Ravensburg – Der Sturm um das Glashaus hat sich noch nicht gelegt, sollte die Hoffnung bestanden haben. Die Diskussion um die Rechtsdrift der Schwäbischen Zeitung hält an. Nachdem die KollegInnen von der Süddeutschen über die taz bis zur ZEIT und FAZ der Chefredaktion in Ravensburg ein schlechtes Zeugnis für gefällige Interviews mit AfD-Mann Krah und dem Rechtsaußen Maaßen ausstellten und fleißig in der miesen Stimmung im Glashaus rührten, rumort es in der Leserschaft weiter. Der folgende Offene Brief, verfasst von dem emeritierten Theologie-Prof. Dr. Rainer Albertz in Weingarten und unterschrieben von weiteren 143 Personen, legt den Unmut offen und fordert Abhilfe.
Die deutliche Kritik an der Berichterstattung der Monopolzeitung zeigte Wirkung. Der neue Chefredakteur Gabriel Kords sah sich genötigt, auf vier Seiten darzulegen, warum er das schlechte Zeugnis aus KollegInnenmund und Leserschaft für irregeleitet hält. „Ich gehe daher davon aus, dass sich hier die kampagnenhafte, bösartige und in erheblichen Teilen unwahre Berichterstattung diverser anderer Medien über unsere Zeitung, auf die Sie sich in Ihrem Schreiben ja auch beziehen, ‚verselbständigt‘ hat“, erklärt der 36-Jährige seinen altersbedingt überwiegend lebenserfahrenen LeserInnen und belehrt sie: „Die These, dass unsere Zeitung in politisch zweifelhaftes Fahrwasser abgedriftet sei, entbehrt jeder Grundlage und ist bisher auch noch von niemandem belegt worden. Auch keiner der diversen Veröffentlichungen anderer Medien ist dies gelungen. Vielmehr war jede einzelne dieser Veröffentlichungen gekennzeichnet von Falschbehauptungen, unbelegten Unterstellungen, persönlichen Verunglimpfungen gegen einzelne Redaktionsmitglieder oder persönlicher Verbitterung von (Ex-)Kollegen.“
Der Verweis auf die „(Ex-)Kollegen“ ist dabei wichtig, denn es waren nicht die KollegInnen aus München, Berlin, Hamburg und Frankfurt, die den Stein ins Rollen brachten, sondern es war das Entsetzen in den Ravensburger Redaktionsräumen über den rechtslastigen Kurs, der sich auf Betreiben des Geschäftsführers Lutz Schumacher und seines Chefredakteurs im Blatt wiederfand. Es war die interne Kritik, die sich in der Berichterstattung namhafter Blätter quer durch die Republik spiegelte. Und es war wohl auch der Umgang mit den Kritikern, der viele gehen ließ. Darüber kann man zurecht verbittert sein. Der Chefredakteur ist es nicht, sondern bietet sich den BriefschreiberInnen als Seelentröster an, indem er sie zu einem Gespräch einlädt, „wenn Sie es wünschen“. Bis dahin mögen die (gequälten) LeserInnen, der Schwäbischen Zeitung „gewogen bleiben“, wünscht sich der Chefredakteur. Aber Weihnachten ist vorbei!
Offener Brief
Sehr geehrter Herr Kords, sehr geehrter Herr Schumacher,
mit großer Besorgnis haben wir die Berichte in Presse und Rundfunk über die politische Neuausrichtung Ihrer Zeitung im Zuge einer unternehmenspolitischen Antwort auf die Krise des Zeitungswesens – und insbesondere der Regionalzeitungen –
zur Kenntnis genommen. Es ist der Eindruck entstanden, dass die Zeitung sich rechtskonservativen Strömungen geöffnet hat, dass sie ihnen publizistisch Gehör und damit politischen Einfluss verschaffen will.
Was ehemalige Mitglieder der Redaktion und Fachleute der Branche offen aussprechen, haben auch wir als Leser und Leserinnen empfunden: die Abgrenzung zu demokratiefeindlichem Gedankengut sollte offensichtlich aufgeweicht werden. Wir appellieren an Ihre Verantwortung als wichtiges Medium der öffentlichen Meinung für die Zukunft unserer Demokratie. Rechtsextremem Gedankengut gilt es entgegenzutreten. Die Demokratie als freiheitliche Staats- und Gesellschaftsordnung lebt von der öffentlichen Auseinandersetzung, aber sie darf diese Freiheit nicht ihren Feinden ausliefern. Der Streit darf nicht zur Spaltung der Gesellschaft führen. Der Weg zur Integration und zu einvernehmlicher Entscheidung, muss als Ziel immer offen bleiben.
Für uns als politisch interessierte Bürgerinnen und Bürger ist eine Regionalzeitung unentbehrlich für die eigene Urteilsbildung und für die tagespolitische Information und Orientierung. Das gilt für alle Ebenen der Politik. Insbesondere aber kann nur eine qualitativ hochstehende Regionalzeitung über die lokalen Ereignisse und regionalen Angelegenheiten sachorientiert berichten und unabhängig kommentieren. Darauf sind wir angewiesen.
Sie, Herr Kords, wehren sich gegen den Vorwurf, Ihre Zeitung sei nach rechts gerückt. Sie beteuern in Ihrem Artikel vom
3. Oktober, dass die Schwäbische Zeitung „eine Plattform für alle legitimen Standpunkte, Meinungen und Überzeugungen“ bieten will, „die sich unter dem Dach des Grundgesetzes und des christlichen Menschenbildes versammeln lassen“.
Wir nehmen Sie beim Wort und fordern Sie auf, alle diese Meinungen zu Wort kommen zu lassen, sie jedoch – und insbesondere kontroverse und extremistische Meinungen – kritisch einzuordnen und gegebenenfalls durch einen distanzierenden Meinungsbeitrag zur Urteilsbildung der Lesenden beizutragen.
Um ein Beispiel zu nennen: ein Interview mit einem umstrittenen Politiker wie Hans-Georg Maaßen kann nur dann zu unserer Urteilsbildung als Leser und Leserinnen beitragen, wenn seine Thesen durch Nachfragen geprüft und durch Kommentierung eingeordnet werden. Wir fordern Sie auf, diese journalistischen Grundsätze konsequent zu beachten. Ein anderes Beispiel: Wenn ihre Zeitung sich auf ihre christliche Orientierung beruft, könnten und sollten AfD-Verantwortliche, die die Programmatik ihrer Partei als christlich ausgeben, mit dem falschen Verständnis der christlichen Botschaft konfrontiert werden, das damit impliziert ist.
Wir haben den Eindruck gewonnen, dass die heftige öffentliche Kritik an der Ausrichtung Ihrer Zeitung bereits Wirkung gezeigt hat. Wir fordern Sie auf, diesen Weg konsequent weiter zu gehen. Nur so werden Sie verloren gegangenes Vertrauen wieder herstellen können. Sorgen Sie dafür, dass die Lokalredaktionen personell ausreichend ausgestattet sind, um ihre wichtige Aufgabe zu erfüllen. Seien Sie versichert, die Schwäbische Zeitung ist uns nicht egal.
Wir werden uns um die weitere Verbreitung dieses offenen Briefes bemühen.
Mit freundlichen Grüßen gez. Prof. a. D. Dr. Rainer Albertz