Bad Wurzach – Schon 2011 hat das Veterinäramt die Tiere abgeholt. Spätestens da war der Hof pleite. Doch Alois lässt sich nicht vertreiben. Bei seinen Reichsbürgerfreunden gilt er als Held. Besuch bei einem Bauern, der keiner mehr ist.
Über einen ausgewaschenen Feldweg geht es hinunter zum Hof von Bauer Alois. Eine Ausbesserung hätte die Holperstrecke durchaus verdient, wenn man bedenkt, wie viel Verkehr da gerade herrscht. Aus Lindau, Frankfurt, Friedrichshafen, Balingen und Ulm seien Autos dagewesen, sagt der Nachbar, der einen Steinwurf weiter oben vor seinem Haus sitzt. Normalerweise müssen hier, an der Kreisgrenze zwischen Biberach und Ravensburg, Fuchs und Hase lange nacheinander suchen, um sich Gute-Nacht zu sagen. Jetzt herrscht ständig Betrieb. Auf einem Nummernschild habe „MSP“ gestanden – Main-Spessart-Kreis. „Das musste ich erst einmal nachschauen“, sagt der Nachbar.
Der Hof bei Bad Wurzach ist zur Pilgerstätte geworden für Reichsbürger, Esoteriker und Corona-Leugner aus Oberschwaben und weit darüber hinaus. Alois hat Konjunktur. Ein Bauer kämpft um seine Scholle – gegen das Landratsamt in Ravensburg, gegen die Gerichte, gegen das „System“. Jetzt steht die Räumung unmittelbar bevor. Eine solche Geschichte verkauft sich in Zeiten von Bauernprotesten prächtig in den einschlägigen sozialen Netzwerken. Das hat auch Marco Ligon erkannt. Früher arbeitete er als Ingenieur, jetzt verbreitet er unter dem Pseudonym „Zeitzeuge M.“ über Telegram die Schwurbel-News in Oberschwaben. 150.000 Klicks hat ihm ein einstündiges Interview mit Bauer Alois auf Youtube eingebracht. Da kam er gerne noch einmal zehn Tage später zurück, um nachzulegen. Jeder Klick bringt Geld. „Alois, von dir kann man so viel lernen, da könnte man ewig zuhören.“
Für viele in der Szene ist Alois schlicht ein Held. Unter seinen Standeskollegen hat der 65-Jährige mit Farmer-Cap, kariertem Hemd und abenteuerlichen Zähnen hingegen kaum noch Freunde. Es sei eine Schande für die ganze Bauernschaft, wie es auf seinem Hof aussehe, habe er sich schon sagen lassen müssen. Mannshohe Brennnesselhaine umgeben die Ställe, in denen nur noch Gerümpel steht. In die Wohnung lässt er niemanden, Gäste empfängt er im alten Schafstall zwischen Kreissäge und nie eingebauten Fenstern.
Die Tiere hat schon 2011 das Ravensburger Veterinäramt abgeholt. Kälber, Ziegen, Schweine, Enten – alles weg, sagt Bauer Alois: insgesamt 300 Stück. „Wenn man die Mäuse mitzählt“, lästert sein Nachbar. Er ist zehn Jahre älter, beide sind auf ihren Höfen groß geworden. Freunde waren sie nie.
Es gibt Menschen, die in wirtschaftliche Not geraten und dann ins Reichsbürgermilieu abdriften. Bei Alois war es umgekehrt. Das im Jahr 2011 ausgesprochene Tierhalteverbot war deshalb keineswegs ein Wendepunkt in dieser Geschichte. Schon als junger Bauer hat er sich tief ins „Naturrecht“ eingearbeitet. Die Auseinandersetzungen zwischen dem Veterinäramt und dem Landwirt währten bereits Jahrzehnte, bestätigt eine Sprecherin des Landratsamtes. Er habe seinen Hof nur „wie zu Zeiten der Großmutter im Einklang mit der Natur“ führen wollen, sagt Alois: ohne künstlichen Dünger, ohne chemische Pflanzenschutzmittel und ohne Tierarzt. Für die Amtsveterinäre waren die hygienischen Zustände hingegen untragbar. Krankheiten seien einfach nicht behandelt worden, stellten sie fest.
Dutzende Heuballen, die seit damals nicht mehr gebraucht werden, stehen immer noch herum. Vieles ist verfault. Inzwischen hat Alois nicht einmal mehr Strom im Haus, es sei denn, er wirft den Generator an. Er sei Selbstversorger, behauptet er. Eine Fotovoltaikanlage kommt ihm nicht aufs Dach – wegen angeblicher Strahlungen. Eigentlich hätte sein Hof schon 2012 zwangsversteigert werden sollen. Im Amtsblatt von Bad Wurzach wurde das Bauernhaus samt mehrerer Schuppen, Güllegrube und 14 Hektar Felder und Wälder für rund 400 000 Euro angeboten. 35 Gläubiger sollen am Ende eingetragen gewesen sein. Allein die Pflichtversicherung fordert wohl knapp 200 000 Euro.
Doch das Verfahren zog sich hin. Der Rechtsstaat tut sich offensichtlich schwer mit Menschen, die keine Briefe öffnen und den Behörden jegliche Legitimität absprechen. Ein erster Käufer gab den Hof wieder zurück. Erst zwölf Jahre später, am Nikolaustag 2023, kam das Anwesen erneut unter den Hammer. Der Betreiber einer Biogasfirma erhielt den Zuschlag für rund 530 000 Euro, wie es heißt.
Die Felder hat der neue Eigentümer – der „Erdenzerstörer“, wie Alois ihn nennt – schon umgepflügt. Doch vom Hof lasse er sich nicht vertreiben. Den mutmaßlichen Räumungsbescheid hat Alois ungeöffnet am Scheunentor hängen lassen. Alle Zahlungsforderungen gegen ihn seien ohnehin nichtig. Ein eingeborener Alemanne sei er, der nicht dem „Handels- und Seerecht“ unterliege. Nach dem Naturrecht sei die Enteignung „rechts-, sitten- und auch völkerrechtswidrig“. Was absurd klingt, folgt auch offen antisemitischen Motiven. Die Juden seien es, „die uns Alemannen eliminieren wollen“, sagt Alois.
Jetzt kommt wieder jemand den Feldweg heruntergeholpert. Eine ältere Dame steigt aus ihrem Auto mit Waldshuter Kennzeichen. Auch sie sei eine „Indigenat-Deutsche“, wie sie betont. Zum Beleg wedelt sie mit einem Papier, das sie in Plastik eingeschweißt hat und das sie als „inkarniertes Mädchen“ ausweist. Das habe sie sogar schon bei der russischen Militärstaatsanwaltschaft vorgelegt. Warum und mit welchem Erfolg, sagt sie nicht.
Ein solches Papier wollen sie nun auch für Alois erstellen und bei der Krankenkasse einreichen und zwar direkt bei der Zentrale in Kassel. Nicht dass der Pass, der der Kasse die Unrechtmäßigkeit ihrer Forderungen vor Augen führen soll, womöglich noch in der Post verloren geht. „Ich habe alles dabei“, sagt die Frau.
Derweil wartet die Szene darauf, dass die Polizei zur Räumung anrückt. Man müsse ein Protestcamp auf dem Bauernhof veranstalten, schreibt Daniel Langhans, der führende Kopf der Ulmer Querdenken-Bewegung, in einem Telegram-Kanal und sucht nach einem Organisator. Selbst hat er dazu offenbar keine Zeit. Tobias Fink, der die bekannte Querdenker-Gaststätte „Reiwerle“ in Annweiler (Rheinland-Pfalz) geführt hat, ehe sie in finanzielle Schieflage geriet, soll sich als Rechtsbeistand angeboten haben, heißt es. Auch Matthes Haug, der als Vertrauter von Heinrich XIII. Prinz Reuß gilt – dem Kopf der aktuell vor Gericht stehenden Reichsbürgerverschwörer-Gruppe – hat schon eine Solidaritätsadresse gesendet.
Dass ihn diese Personen nur für ihre eigenen Zwecke ausnutzen und ihm am Ende doch nicht helfen werden, ficht Alois nicht an. „Dann ist das deren Problem“, sagt er. Nicht besser steht es aus seiner Sicht um das Seelenheil der Polizisten, die ihn demnächst womöglich von seinem Hof tragen sollen. „Die werden wieder gehen, und zwar ganz tief in die Hölle.“
Doch was aus ihm selbst wird? Einen Plan B. hat Alois nicht. Über ein Leben ohne den Hof hat er noch nicht nachgedacht.
Der Artikel erschien am 9. September 2024 in der Stuttgarter Zeitung, Seite Drei: „Der Kampf von Schwurbelbauer Alois“
Autor: Eberhard Wein
Lesen Sie zum Thema auch das Interview mit Fotojournalist Andreas Reiner