„Etwas Besinnliches mit Kultur“ soll es sein. Wünscht sich der Auftraggeber. Wegen Weihnachten. Aber Redaktionsschluss ist jetzt. Am Wochenende. Also weiter im Text. Besinnlich und was mit Kultur. Die soll es dann immer richten.
Ewige Weihnachten will Tante Milla in Bölls „Nicht nur zur Weihnachtszeit“, aber viele Mütter, Großmütter, Väter und nicht Weihnachtsartikel produzierende Unternehmen wünschen das Fest als solches zum Teufel. Jede und jeder stöhnt über die tausend Vorbereitungen, die unnötigen Einkäufe, die falschen Geschenke, die zu teuren Geschenke, den ganzen Konsumklimbim, den Stress am Herd als Mini-Sternekoch und vor dem überfüllten Tiefkühlschrank. Dazu die mentale Gehirnwäsche: Immer dieselben Sprüche von Liebe, Frieden, Barmherzigkeit. Beschwörungsformeln, die dann am besten greifen, wenn der Weltschmerz überhand nimmt und die Zeiten so düster sind, dass die Verdrängung einfach nicht mehr zu leisten ist. Wie jetzt. Noch nicht so richtig schlimm für uns in der Mitte Europas. Aber für Andere schon lange.
Im übrigen erleben wir – wenn auch nur medial – das Bibel-Szenario seit Jahren in immer größerer Dimension: Flüchtlinge überall, Verstoßene, Verfolgte, Verwirrte und Verzweifelte, gerade war ein Komet zu sehen, der erst Anfang 2023 entdeckt worden ist, keine bezahlbaren Wohnungen nirgendwo, in vielen Ländern kaputt gebombte Quartiere. Das in der Vorzeit liegende Szenario mit der Sintflut gibt es nun jährlich auf verschiedenen Breitengraden.
Im Einzelfall funktioniert aber die Weihnachtsdressur doch verlässlich: Kaum eine (hier kann das Maskulinum getrost übergangen werden), die nicht Kerzen anzündet, Tannenzweige oder sonstige Deko verteilt. Stumpenkerzen mit Bratapfel-Duft oder Vanille. Die Schlitten ziehenden Rentiere in den Kümmergärten der Einfamilienhäuser und die Nikolaus-Fassadenkletterer sind wohl out, jetzt sind ganze Satteldachgiebel mit Lichterketten in allen Farben bekränzt – verlässlich ab sofort und bis zum 6. Januar.
Ebenso verlässlich und tapfer: die Kirchenkonzerte, die Laienchöre, die oft mit verzweifeltem Impetus auf einen Bach-Choral vertrauen, der eine Ordnung widerspiegelt, die in der westlichen Welt schon lange verloren gegangen ist. Tröstlich? Schöne Musik, sicher. Wie ein Schleier, der sich sanft über alles legt und Ohr, Gehirn und Gemüt beruhigt. Vielleicht. Wenn man dem nachgibt. Wenn man es versteht. Wenn man es zu genießen gelernt hat.
„Wo bleibt das Positive“? Erich Kästner hat 1930 darauf ein Gedicht gemacht. Es endet so: „Die Zeit liegt im Sterben / Bald wird sie begraben / Im Osten zimmern sie schon den Sarg / Ihr möchtet gern euren Spaß dran haben…? / Ein Friedhof ist kein Lunapark.“
An den Feiertagen würde eines dieser berauschenden Alpenpanoramen trösten. Aus der Nähe eine Welt aus Eis, Kälte und Wind. Aus sicherer Distanz betrachtet eine fantastische Erscheinung, die das Herz aufgehen lässt, überirdisch schön.
Also einfach weniger jammern und dafür genauer hinsehen? So in etwa. Könnte helfen. Und keine Sorge, ist auch an die eigene Adresse gerichtet …
Text und Fotos: Dorothee L. Schaefer