Oberschwaben – Jetzt ist es so weit: Ich werde von meiner Tageszeitung geduzt und aufgefordert, in den Garten zu pinkeln! Geschehen an einem regnerischen Sommertag, früh morgens beim Frühstücken, nicht etwa unter der Rubrik Glosse/Unterm Strich/Humor oder völliger Nonsens. Nein, im Lokalen, dort, wo ich Relevantes aus meinem kommunalen Umfeld erfahren möchte. Oder hat die Zeitung recht und es gibt nichts Wichtiges aus unserer Heimat zu berichten, also fordert sie mich (Du) zu meinem Zeitvertreib und zum Entsetzen meiner Frau auf, in den Garten zu pissen? Ich fass’ es nicht! Ein sechsspaltiger Artikel – und Achtung: Irrsinn! – mit einem Foto eines angeblichen Hengstes, der einen Strahl wie aus einem Feuerwehrschlauch ablässt, belehrt mich mit der Überschrift: „Diese Pflanzen freuen sich, wenn Du in den Garten pinkelst“.
Der Niedergang meiner Heimatzeitung hat mit einem Toten zu tun. Deshalb gilt mein Nachruf sowohl Jürgen Mladek, Chefredakteur der Schwäbischen Zeitung, der am 10. Juli überraschend verstarb, als auch der „Schwäbischen Zeitung“ selbst, die mangels Alternative für das Lokale auch meine Zeitung (noch) ist. Ich klage als Leser und kritisiere als Journalist.
Jürgen Mladek war mit 56 Jahren zu jung zum Sterben, aber der Tod fragt nicht danach. Er traf ihn am 10. Juli völlig unerwartet in Ravensburg. Als Volontär bei den „Fränkischen Nachrichten“ in Tauberbischofsheim lernte der gebürtige Odenwälder Ende der 80er Jahre den Journalismus von der Pike auf. Von der fränkischen Heimatzeitung zog es ihn zum Boulevard nach Groß-Berlin. Es war die wilde Ost-Zeit. Anfang 2011 wechselte Mladek zum „Nordkurier“. In Neubrandenburg wurde der Wessi 2019 zum Chefredakteur befördert. Mladek folgte in dieser Position Lutz Schumacher, der zunächst Geschäftsführer beim „Nordkurier“ war und seit 2020 Geschäftsführer des Schwäbischen Verlags ist und seinen gleichaltrigen (Jg. 1968) gut Bekannten 2022 als Co-Chefredakteur nach Ravensburg holte, wo Mladek gemeinsam mit dem schwäbischen Eigengewächs Andreas Müller ohne Erklärungen den langjährigen Chefredakteur Hendrik Groth ablösten.
Nun muss man wissen, dass der Schwäbische Verlag wie viele andere Verlage aus der BRD sich an den Hinterlassenschaften in der DDR-Medienlandschaft gütlich tat. So kam der oberschwäbische Regionalverlag auch in Besitz des Nordkuriers (einst „Freie Erde“) und seit 1. Januar 2024 gehört auch die Schweriner Zeitung zum Ravensburger Medienhaus, womit die Schwaben in Mecklenburg-Vorpommern medial eine Hauptrolle spielen. Und aus der Einkaufstour entstand die SV Gruppe, zu deren Innovation ein “Editorial Board” gehört, das die klassische Chefredaktionsstruktur bei der SV Gruppe durch ein Team ersetzt, das für alle Zeitungstitel verantwortlich ist. Zum Chef der Chefs berief Schumacher seinen Mitstreiter Jürgen Mladek.
Nun ist er tot. Und was hat das mit mir als „Gartenpinkler“ zu tun? Nun, dass ich dazu von „meiner“ Zeitung verführt werden soll, hat mit dem Kurswechsel und dem Niveau- und Qualitätsverlust der Schwäbischen Zeitung zu tun, wofür Mladek und seine Riege aus dem Boulevard, darunter auch Robin Halle, der ehemalige Chef des Südfinders, verantwortlich war bzw. immer noch ist.
Es ist das Verdienst von Anna Ernst, Reporterin bei „Medieninsider“, einem Infoportal für die Medienbranche, die in einem ausführlichen Artikel auf die „Klimakrise“ in der SchwäZ eingeht und feststellt: „Durch die Schwäbische Zeitung geht ein Riss: Auf der einen Seite stehen Chefredakteur Jürgen Mladek und Geschäftsführer Lutz Schumacher. Auf der anderen viele Redakteure, die den publizistischen Kurs nicht mitgehen wollen.“ Die Journalistin war 2018 selbst kurze Zeit Mitarbeiterin der Schwäbischen Zeitung und zitiert aus einer Vielzahl von Gesprächen mit RedakteurInnen und ehemaligen MitarbeiterInnen, die sie bei ihrer Recherche geführt hat – durchweg anonym. Die Angst vor der juristischen Knute aus dem Glaspalast ist auch bei denen, die offensichtlich aus Protest den Griffel haben fallen lassen, so groß, dass sie darüber nicht Auskunft geben wollen.
Die Kollegin stellt fest: „Mit Katja Korf und Kara Balarin verlassen beide Stuttgart-Korrespondentinnen die Zeitung. Korf war sogar Mitglied der Chefredaktion. Mit Julia Baumann geht die Chefin der Lokalredaktion Lindau und mit Michael Wollny reichte kürzlich auch der bisherige Leiter der Onlineredaktion der Schwäbischen seine Kündigung ein.“ Die Journalistin fragt: „Was ist geschehen, dass verdiente Journalisten und Führungskräfte fast gleichzeitig gehen und selbst erfolgreiche ‚Eigengewächse‘ ihre Wurzeln kappen?“ Unter denen, die geblieben sind, gäbe es „die Sorge“, berichtet Ernst, „dass aus ‚ihrer‘ Schwäbischen, mit der sie sich allesamt stark verbunden fühlen, eine Art ‚AfD-Postille‘ werden könnte“.
Eine Sorge, die postum Bestätigung dadurch erfährt, dass in der rechtslastigen Wochenzeitung „Junge Freiheit“ sich Henning Hoffgaard in einem Nachruf zu Wort meldet („Ein glorreicher Halunke“), in dem sich das AfD-Mitglied an seine Begegnung mit Mladek als Chefredakteur des Nordkuriers erinnert: „Es sind dunkle Tage im November 2020.“ Der AfD-Mann lobt Mladek als Durchblicker, der es ohne „Schere im Kopf“ wissen wollte, und verklärt den Journalisten zum „einsamen Cowboy“, der als „Held in den Sonnenuntergang reitet“. Nun ja, der Tote kann sich seine Nachrufe nicht aussuchen, sie sind ja auch für die Nachwelt bestimmt. So auch der Nachruf in der „Unabhängigen Zeitung für christliche Kultur und Politik“ in Ravensburg, der den Verstorbenen als „Menschenfreund, Querdenker und Anarchist“ betitelt. Die Würdigung kommt nicht aus dem schwäbischen Glaspalast, Mladeks letzter Wirkungsstätte, sondern wird aus dem hohen Norden vom Chefredakteur des Nordkuriers übermittelt. Warum? Gabriel Kords ist dort Nachfolger von Mladek und weiß, dass sein Vorgänger nicht nur las, „was andere namhafte Medien schrieben, sondern er las auch obskure Kanäle im Internet, im ‚Darknet‘, wie er diese Zonen nannte“. Kords: „Denn ‚Querdenken‘ war genau das, was Mladek journalistisch wollte, nur eben im ursprünglichen Sinne des Wortes“, lobt der Mann aus dem Norden seinen verstorbenen Kollegen und meint zum guten Schluss: „Sein Wirken in unserer Gruppe und im deutschen Journalismus wird fehlen, hat aber tiefe Spuren hinterlassen, die wir bewahren und fortsetzen werden.“
Das wäre das Grauen, ist die Quintessenz, die sich aus den vielen Gesprächen und der Recherche von Anna Ernst ergibt. Und was auch mir im Umfeld des Glaspalastes bestätigt wird. Der Tenor: „Da braut sich eine Katastrophe zusammen“ … „alle Dämme sind gebrochen“ … „wir erleben den publizistischen und journalistischen Niedergang der Schwäbischen Zeitung“. So sehen es die Altvorderen, davon will der Lenker des Geschehens und Geschäftsführer Lutz Schumacher nichts wissen. Mladek habe sich wie kein Zweiter für die Transformation des regionalen Journalismus eingesetzt, lässt der CEO des Schwäbischen Verlags wissen und erklärt gegenüber dem Bundesverband der Zeitungsverleger, dass Mladeks Vermächtnis, den regionalen Journalismus zukunftsfähig zu machen und dem Journalismus insgesamt mehr Pluralität zu verleihen, weitergeführt werde.
Ich verstehe, deshalb soll ich wie ein Hengst in den Garten brunzen: Es freut die Pflanzen und dient der Pluralität. Das ist ja zum Wiehern! Oder zum Kündigen.
Autor: Roland Reck