Skip to main content
Bauer Alois auf seinem Hof bei Bad Wurzach. Beim Besuch der Journalisten zeigt sich ihnen dieses Bild: Der Hof steht unter Wasser, das Heu ist verfault. Fotos: sichtlich mensch/Andreas Reiner

Bad Wurzach – Schon 2011 hat das Veterinäramt die Tiere abgeholt. Spätestens da war der Hof pleite. Doch Alois lässt sich nicht vertreiben. Bei seinen Reichsbürgerfreunden gilt er als Held. Besuch bei einem Bauern, der keiner mehr ist.

Über einen ausgewaschenen Feldweg geht es hinunter zum Hof von Bauer Alois. Eine Ausbesserung hätte die Holperstrecke durchaus verdient, wenn man bedenkt, wie viel Verkehr da gerade herrscht. Aus Lindau, Frankfurt, Friedrichshafen, Balingen und Ulm seien Autos dagewesen, sagt der Nachbar, der einen Steinwurf weiter oben vor seinem Haus sitzt. Normalerweise müssen hier, an der Kreisgrenze zwischen Biberach und Ravensburg, Fuchs und Hase lange nacheinander suchen, um sich Gute-Nacht zu sagen. Jetzt herrscht ständig Betrieb. Auf einem Nummernschild habe „MSP“ gestanden – Main-Spessart-Kreis. „Das musste ich erst einmal nachschauen“, sagt der Nachbar.

ANZEIGE

Der Hof bei Bad Wurzach ist zur Pilgerstätte geworden für Reichsbürger, Esoteriker und Corona-Leugner aus Oberschwaben und weit darüber hinaus. Alois hat Konjunktur. Ein Bauer kämpft um seine Scholle – gegen das Landratsamt in Ravensburg, gegen die Gerichte, gegen das „System“. Jetzt steht die Räumung unmittelbar bevor. Eine solche Geschichte verkauft sich in Zeiten von Bauernprotesten prächtig in den einschlägigen sozialen Netzwerken. Das hat auch Marco Ligon erkannt. Früher arbeitete er als Ingenieur, jetzt verbreitet er unter dem Pseudonym „Zeitzeuge M.“ über Telegram die Schwurbel-News in Oberschwaben. 150.000 Klicks hat ihm ein einstündiges Interview mit Bauer Alois auf Youtube eingebracht. Da kam er gerne noch einmal zehn Tage später zurück, um nachzulegen. Jeder Klick bringt Geld. „Alois, von dir kann man so viel lernen, da könnte man ewig zuhören.“

Für viele in der Szene ist Alois schlicht ein Held. Unter seinen Standeskollegen hat der 65-Jährige mit Farmer-Cap, kariertem Hemd und abenteuerlichen Zähnen hingegen kaum noch Freunde. Es sei eine Schande für die ganze Bauernschaft, wie es auf seinem Hof aussehe, habe er sich schon sagen lassen müssen. Mannshohe Brennnesselhaine umgeben die Ställe, in denen nur noch Gerümpel steht. In die Wohnung lässt er niemanden, Gäste empfängt er im alten Schafstall zwischen Kreissäge und nie eingebauten Fenstern.

ANZEIGE

Die Tiere hat schon 2011 das Ravensburger Veterinäramt abgeholt. Kälber, Ziegen, Schweine, Enten – alles weg, sagt Bauer Alois: insgesamt 300 Stück. „Wenn man die Mäuse mitzählt“, lästert sein Nachbar. Er ist zehn Jahre älter, beide sind auf ihren Höfen groß geworden. Freunde waren sie nie.

Es gibt Menschen, die in wirtschaftliche Not geraten und dann ins Reichsbürgermilieu abdriften. Bei Alois war es umgekehrt. Das im Jahr 2011 ausgesprochene Tierhalteverbot war deshalb keineswegs ein Wendepunkt in dieser Geschichte. Schon als junger Bauer hat er sich tief ins „Naturrecht“ eingearbeitet. Die Auseinandersetzungen zwischen dem Veterinäramt und dem Landwirt währten bereits Jahrzehnte, bestätigt eine Sprecherin des Landratsamtes. Er habe seinen Hof nur „wie zu Zeiten der Großmutter im Einklang mit der Natur“ führen wollen, sagt Alois: ohne künstlichen Dünger, ohne chemische Pflanzenschutzmittel und ohne Tierarzt. Für die Amtsveterinäre waren die hygienischen Zustände hingegen untragbar. Krankheiten seien einfach nicht behandelt worden, stellten sie fest.

ANZEIGE

Dutzende Heuballen, die seit damals nicht mehr gebraucht werden, stehen immer noch herum. Vieles ist verfault. Inzwischen hat Alois nicht einmal mehr Strom im Haus, es sei denn, er wirft den Generator an. Er sei Selbstversorger, behauptet er. Eine Fotovoltaikanlage kommt ihm nicht aufs Dach – wegen angeblicher Strahlungen. Eigentlich hätte sein Hof schon 2012 zwangsversteigert werden sollen. Im Amtsblatt von Bad Wurzach wurde das Bauernhaus samt mehrerer Schuppen, Güllegrube und 14 Hektar Felder und Wälder für rund 400 000 Euro angeboten. 35 Gläubiger sollen am Ende eingetragen gewesen sein. Allein die Pflichtversicherung fordert wohl knapp 200 000 Euro.

Düstere Aussichten: Der Hof von Bauer Alois in Bad Wurzach.

Doch das Verfahren zog sich hin. Der Rechtsstaat tut sich offensichtlich schwer mit Menschen, die keine Briefe öffnen und den Behörden jegliche Legitimität absprechen. Ein erster Käufer gab den Hof wieder zurück. Erst zwölf Jahre später, am Nikolaustag 2023, kam das Anwesen erneut unter den Hammer. Der Betreiber einer Biogasfirma erhielt den Zuschlag für rund 530 000 Euro, wie es heißt.

Die Felder hat der neue Eigentümer – der „Erdenzerstörer“, wie Alois ihn nennt – schon umgepflügt. Doch vom Hof lasse er sich nicht vertreiben. Den mutmaßlichen Räumungsbescheid hat Alois ungeöffnet am Scheunentor hängen lassen. Alle Zahlungsforderungen gegen ihn seien ohnehin nichtig. Ein eingeborener Alemanne sei er, der nicht dem „Handels- und Seerecht“ unterliege. Nach dem Naturrecht sei die Enteignung „rechts-, sitten- und auch völkerrechtswidrig“. Was absurd klingt, folgt auch offen antisemitischen Motiven. Die Juden seien es, „die uns Alemannen eliminieren wollen“, sagt Alois.

Jetzt kommt wieder jemand den Feldweg heruntergeholpert. Eine ältere Dame steigt aus ihrem Auto mit Waldshuter Kennzeichen. Auch sie sei eine „Indigenat-Deutsche“, wie sie betont. Zum Beleg wedelt sie mit einem Papier, das sie in Plastik eingeschweißt hat und das sie als „inkarniertes Mädchen“ ausweist. Das habe sie sogar schon bei der russischen Militärstaatsanwaltschaft vorgelegt. Warum und mit welchem Erfolg, sagt sie nicht.

Ein solches Papier wollen sie nun auch für Alois erstellen und bei der Krankenkasse einreichen und zwar direkt bei der Zentrale in Kassel. Nicht dass der Pass, der der Kasse die Unrechtmäßigkeit ihrer Forderungen vor Augen führen soll, womöglich noch in der Post verloren geht. „Ich habe alles dabei“, sagt die Frau.

Derweil wartet die Szene darauf, dass die Polizei zur Räumung anrückt. Man müsse ein Protestcamp auf dem Bauernhof veranstalten, schreibt Daniel Langhans, der führende Kopf der Ulmer Querdenken-Bewegung, in einem Telegram-Kanal und sucht nach einem Organisator. Selbst hat er dazu offenbar keine Zeit. Tobias Fink, der die bekannte Querdenker-Gaststätte „Reiwerle“ in Annweiler (Rheinland-Pfalz) geführt hat, ehe sie in finanzielle Schieflage geriet, soll sich als Rechtsbeistand angeboten haben, heißt es. Auch Matthes Haug, der als Vertrauter von Heinrich XIII. Prinz Reuß gilt – dem Kopf der aktuell vor Gericht stehenden Reichsbürgerverschwörer-Gruppe – hat schon eine Solidaritätsadresse gesendet.

Dass ihn diese Personen nur für ihre eigenen Zwecke ausnutzen und ihm am Ende doch nicht helfen werden, ficht Alois nicht an. „Dann ist das deren Problem“, sagt er. Nicht besser steht es aus seiner Sicht um das Seelenheil der Polizisten, die ihn demnächst womöglich von seinem Hof tragen sollen. „Die werden wieder gehen, und zwar ganz tief in die Hölle.“

Doch was aus ihm selbst wird? Einen Plan B. hat Alois nicht. Über ein Leben ohne den Hof hat er noch nicht nachgedacht. 

Der Artikel erschien am 9. September 2024 in der Stuttgarter Zeitung, Seite Drei: „Der Kampf von Schwurbelbauer Alois“

Autor: Eberhard Wein

Lesen Sie zum Thema auch das Interview mit Fotojournalist Andreas Reiner



NEUESTE BLIX-BEITRÄGE

Editorial BLIX Oktober 2024

Liebe Leserinnen, liebe Leser, nach einem schönen Sommer noch einen schönen Herbst, das wär’s! Noch können wir uns darauf freuen. Aber egal, was das Wetter macht, es ist auf jeden Fall viel los in dieser Jahreszeit, davon können Sie sich wieder einmal in BLIX überzeugen. 

„Ganz tief in die Hölle“

Bad Wurzach – Schon 2011 hat das Veterinäramt die Tiere abgeholt. Spätestens da war der Hof pleite. Doch Alois lässt sich nicht vertreiben. Bei seinen Reichsbürgerfreunden gilt er als Held. Besuch bei einem Bauern, der keiner mehr ist.

Die Mischung macht’s

Galmutshöfen – Der Artikel über Bauer Alois und sein Treiben erschien zuerst in der Stuttgarter Zeitung am 9. September auf der Seite Drei. Dass der Reporter Eberhard Wein den Weg von Stuttgart in die oberschwäbische Einöde fand, dafür sorgte der Fotojournalist Andreas Reiner, der den Bauer Alois ausfindig gemacht hatte. Der bei Warthausen lebende Fotograf ist kein Unbekannter, er machte mit seinen Projekten und Reportagen wiederholt bundesweit auf sich aufmerksam. So auch mit seinen Fotos üb…

Krawall-Fälle vor Gericht

Biberach – Das Biberacher Amtsgericht verhandelt ab November über die gewaltsamen Proteste am 14. Februar, die zur Absage des Politischen Aschermittwochs der Grünen geführt hatten. Damals wurden mehrere Polizisten verletzt, die Seitenscheibe eines Begleitfahrzeugs von Cem Özdemir wurde zertrümmert. Verhandelt wird am ersten Tag am 12. November laut Amtsgericht vor allem wegen des Vorwurfs der Begehung eines Landfriedensbruchs. Es gibt noch weitere Tatvorwürfe. 

Leserbriefe

Auch für den Monat Oktober erreichten uns wieder zahlreiche Zuschriften.

„Es wird schon schiefgehen“

Biberach – Die Biberacher Filmfestspiele sind immer für Überraschungen gut – auch in diesem Jahr. „Das wirklich Neue ist der künstlerische Leiter und das Team“, erklärt der neue Intendant der Filmfestspiele Douglas Wolfsperger im Gespräch mit BLIX. Der Regisseur und Dokumentarfilmer (Die Blutritter) beendet die Vakanz der Intendanz, nachdem Nathalie Arnegger nach nur zwei Jahren ihr Engagement in der Biberstadt beendet hatte. Woraufhin auch der alte Vereinsvorstand um Tobias Meinhold demissio…

„Kreativität lässt sich nicht aufhalten“

Ravensburg / Weingarten – Der Steckbrief lautet: Filmtage Oberschwaben in Ravensburg und Weingarten vom 10. bis 13. Oktober; 4 Tage, 4 Kinosäle, 35 Filme, 45 Vorstellungen, über 50 Filmschaffende! Helga Reichert und Adrian Kutter laden dazu ein, und BLIX sprach mit der Intendantin der Filmtage Helga Reichert über das bevorstehende Festival.

Ausflug in die Geschichte

Berchtesgaden – Reisen bildet. Ganz besonders, wenn man seine Wanderungen und Radtouren rund um Berchtesgaden mit einem Besuch des NS-Dokumentationszentrums Obersalzberg und dem nahe gelegenen Kehlsteinhaus verbindet.  

Oase der Regeneration

„Valle Maira“ – „Walle was? Valle Maria?“ – „Nein. Valle Maíra. Das liegt im Piemont, Grenzregion zu Frankreich. Geheimtipp für Wanderer und Bergfreunde. Lass uns da mal hingehen.“ Es war vor fast einem Jahr, als mein Freund und Bergkamerad Kalle mir diesen Vorschlag machte. Und dieses Jahr sind wir also hin: 8 Wandertage im Valle Maira.

Omas und Opas sind die Besten

Biberach – Der Appell galt allen. Nach längerer Pause rief Fridays for Future am 20. September zum bundesweiten „Klimastreik“ auf. Es sollte demonstriert werden, dass es sie noch gibt: die Klimakrise und dass die Schülerinnen und Schüler, die Jungen und die Alten für den Klimaschutz weiterhin auf die Straße gehen. Auch in Ravensburg, Ulm und Biberach fanden Demos statt. In Biberach versammelten sich nach Auskunft der Veranstalter 130 TeilnehmerInnen auf dem Marktplatz, 150 waren angemeldet, e…

Ziel: lebendige Gemeinschaft

Biberach – Bezahlbaren Wohnraum zu mieten oder zu kaufen ist nicht nur in Ballungsräumen schwierig. Sind Genossenschaften, die kei­ne überhöhten Gewinne erwirtschaften wollen, eine Lösung? 

Wichtig für die Energiewende

Biberach – Auch die Teilnehmerliste zeigte, dass es sich bei dem Thema „Geothermie“ um ein regionales Thema handelt. Aus den drei Kreisen Biberach, Ravensburg, Sigmaringen waren kommunale VertreterInnen an die Hochschule Biberach gekommen, um sich gemeinsam mit dem Staatssekretär Dr. Andre Baumann vom Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft über Potenziale der Geothermie in Oberschwaben informieren zu lassen und über deren Entwicklung zu diskutieren. Ein Fazit: Die Zeit drängt, es…

Lesen bringt’s

Biberach – Die Lesekompetenz deutscher Schülerinnen und Schüler sinkt. Zum Glück gibt es engagierte Fachleute wie Corona Eggert von der Stadtbücherei Biberach, die kreativ dagegen halten.

Lernort Moor

Bad Buchau – Wie sieht ein typisches Moor aus? Und was hat es mit dem Treibhausgas Kohlendioxid zu tun? Wie wichtig Moore für den Klimaschutz sind, lässt sich auf einer Führung des NABU-Naturschutzzentrums Federsee sehr kurzweilig lernen.   

Tagungshaus der Diözese schließt

Weingarten – Nach 51 Jahren mit zahlreichen Symposien, prominenten Gästen und an christlicher Bildung interessierten Bürgerinnen und Bürgern hat die Kirchenleitung jüngst entschieden: Das Tagungshaus der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart in Weingarten wird zum Ende des Jahres schließen. Grund dafür ist laut einem Newsletter der Akademie und einer Pressemitteilung der Diözese die wirtschaftlich angespannte Situation. 13 Mitarbeitende verlieren ihre Arbeitsstelle, die Standortleiterin b…

ANZEIGEN

BLIX-NEWSLETTER

VERANSTALTUNGEN

ALLGÄU-OBERSCHWABEN

Ravensburg – Onkologisches Zentrum präsentiert Therapien und Methoden der OSK im Kampf gegen Krebs. „Gemeinsam gegen …
Bad Waldsee – Im Finanzjahr 2023/24 erzielte die Erwin Hymer Group (EHG) einen Rekordumsatz von 3,36 Milliarden $ und…
Bad Wurzach / Bad Waldsee – Zum 30. September endet die Amtszeit von Bernhard Schad als Vorstandsvorsitzender der BAG…
Argenbühl – Tragisch hat am Dienstagnachmittag (24.9.) ein Unfall auf einem Hof bei Argenbühl geendet. Beim Rangieren…
Bad Schussenried – Herzlich Willkommen zum Schussenrieder Oktoberfest 2024! Vom 27. bis 29. September wird in allen G…