Zwei Monate ist Gustav Hartmann unterwegs, bis er am 4. Juni Einzug in Paris hält. Es ist sein Geburtstag. Mit exakt einem PS ist der 69jährige Berliner Droschkenfahrer vom Wannsee gestartet, um mit seinem Wallach „Grasmus“ gegen die Automobilisierung und den Untergang seines stolzen Gewerbes zu protestieren. Es half nicht. Doch der „Eiserne Gustav“ erhielt Weltruhm. Hans Fallada widmete ihm einen Roman und die Filmlegenden Heinz Rühmann und Gustav Knuth verliehen dem Berliner Original in Film und Fernsehen ewiges Leben.
Im selben Sommer, am 12. August 1928, startet ein 22jähriger Bengel von Berlin-Tempelhof zu einer Reise nach Moskau. Alleine, mit einem Kompass, einer Zahnbürste und 40 Reichsmark in der Tasche und 20 Pferdestärken unterm Hintern. In ein paar Tagen will er zurück sein. Es werden 15 Monate. So lange dauert es, bis Karl Friedrich Freiherr Koenig von und zu Warthausen mit seiner „Klemm“, einem Leichtflugzeug, einmal um die Welt geflogen ist. Ein vergessener Flugpionier, fast ohne Namen, erhält dieser Tage Weltruhm im „Theater ohne Namen“. Ein Blick hinter die Kulissen.
Dieser Weltrekord steht noch aus: Mit einem Aufsitzrasenmäher um die Welt! Was heute von bequemen Gartenbesitzern zur wöchentlichen Dressur ihres Grünteppichs kräftemäßig mobilisiert wird, das reichte dem jungen Oberschwaben, um über staubtrockene Steppen, steile Gebirgszüge, tosende Gischt und endlosen Dschungel zu fliegen. An 20 Pferdestärken hing das Leben des tollkühnen Fliegers, der ohne Verdeck überm Kopf, bei einer Reisegeschwindigkeit von 95 Stundenkilometern von jetzt auf morgen die Welt erkundete. Immer die kecke Nase im Wind, bei Hitze und Eiseskälte, über sich nur den Himmel und unter sich terra incognita – unbekanntes Land. Sein „Kamerad“, so tauft der Luftikus seine fliegende Seifenkiste, hält ihm die Treue.
„Eigentlich wollt ich mir ja zuerst ein kleines Auto kaufen. Dann aber fiel mir ein, dass ein kleines Flugzeug auch nicht teurer war, und dann fiel mir zu allem Überdruss auch noch ein Preisausschreiben in die Hände, das den Hindenburgpokal vergab. Da hatte ich eine gewisse Aussicht, mein Flugzeug sozusagen kostenlos zu bekommen, wenn ich den Pokal erringen konnte“, schildert der wackere Schwabe nach seiner glücklichen Rückkehr im „Anzeiger vom Oberland“ seine Motive. „Und so ging ich nach Böblingen, um mir dort eine kleine Klemm zu kaufen. Dass ich mit dem Flugzeug gleich um die Welt fliegen sollte, das hatte ich wirklich nicht vor. Der Plan war der: Den Streckenrekord für Leichtflugzeuge zu brechen. Als Weg wurde gewählt: Berlin – Moskau. Das sind ungefähr 1800 Kilometer Luftlinie.“ 10.000 Reichsmark und nationaler Ruhm lockten den Sprössling aus dem kleinen adligen Hause. Das Schloss Warthausen vor den Toren Biberachs gelegen, war allenfalls Belesenen bekannt als Ort der Muse für den Biberacher Kanzleiverwalter und späteren Dichterfürst Christoph Martin Wieland. Das war allerdings 140 Jahre vordem, dass der kleine Freiherr Karl Friedrich 1906 dort zur Welt kam. Nach dessen Geburt verlegt sein Vater, „Baron Fritz“, den Familiensitz auf das kleine Landgut Sommershausen bei Wennedach.
20 Jahre später beginnt die große Sause. Die „Goldenen Zwanziger“ verschaffen der Weimarer Republik Luft und Lust. Die Folgen des Ersten Weltkrieges sind immer noch verheerend, es herrscht immer noch Massenarbeitslosigkeit, aber mit Hilfe von Krediten aus den USA beginnt eine wirtschaftliche Erholung, die die politische Zerrissenheit kurzfristig übertüncht. Berlin ist Avantgarde in Kunst und Kultur. Außenpolitisch findet eine Annäherung zwischen den ehemaligen Kriegsgegnern statt. 1926 wird Deutschland in den Völkerbund aufgenommen und 1928 wird in Paris mit dem Briand-Kellog-Pakt, Krieg als Mittel der Politik geächtet. Und in Deutschland wie in den anderen Industrieländern tobt die Fliegerei. Ein Rekordflug jagt den nächsten. Charles Lindbergh überquert 1927 mit seiner „Spirit of St. Louis“ den Atlantik. Ein Jahr später erhält in Friedrichshafen das Luftschiff LZ 127 den Namen des Firmengründers „Graf Zeppelin“ und geht ebenfalls auf Weltreise. Und am 23. Februar 1928 landet Ernst Udet mit einer Klemm L20 auf der Zugspitze. Udet ist neben Manfred von Richthofen der erfolgreichste deutsche Jagdflieger des Weltkriegs, den er im Unterschied zum „Roten Baron“ überlebte. Und es steht zu vermuten, dass der junge Baron aus Warthausen sich just die Zugspitz-Klemm als Schnäppchen (7500 Reichsmark) in Böblingen von Udet erstanden hat.
„Ein Abenteuer ist das Ergebnis schlechter Planung“, behauptet der britische Abenteurer John Blashford-Snell. Er hat vermutlich die Reise des Flugnovizen Karl Friedrich studiert. Denn dieser setzt sich mit der Erfahrung von nur 25 Flugstunden an diesem 12. August in seine Klemm und düst gen Moskau. Wo er nicht ankommt. „Der Regen klebte mir schon die Augen zu, das Gesicht schmerzte von den peitschenden Tropfen“, berichtet der Himmelsstürmer. Aus der Traum: „Ich gab die Hoffnung auf, nach Moskau zu kommen.“ 60 Kilometer vor der russischen Hauptstadt muss der Oberschwabe notlanden.
Es ist die erste von vielen Notlandungen. Denn nun beginnt, was Baron Münchhausen sich nicht besser hätte ausdenken können. Eine verrückte Geschichte in einer verrückten Welt. Es ist Zwischenkriegszeit. In Europa schmerzen die Wunden des Ersten Weltkrieges noch Millionen. Der Massenvernichtung auf den Schlachtfeldern folgten die politischen Erdbeben. Der russische Zar endet vor einem Erschießungskommando der Bolschewisten, der deutsche Kaiser flieht ins Exil. Die europäischen Kolonialmächte sind aus den Fugen geraten und das Beben setzt sich in Übersee fort. In Indien macht den Briten Mahatma Gandhi zu schaffen, in China begehrt ein Mao Zedong auf. Die Welt ist ein großer Schlamassel.
In dem steckt der fliegende Jüngling nun auch vor Moskau, ist doch der Zweck seines Ausfluges, der Hindenburgpokal und das Preisgeld, futsch. Die Russen inspizieren den Flieger und ein leibhaftiger General der Sowjetarmee rät dem Deutschen, nach Baku in Aserbeidschan weiterzufliegen, um sich den begehrten Pokal doch noch zu holen. Gesagt, getan! Es darf bezweifelt werden, dass Karl Friedrich wusste, was ihn erwartet. Den Kaukasus gilt es zu überfliegen, wozu er nicht nur in schwindelerregende Höhe musste, sondern als Eindringling auch noch von Adlern attackiert wird, schließlich ist sein Flieger kaum größer als die Steinadler. Den Raubvögeln entkommen, eilt ihm nun schon der Ruf voraus. In Baku glücklich gelandet, empfängt ihn ein deutscher Diplomat mit der Empfehlung, für Ruhm und Vaterland weiterzufliegen, da in seiner Heimat die Presse eifrig über ihn und seine Reise berichten würde. „Je mehr Sie schaffen, umso besser für unser Vaterland!“ A star is born – auf dem Weg ein Held zu werden!
Weiter geht’s ! Wo ist das nächste Ziel? Teheran. Persien ist gerade dabei, sich zum Iran zu wandeln, dort erreicht den Verwegenen die Nachricht, dass er nun doch den begehrten Hindenburgpokal und das kleine Vermögen gewonnen hat. Und da er schon mal dabei ist, bewirbt er sich gleich für den Pokal im nächsten Jahr. Was bedeutet: Er fliegt weiter! Sein „Kamerad“ ist ein Leichtflugzeug im wahrsten Sinne des Wortes. Nur 450 Kilogramm Fluggewicht hat das Vögelchen. Die Flügel waren innerhalb von fünf Minuten demontierbar, was ihm bei seiner nächsten Notlandung auf einem kleinen Hochplateau zugutekommt. Als er von Abwinden zum Landen gezwungen wird, rollt die Maschine auf einen Abgrund zu, der Baron springt aus seinem Flieger und hängt sich an einen Flügel und stoppt ihn so um Haaresbreite vor dem Sturz in die Tiefe. Doch starten ist unmöglich, also macht er sich auf den Weg, um Hilfe zu holen. Drei Tage marschiert er an einem Fluss entlang, bis er Einheimische findet, die ihm die demontierte Klemm zu einem 30 Kilometer entfernten Startplatz buckeln. Ähnliches wiederholt sich, als ihm der Sprit ausgeht und nur die Gleitfähigkeit seines Vogels ihn vor dem Absturz rettet. Im nächsten Nomadendorf bekommt er Wasser, aber Benzin gibt es nicht. Die Hirten wissen noch nicht einmal, was für ein besonderer Saft es ist, den der Fremde begehrt. Die Verständigung ist äußerst schwierig, doch die Hilfsbereitschaft genauso groß. Emissäre reiten schließlich auf Kamelen ins entfernte Buschir , und kehren nach sechs Tagen tatsächlich mit dem begehrten Treibstoff zurück. Wo liegt Buschir? Wer weiß das ohne Google? Es ist eine Provinz und eine Stadt im Iran. Unerträgliche Hitze herrscht, die sogar die Gummibereifung schmelzen lässt, also startet der Heißsporn auf den Felgen – man mag sich die Landung nicht vorstellen. Bei der Abkürzung über den Persischen Golf zwingt ihn ein ratternder Motor zur Notlandung auf einem unbewohnten Eiland, der gewiefte Techniker kann sich selbst helfen. Und weiter geht der wilde Flug.
Aus heiterem Himmel taucht der Freiherr auf und meist nur wenige Tage später geht sein Himmelsritt weiter. So bizarr sein Abenteuer, so groß ist überall die Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft. In Karachi nimmt sich die Royal Air Force seiner geschundenen 20 Pferde an, der Mercedes-Motor wird von den ehemaligen Kriegsgegnern komplett überholt. Über Kalkutta kommt Karl Friedrich schließlich nach Bangkok. Und was noch fehlt, kommt jetzt: die Liebesgeschichte! Der Baron und die Prinzessin, der er vorgestellt wird, bandeln wohl an. Sowohl Fotos als auch sein ungewöhnlich langer Aufenthalt in Thailands Königsresidenz sprechen dafür, wenngleich er selbst – ganz Gentleman – sich sein Leben lang in diskretes Schweigen hüllt. Nach zwei Monaten ist es aber so weit, der Abenteurer erinnert sich seines „Kameraden“. Doch bevor er mit ihm abhebt, bekommt er von der Kronprinzessin ein Körbchen überreicht, darin eine kleine Siamkatze, die von ihm in zärtlicher Erinnerung den Namen „Tanim“ erhält. Hollywood hätte es nicht schöner in Szene setzen können und Peter Schmid, Stückeschreiber und Regisseur vom „Theater ohne Namen“, lässt sich diese Lovestory ebenfalls nicht entgehen.
Aber der Rummel kommt erst noch. Über Singapur, Shanghai nach Japan und von dort per Dampfschiff nach San Francisco, wo der inzwischen 23-Jährige wieder in seinen Flieger steigt und nach Los Angeles düst, um sich mit dem Hollywood-Begründer und gebürtigen Laupheimer Carl Laemmle im „Goldenen Ochsen“ zu treffen. Die Amis sind außer sich vor Begeisterung. Die geballte Medienmacht stürzt sich auf den Pionier – und seine Katze! Das Duo erfüllt alle Klischees, aus dem sich Schlagzeilen, Fotos und Filme machen lassen. Ein gefundenes Fressen. Der fliegende Baron mit seiner adeligen Katze ist in der Neuen Welt ein Star. „Frankfurter Wuerstchen à la Koenig-Warthausen“ finden sich auf der Speisekarte und er ist Ehrengast, wo immer er landet.
Doch mit einem können sich die Amis gar nicht anfreunden: mit dem Namen „Kamerad“, den finden sie irgendwie anstößig. Und um das eigene Bild makellos zu machen, lässt sich Koenig darauf ein, seinen Flieger auf „Huenefeld“ umzutaufen. Graf Hünefeld hat ein Jahr zuvor den Atlantik von Ost nach West überflogen und ist sein fliegerisches Vorbild.
Die Welt ist rund und der Weltflieger auf dem besten Weg, zum zweiten Mal den Hindenburg Pokal zu gewinnen. Dazu muss er allerdings bis 1. November zurück in Deutschland sein. Da passiert ihm ein Unglück, nicht mit seinem Flieger, nein! Es ist wie in einem schlechten Western. El Paso, Texas, früh morgens vor Sonnenaufgang. „Huenefeld“ ist startklar, der Baron will heute weiter nach Dallas und lässt sich mit dem Taxi zum Flugplatz bringen. In den USA herrscht seit zehn Jahren die Prohibition, kein Alkohol nirgends oder überall illegal. Der Autofahrer, der das Taxi des Fliegers rammt, hatte sich ganz offensichtlich für scheißegal entschieden und ist sturzbetrunken. Schwer verletzt kommt der bis dahin Unverletzliche mitsamt seinem Kater ins Krankenhaus. Zwei Monate liegt Koenig dort und muss seine Verletzung am Oberschenkel auskurieren. Fürsorglich hatten die Ärzte auch Tanims krummen Schwanz eingegipst, sie vermuteten, die Anatomie einer Siamkatze nicht kennend, dass er gebrochen sei.
Egal, nun drängt die Zeit, wenn es noch klappen soll bis zum 1. November. Man war dem Tausendsassa im Reglement erneut entgegengekommen, so dass er sich bis dahin auf ein deutsches Schiff begeben musste, um die Heimfahrt anzutreten. Koenig hetzt quer durch die USA von Flugplatz zu Flugplatz, aber die Herbststürme sind stärker. In der Autostadt Detroit in Michigan ist endgültig klar, es ist nicht mehr zu schaffen, der zweite Pokal ist futsch. Und der Freiherr ist von den Strapazen zermürbt. Enttäuscht resümiert er: „15 Monate war ich unterwegs. Immerzu fremde Gesichter, immerzu fremde Sitten, Landung, Start, Landung, Start. Auf die Maschine Acht geben, für Benzin sorgen, filtern. Wetterberichte studieren. Und die Angst, das verfluchte Ding zu zerschmeißen. Zum Schluss ist alles ein Dreck gewesen. Pokal fällt aus wegen Nebel.“ Von seinem Unfall hat er Schmerzen und humpelt „wie ein Invalide“, klagt er. Und auch sein „Kamerad“ ist am Ende: „Keinen Meter wollt‘ ich mehr mit dem ausgeleierten Vogel fliegen.“ Muss er auch nicht, von nun an geht’s per Schiff nach Hause.
Der Empfang in der Heimat ist überwältigend. Von Daimler-Benz bekommt der Heimkehrer einen Mercedes geschenkt, als Dank dafür, dass er die Zuverlässigkeit des Flugzeugmotors auf Teufel komm raus unter Beweis gestellt hat. Landauf und landab werden Lobgesänge auf seinen Mut und seine Tapferkeit angestimmt. Die Geschichte des jungen Barons taugt als nationales Aphrodisiakum.
Am 8. Dezember 1929 hält Karl Friedrich Freiherr von Koenig Einzug in Biberach. Die Stadt war beflaggt. Die Stadthalle ist mit 700 Gästen überfüllt, darunter viele Notabeln. Pathos durchflutet den Raum. Patriotismus bemächtigt sich des „deutschen Lindbergh“, dessen Weltumrundung zwischen den beiden größten Kriegen der Menschheitsgeschichte jedoch ein zartes Band der Völkerverständigung wob. In allen Ländern habe er Freunde gefunden, berichtet der Weltflieger. „Ob das Russland oder Persien oder China, Japan oder Amerika war, überall fand ich herzliche Aufnahme.“
Dem Baron blieb die Erinnerung. Der studierte Jurist und Volkswirt promovierte nach seiner Rückkehr in Tübingen und arbeitete während des Krieges in der Flugzeugindustrie. Politisch war er offensichtlich nicht engagiert und der heraufziehende Krieg verlangte nach Feindbildern und nicht nach Völkerverständigung, weshalb der Oberschwabe auch von der Nazi-Propaganda verschont blieb. Nach dem Krieg zog der Freiherr sich nach Sommershausen zurück und wurde Landwirt. 1973 verkaufte er das Gut und lebte fortan am Lago Maggiore. Der Freiherr starb 1986 in München.
Nun erfährt der tollkühne Flieger eine originelle Würdigung. Er kommt auf die Bretter, die die Welt bedeuten. Das Biberacher „Theater ohne Namen“ nimmt sich seiner an, ganz nach dem Motto der Sportfliegerei: Per aspera ad astra! Auf rauen Pfaden gelangt man zu den Sternen!
Und auch das ist eine Wiederholung, die sich lohnt, wenn das „Theater ohne Namen“ unter der Regie von Peter Schmid wie schon vor zehn Jahren erneut den „König der Lüfte“ aufführt. Es geht wieder hoch her, verspricht der Theatermacher. Worauf man sich verlassen kann!
Autor: Roland Reck