Erwin Wiest ist Gründungsmitglied des Vereins Förderverein Piéla-Bilanga und seit 2014 dessen Vorsitzender. Der 70-Jährige reiste bereits über 20 Mal – auf eigene Kosten – in das westafrikanische Land und gilt als Burkina-Experte. Mit BLIX sprach er über seine Erfahrungen und die Perspektiven der Zusammenarbeit. Sie sei „notwendiger denn je“, erklärt der Rottumer.
Herr Wiest, Sie waren vor wenigen Wochen in Quagadougou, der Hauptstadt von Burkina Faso, um sich mit den afrikanischen Projektpartnern zu treffen und über die weitere Zusammenarbeit zu sprechen. Aus Sicherheitsgründen konnten Sie nicht wie früher nach Piéla und Bilanga reisen. Wie sind die politischen Verhältnisse aktuell?
Das größte Problem ist die Unsicherheit in der Hälfte des Landes durch die Bedrohung durch terroristische oder kriminelle Gruppen. Die Erfolgslosigkeit der Vorgänger-Regierung im Kampf gegen die Unsicherheit hat vor 2022 zu zwei Militärputschen geführt. Ob die Militärs in ihrem ureigenen Gebiet erfolgreicher sein werden, sei dahingestellt. Der an die Macht gekommene junge Staatschef Isidor Traoré hat eine große Anhängerschaft, besonders unter den Jungen, weil er die ‚Souveränität‘ des Landes in den Mittelpunkt seiner Politik stellt.
Burkina Faso gehört neben seinen Nachbarländern Mali und Niger zu den drei Sahelstaaten, in denen sich das Militär an die Macht geputscht hat und statt mit der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich nun mit Russland kooperieren, dazu gehören auch die Söldner der ehemaligen Wagner-Gruppe. Das klingt nicht nach guten Rahmenbedingungen für eine sinnvolle Entwicklungszusammenarbeit.
Die Situation gefällt mir natürlich auch nicht. Doch unterhalb des Radars der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit ist das lokale Engagement von Organisationen wie unserem nicht nur weiter möglich, sondern notwendiger denn je. Wir werden an nichts gehindert und haben mit den Partnern in Piéla und Bilanga vertrauenswürdige Personen, die für die Umsetzung sorgen. Zum Weiteren Engagement haben uns die Gesprächspartner der deutschen Botschaft nicht nur ermutigt, sondern geradezu aufgefordert. Wir ‚reparieren‘ damit ein Stückchen weit die falsche oder fehlende Strategie der europäischen Politik in den Sahelstaaten. Es fehlt hier der Raum, dies weiter zu vertiefen. Ich werde dies bei der Jahreshauptversammlung tun. Wir werden uns weiter engagieren. Es ist notwendiger denn je.
Wenn Sie nach über 40 Jahren Projektarbeit in Piéla und Bilanga zurückblicken, wie fällt Ihr Resümee aus?
Wir haben weit über zehntausend Kindern die Möglichkeit eines Schulbesuches ermöglicht und damit die Chance auf ein besseres Leben. Neben all den vielen anderen Dingen, wie der Trinkwasserversorgung, der Hilfe für Frauen zur Erzielung von Einkommen durch Dutzende von sogenannten Mikroprojekten und vielem anderen mehr. Ganz wichtig: Wir haben selbst viel dabei gelernt und versucht die Erfahrungen und das Wissen weiter zu geben. Wo sonst in Deutschland kennen die Menschen das ‚kleine‘ afrikanische Land Burkina Faso, das Land der ‚integren Menschen‘. Das im Übrigen fast so groß ist wie Deutschland.
Wie viel ist noch ‚Hilfe zur Selbsthilfe‘ und wie viel ist krisenbedingt nur noch Nothilfe?
Wie bisher ist unser Schwerpunkt die ‚nachhaltige Hilfe zur Selbsthilfe‘. Da hat sich im Prinzip nichts geändert. Statt Schulen auf den Dörfern zu finanzieren, engagieren wir uns eben beim Bau einer Gesundheitsstation in Bilanga. Und immer schon standen die Vorhaben für Frauen und vulnerable Gruppen im Mittelpunkt unseres Engagements. Auch früher haben wir hin und wieder bei Hungersituationen geholfen. An eine umfassende Nothilfe zum Beispiel für Nahrungsmittel ist für uns finanziell überhaupt nicht zu denken. Da müssen die großen humanitären Organisationen ran.
Welche Ziele hat der Verein und seine Partner sich gesetzt?
Ein wenig ‚back to the roots‘. In diesem Jahr liegt der Schwerpunkt des Engagements im Ausbau der ‚Erich-Reck-Primarschule‘. Ein weiteres Gebäude für zwei Klassen soll errichtet, Toiletten gebaut und weitere Spielgeräte für den Kindergarten angeschafft werden. Daneben werden wir die Frauenprojekte weiter fördern und die Gesundheitsstation in Bilanga ausstatten. Mit der Finanzierung eines ‚Autonomen Brunnens‘ gegen die große Wassernot in Piéla kombinieren wir die Nothilfe mit einer ‚nachhaltigen‘ Entwicklung.
Sie waren Gründungsmitglied des Vereins und viele Jahre stellvertretender Vorsitzender, bevor Sie 2014 in die Fußstapfen von Erich Reck getreten sind. Wie hat diese lange ehrenamtliche Arbeit und die vielen Reisen nach Piéla Ihr Leben geprägt?
Ich war über zwanzig Mal in Burkina Faso, habe seit fast 30 Jahre die großen BMZ-Projekte abgerechnet und zu einem größeren Teil auch beantragt. Seitdem ich im Ruhestand bin (Ende 2017), ist ‚Piéla‘ im Grunde genommen meine Hauptbeschäftigung. Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht zumindest über ‚Afrika‘ nachdenke. Daher ja, es hat mich geprägt. Gelernt habe ich, dass das meiste, was wir tun, wie wir denken, wie wir leben, damit zu tun hat, wo und wie wir aufgewachsen sind und wo wir leben. Ohne umfassende Gerechtigkeit zwischen den reichen Industrieländern und dem ‚globalen Süden‘ wird es keinen Frieden auf der Welt geben können.
Zum Hauptartikel
Autor: Roland Reck