolfegg-Waldsee, der ebenfalls für ein großes Forstunternehmen spricht, sowie Roswitha Geyer-Fäßler und Franz Schönberger vom Bauernverband, vertreten den neuen Verein. Fick, zu Waldburg-Wolfegg-Waldsee und Geyer-Fäßler sind CDU-Gemeinderäte in Kißlegg, Wolfegg und Wangen.
Das Anliegen der Grundeigentümer ist letztlich das „Herr-im-Haus-Prinzip“, das sie durch die vielen Akteure in einem Biosphärengebiet bedroht sehen. Es geht um Eigennutz (Wer hat, der schafft an!), der zwar legitim, aber im öffentlichen Diskurs nicht zwingend überzeugend ist. Also bemüht man das populistische Schreckgespenst EU und deren Regelwut, die Bürokatie, der man durch ein Biosphärengebiet Tür und Tor öffnen würde. Das, so das Kalkül, verfängt hoffentlich auch bei den EntscheiderInnen in den Gemeinderäten. Die ALLIANZ stilisiert sich ungeniert zum Opfer, das vom Prozess „systematisch“ ausgegrenzt und benachteiligt werde, das sei „ein Skandal erster Ordnung“, heißt es in ihrer Stellungnahme. Mit Verlaub: Das ist ein Blödsinn erster Ordnung!
www.allianz-allgaeu-oberschwaben.de
Autor: Roland Reck