Oberschwaben und die Welt – Das Setting oder altdeutsch das Drumherum dieser Geschichte ist ein Durcheinander. Es gibt das Drama der vielen Flüchtlinge, die alle zu uns wollen und dadurch für Aufruhr sorgen. Es gibt die vielen Akteure auf allen Ebenen, die sich redlich mühen, der Probleme – Wo gibt es noch Unterkünfte? – Herr zu werden. Es gibt die politische Gewitterwand, die sich am Horizont bedrohlich aufbaut und fürchten lässt, dass humanitäre Dämme brechen. Und es gibt einen Pfarrer, der auch Pater ist und einem kleinen syrischen Jungen eine hoffnungsvolle Zukunft erkämpft und sich dabei glücklich wie ein Opa fühlt. Eine Mutmachgeschichte.
Es vergeht kein Tag, an dem die Zuwanderung von Flüchtlingen, unverfänglich Migration genannt, nicht Thema in den Medien ist, was wiederum ein Indiz ist, dass das Phänomen höchst brisant ist. Es herrscht Einigkeit: die „irreguläre“ Zuwanderung muss gestoppt, aber zumindest geordnet werden. Was vermuten lässt, dass es auch reguläre und somit geordnete Zuwanderung gibt. Die eine ist unerwünscht, das sind die Flüchtlinge, die laut Ravensburger Landrat auch noch nach Nützlichkeit zu unterscheiden sind in Alphabeten und Analphabeten. Denn es gibt auch noch die Suche nach Arbeits- und Fachkräften, deren Zuzug häufig an zu viel bürokratischem Gedöns scheitert, beklagen die Unternehmen. Während die Kommunen landauf-landab klagen, dass sie am Limit sind. So im Landkreis Ravensburg, wo Behelfsunterkünfte aufgebaut werden, so auch im Kreis Biberach, wo der Landrat in einer Eilentscheidung 120 Wohncontainer für weitere 240 Geflüchtete, die in den nächsten Monaten kommen werden, orderte. Und das Problem setzt sich in den Gemeinden fort, wo die Geflüchteten im Anschluss untergebracht werden müssen. Erste Kommunen weigern sich, dies zu tun. Der Aufnahmestopp des Ulmer Oberbürgermeisters für eine Woche konnte noch als Wahlkampfgetöse um seinen Rathausposten verbucht werden, aber es gibt weitere Gemeinden, die öffentlichkeitswirksam protestieren und mehr Unterstützung von Land und Bund einfordern. Was wiederum die AfD als Nutznießerin der Misere auf den Plan ruft.
Der AfD-Landtagsabgeordnete und migrationspolitische Fraktionssprecher Ruben Rupp erklärt lakonisch: „Wir brauchen nicht mehr Geld, sondern weniger Flüchtlinge! Daher: Sach- statt Geldleistungen, effektiver Grenzschutz und eine konsequente Abschiebepolitik, und all das sofort. Auf unseren Schultern lastet nicht das Elend dieser Welt.“ Einfache Rezepte, die inzwischen parteiübergreifend mehrheitsfähig sind, serviert mit einem Leck-mich-a-A-Standpunkt bescheren den Populisten berauschende Wahlergebnisse und beängstigende Wahlprognosen.
Das mit der Angst greift der Biberacher Landrat Mario Glaser bei einer Pressekonferenz auf. „Das Bild, das in breiten Schichten der Bevölkerung vorhanden ist, macht mir Angst.“ Er weist darauf hin, dass die Hälfte der Schutzsuchenden, die im Landkreis ankommen, Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine ist, aktuell sind es 2234 Menschen. Ohne diesen Krieg, den keiner außer Putin wollte, gäbe es keine Überlastung bei der Unterbringung und „keine politische Diskussion“ über Migration, erklärt der parteilose Verwaltungsmann. Populismus sei „brandgefährlich“, warnt Glaser, „wir müssen bei den Fakten bleiben“. Zu den Fakten zählt, dass vielerorts die Menschen auf die Barrikaden gehen, wenn in ihrer Nähe Flüchtlinge untergebracht werden sollen. Und auch das ist Fakt, dass die Unterbringung trotz Proteste erfolgt. Man informiere frühzeitig und umfassend, aber stelle „den Mietvertrag nicht zur Diskussion“, erklärt Petra Alger, Sozialdezernentin im Biberacher Landratsamt. Und ihr Ravensburger Kollege und stellvertretende Landrat Honikel-Günther wird in der Schwäbischen mit der provokanten Frage zitiert: „Gäbe es dann irgendwo in Deutschland die Möglichkeit für eine Flüchtlingsunterkunft?“, wenn darüber abgestimmt würde. „Wir bringen Menschen unter!“, appelliert Mario Glaser und sieht darin „unsere humanitäre Verpflichtung“.
Die Stimmung hat sich geändert
Und dann taucht plötzlich Pater Alfred Tönnis auf, der Bussenpfarrer, und bringt dieser Tage ein dreijähriges Waisenkind aus Syrien zu seinen Verwandten nach Bad Buchau. Viel öffentliche und wohlwollende Aufmerksamkeit ist dem Medienpfarrer sicher. Der 64-Jährige ist seit Jahrzehnten schon mit dem Thema befasst. Er half im Kosovo, im Libanon, in Syrien, war in Griechenland auf der Insel Lesbos und machte sich wie der Papst auf Lampedusa ein Bild vom Grauen. Vor zehn Jahren gründete er in dem kleinen Ort Oggelsbeuren das „Lebens-, Entwicklungs- und Ausbildungszentrum“, wo er mit 75 Kriegsflüchtlingen aus Syrien lebte und arbeitete.
BLIX führte im Oktober 2013 ein ausführliches Interview mit dem umtriebigen Priester. Er war voller Tatendrang und Enthusiasmus. Er lebte vor, was Angela Merkel zwei Jahre später 2015 angesichts hunderttausender syrischer Flüchtlinge, die zu Fuß, in Bussen und in Zügen nach Deutschland strömten, sagen wird: „Wir schaffen das!“ Das kommt dem Pater zehn Jahre später so nicht mehr über die Lippen. Er weiß, wie schwer es ist, den einfachen Lösungen à la AfD zu misstrauen und weiß, wie kompliziert es ist, dass Menschen unterschiedlicher Kulturen sich trotz der Unterschiede „wertschätzen“. Das sei mehr als tolerieren, aber weniger als integrieren. Von letzterem habe er sich verabschiedet. Das habe noch nicht einmal innerhalb der Deutschen geklappt, dazu seien die kulturellen Unterschiede zwischen Ost und West offensichtlich immer noch zu groß, meint der Seelsorger. Er sieht im Zuspruch zur AfD ein Indiz dafür. Doch genau dieses Indiz scheint sich in diesen Zeiten aufzulösen. Die Zuwendung zum Populismus ist die neue deutsche Einheit jenseits aller Unterschiede. Ja, er habe auch in seiner Verwandtschaft AfD-Wähler, räumt Tönnis ein. Und damit nicht genug: „Es gibt viele Fromme, die AfD wählen“, sagt der Pfarrer. Und es gäbe eben auch die bösen Fälle, wie die in Illerkirchberg, die die Menschen ängstigen. Der Geistliche weiß um die vielen Traumatisierungen unter den Flüchtlingen, fordert aber dennoch die harte Hand und konsequentes Handeln bei Verbrechen, um nicht weiter Vertrauen zu verlieren. „Wir sind im Umgang mit Verbrechern zu lasch“, kritisiert der Pfarrer.
„Die Stimmung hat sich geändert“ in den letzten zehn Jahren, sagt er. Das gilt auch für ihn und für viele andere Engagierte, von denen es eh schon weniger gibt als vor acht Jahren, bedauert Petra Alger. Den Unterschied zu 2015 erklärt die Sozialdezernentin damit, dass damals nach eineinhalb Jahren mit der Schließung der Balkanroute der Zustrom verebbte. Aber die Ruhe nach dem Sturm, war die Ruhe vor dem nächsten. Die Glutnester in Syrien sind noch heiß, und ein Ende des Kriegs in der Ukraine ist nicht abzusehen, genauso wenig wie die Folgen des Terrors im Nahen Osten. Und jeder Krieg verursacht Flüchtlinge, die Klimakrise, unser Krieg gegen die Natur, nicht minder. Die multiplen Krisen machen ohnmächtig und Angst.
Mit der Hilfe für Mohamad Omar, dem Waisenkind aus Syrien, erzählt Pater Alfred eine „Mutmachgeschichte“. Das Ende geht so: „Mit dieser Aktion rette ich ja nicht die Welt, aber für diesen einen dreijährigen Jungen ändert sich seine Welt in eine hoffnungsvollere Welt“, ist der Bussenpfarrer überzeugt. Und er möchte ein Zeichen setzen für den interreligiösen Dialog, wenn ein katholischer Priester von der christlichen Botschaft motiviert einem muslimischen Jungen in seiner neuen Familie eine Perspektive gibt. Eine Ermutigung soll es sein für alle, die sich für Geflüchtete einsetzen, um nicht zu resignieren.
Autor: Roland Reck