Vogt/Waldburg – Und während im Pfrungen-Burgweiler Ried bei Wilhelmsdorf mit viel Geld alte Sünden ausgemerzt werden sollen, geht das Sündigen im Reicher Moss unverantwortlich weiter. So sieht es zumindest der Verein ProNatur Vogt-Waldburg e.V., der nur rund 35 Kilometer entfernt von Wilhelmsdorf Alarm schlägt. „Rettet das Reichermoos“, lautet der Weckruf des Vereins, der sich im Mai 2023 gründete, um den weiteren Torfabbau in dem kleinen Moorgebiet zwischen Vogt und Waldburg zu stoppen. Eine sumpfige Geschichte.
Es ist eine Geschichte der Widersprüche. Denn während die Ministerin im Naturschutzzentrum in Wilhelmsdorf die Wiedervernässung der Moore fordert und zum gemeinsamen Handeln auffordert, und Mercedes Benz fünf Millionen locker macht, vermisst Manfred Scheurenbrand, Vorsitzender des Vereins ProNatur, eben dies: „Es wäre an der Zeit, dass unser Landrat und die Behörden unsere Einladung zur Renaturierung, ein intaktes Reichermoos zu schaffen, annehmen. Das sollte doch ein gemeinsames Ziel sein.“
Worum geht’s? Es geht um ein kleines Moor (rund 130 Hektar), ein Überbleibsel aus der Eiszeit, wie es viele gab in Oberschwaben nach dem Rückzug der Gletscher. So viele, dass die römischen Besatzer angewidert vom „Sumpfland“ sprachen. Das es urbar zu machen galt, indem den Mooren zuerst das Wasser, dann der Torf abgegraben wurde. Das war über Jahrhunderte gängige Praxis und ist es als Ausnahme immer noch im Reicher Moos, wo für die Moorbäder in Bad Buchau, Bad Waldsee und Bad Wurzach das „Schwarze Gold“ geschürft wird. Das ist vertraglich vereinbart zwischen dem Zweckverband der drei Kurstädte und dem Land Baden-Württemberg als Grundbesitzer noch bis 2030 plus sechs Jahre Renaturierungsphase.
So weit, so schlecht, wenn man es mit den Augen des Natur-, Umwelt- und Klimaschutzes betrachtet, aber offensichtlich hinnehmbar, wenn man es aus dem Blickwinkel der Bad-Städte und ihrer Kurbetriebe und den Menschen, die dort arbeiten und genesen, betrachtet. Doch nun will der neue Regionalplan, der aktuell zur Genehmigung beim Regierungspräsidium in Tübingen liegt, den Torfabbau um weitere 40 Jahre bis 2070 fortschreiben. Das wäre das Todesurteil für das viel geschundene Reicher Moos, klagen die Naturschützer und mobilisieren für das Ende der Moorzerstörung mit Ende des laufenden Vertrags: 2030.
Dazu hat der Verein sich Mitstreiter gesucht, von den Klimaaktivisten aus dem nahen Altdorfer Wald und deren Unterstützern wie den Scientists for Future über die Naturschützer vom BUND und den Umweltschützern aus den Reihen der Grünen und der ÖdP bis zum KAB, der Katholischen Arbeitnehmerbewegung.
Es war kalt und es regnete Schnee als der Verein am 21. April vor Ort zum „Familientreffen“ einlud. Rund 100 Hartgesottene versammelten sich vor der Schranke, die die Zufahrt ins Ried versperrt. Näher zum „Tatort“ durften die Demonstranten nicht, das untersagte das Landratsamt aus Sicherheitsgründen und behielt trotz Klage der Riedschützer vor dem Sigmaringer Verwaltungsgericht Recht. Egal, das Sauwetter verhinderte zwar das geplante Happening, aber die Botschaften sind dennoch in der Welt.
Manfred Scheurenbrand, ProNatur, 21. April, zur Begrüßung:
„Warum stehen wir heute hier? (…) Mit der Biodiversitätsstrategie für 2030 hat die Europäische Union sich das Ziel gesetzt, die biologische Vielfalt bis 2030 auf den Weg der Erholung zu bringen, zum Wohle des Menschen, des Klimas und des Planeten. Rechtliche Rahmenbedingungen für den Naturschutz sind auf EU-Ebene durch verschiedene Richtlinien und Verordnungen gegeben, insbesondere durch die Vogelschutzrichtlinie und die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH), welche das Natura 2000 Schutzgebietsnetzwerk begründen. Neben einem solchen Schutzgebiet stehen wir heute! Und hier sieht man, wie Zielabweichungsverfahren und Ausnahmegenehmigungen den Naturschutz aushebeln. (…) Im Reichermoos wurde schon über 100 Jahre Torf abgebaut, ganz exzessiv für Blumenerde. Nachdem unser Moor schon stark geschädigt war, hat man es endgültig der Vernichtung preisgegeben. Dies, um an anderer Stelle zum Beispiel das Wurzacher und Steinacher Ried zum europadiplomierten Moorschutzgebiet aufzuwerten.“
Vortrag Prof. Wolfgang Ertel, emeritierter Professor für Künstliche Intelligenz, Scientist for Future, 21. April:
„Moorbäder sind so genannte medizinische Bäder, deren Wirkungen nicht durchgängig durch klinische Studien belegt sind, aber empirisch teils mit Erfolg eingesetzt werden. Nach unseren Recherchen gibt es keine seriösen kontrollierten Blindstudien zur Wirksamkeit von Moortherapien. Es gibt aber alternative Therapien mit ähnlichen Wirkungen, wie etwa Bäder mit Heublumen, Fango, Lehm oder mineralischen Schlämmen vulkanischen Ursprungs. (…)
• Wir bitten die beteiligten Kurkliniken, über Alternativen zu Moorbädern nachzudenken, so dass der Torfabbau beendet werden kann.
• Die Politik sollte möglichst sofort den Torfabbau verbieten.“
Vortrag Dr. Ulrich Walz, Die Grünen, Mitglied im Regionalverband, 21. April:
„Noch ist das Reichermoos nicht tot. Es ist noch ein Rest Moorkörper vorhanden. Die ökologische Verbesserung ist möglich. (…) Zwei Gutachter, 2006 das Büro Pluspunkt Jutz und 2014 Dr. Bauer, haben das Gebiet hydrogeologisch untersucht und notwendige Maßnahmen zur zwischenzeitlichen Verbesserung des ökologischen Zustands vorgeschlagen. (…) Dr. Bauer schreibt in seinem Gutachten: ‚Nichtstun, ist keine Renaturierung‘. Bleibt das entwässerte Ökosystem Reichermoos sich selbst überlassen, stirbt es vollends. Moore sind als Klimasenken von hoher Bedeutung. Torfabbau daher nicht mehr zukunftsfähig. Moorbäder können auch mit Recycling-Moor erfolgen. Beispiele gibt es in Bayern, außerdem ist abgebadeter Torf in riesigen Mengen vorhanden.“
Vortrag Manfred Walser, BUND RV-Weingarten, 21. April:
Aussagen, wonach der Torfabbau für die Moorbäder dem Ökosystem sogar Gutes tut (siehe Interview mit Bürgermeister Diesch), kritisiert Walser: „Solche Aussagen zeigen schon ein gerütteltes Maß an Unkenntnis der Problematik. Es geht ja nicht um die Menge des entnommenen Torfs und deren Rückführung, und es geht auch nicht in erster Linie um die Renaturierung. Es geht darum, dass durch die Entwässerung für den Torfabbau ein Zersetzungsprozess beginnt, der den über Jahrtausende gespeicherten Kohlenstoff und andere Treibhausgase in kürzester Zeit in die Atmosphäre entlässt. Selbst wenn der benutzte Torf wieder zurückgebracht und das Moor renaturiert wird, ist dieser Schaden unumkehrbar. (…) Auch wenn die Bäder am Siegel ‚Staatliches Moorheilbad‘ hängen (was ich verstehen kann) – es ist nicht mehr zeitgemäß. Der Moorbademeister gehört genauso wie der Atomkraftwerkstechniker und der Glyphosphat-Fabrikant auf die Liste der aussterbenden Berufe. Es gibt Alternativen, sehr gute sogar. Heubäder und Heublumenanwendungen wirken erwiesenermaßen ebenfalls sehr gut auf rheumatische Krankheiten. Das Ausgangsmaterial sind artenreiche Magerwiesen, die gemäht und zu Heu getrocknet werden. Dies zu nutzen, wäre – im Gegensatz zum Moorbad – sogar ein ökologischer Gewinn, denn artenreiche Magerwiesen sind zu ihrem Erhalt auf eine finanziell lukrative Nutzung angewiesen. (Hier könnte das Konzept der Paludikultur ansetzen; Anm. der Redaktion) Der Wellness-Markt funktioniert wie jeder andere Markt auch. Unternehmen müssen ihre Strategien den sich ändernden Rahmenbedingungen anpassen, diese sogar möglichst frühzeitig voraussehen, sonst verschwinden sie vom Markt. Das gilt auch für Bäder und Kurorte.“
Manfred Scheurenbrand abschließend:
„Unsere Forderungen für das Reichermoos sind: – Ende des Torfabbaus bis 2030 – keine weiteren Abbaugenehmigungen – vollständige fachgerechte Renaturierung – Aufnahme ins Moorschutzprogramm des Landes – Aufnahme ins angestrebte Biosphärengebiet.“
Hauptartikel “Moorgeschichten”
Interview mit Bad Buchaus Bürgermeister Peter Diesch
Autor: Roland Reck