Ravensburg – Vom Baum in die Jugendarrestanstalt (JAA) und zurück. So könnte die Kurzfassung der Geschichte lauten, die dem Umweltaktivisten Samuel Bosch (21) widerfahren ist, und die er und seine MitstreiterInnen nach seiner nächtlichen Haftentlassung bei einer Open-Air-Pressekonferenz am 5. April auf dem Ravensburger Marienplatz etwas ausführlicher erzählten.
Nachdem Samuel Bosch, Klimaaktivist der Waldbesetzung bei Vogt im Altdorfer Wald, wegen einer Protestaktion in Jugendarrest musste, hat das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe jüngst zu seinen Gunsten entschieden. Seine Protestaktion gegen die bayerische Regierung von Schwaben in Augsburg wurde von der höchsten gerichtlichen Instanz der Bundesrepublik Deutschland als freie Meinungsäußerung und nicht als üble Nachrede bewertet. Das Amtsgericht und schließlich das Landgericht Augsburg hatte ihn wegen übler Nachrede zu drei Wochen Jugendarrest verurteilt, die er am 21. März 2024 antrat. Aufgrund des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts wurde er am 4. April 2024 vorzeitig entlassen.
„Das Amts- und Landgericht in Augsburg haben die Aktion falsch verstanden“, erklärte Samuel Bosch. Ein Banner mit der Aufschrift „Lohwald-Rodung trotz laufender Gerichtsverfahren? Frech!“ hatten Aktivisten und Unterstützer des Augsburger Klimacamps im Oktober 2022 an der Fassade der Regierung von Schwaben angebracht, darunter auch Samuel Bosch. Er äußerte sich erleichtert darüber, dass das Bundesverfassungsgericht diese Aktion als Meinungsfreiheit nach Artikel 5 des Grundgesetzes gewürdigt hat. Damit gelten die Augsburger Urteile als rechtswidrig und dies hatte zur Folge, dass Bosch vorzeitig aus dem Arrest entlassen wurde – mitten in der Nacht, im Regen und ohne Handy. Nach dieser ereignisreichen Nacht wurde gleich am nächsten Tag eine Open-Air-Pressekonferenz auf dem Ravensburger Marienplatz einberufen. Dort berichtete er zusammen mit einem Teil seines Rechtsbeistandsteams und seiner Mutter Gudrun Bosch über die Zeit im Jugendarrest und wie es ihm dort ergangen ist.
Rechtsbeistand Martin Lang führte aus, dass Samuel Bosch mitten in der Nacht im Regen vor die Tür geworfen wurde, nachdem er einen Bescheid aus Karlsruhe erhalten hatte. Die Klage beim Bundesverfassungsgericht war die letzte Option für den Aktivisten und sein Team, um gegen das Urteil des Augsburger Landgerichts vorzugehen. Die 40-seitige Verfassungsklage bezieht sich auf Menschenrechte wie Freiheitsrechte, Versammlungsfreiheit und vor allem freie Meinungsäußerung. Das kleine Team aus Laien hat erstaunlich viel erreicht, denn nur sehr wenige Verfassungsklagen sind erfolgreich.
„Ich hätte nicht gedacht, dass es so schnell geht“, kommentiert Rechtsanwalt Klaus Schulz die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Schulz hatte Samuel Bosch in Augsburg im Prozess verteidigt, war aber nur geringfügig mit der Verfassungsbeschwerde befasst, wie er auf Anfrage erklärte. Nun müsse sich das Augsburger Amtsgericht erneut mit dem Fall befassen. Sollte das Verfahren nicht eingestellt werden, werde es eine weitere Verhandlung dort geben, so Schulz.
Während seiner Arrestzeit führte Bosch ein Tagebuch, in das man bei Interesse Einsicht bekommt. Bei der Pressekonferenz berichtete er von einigen Szenen aus dieser Zeit. Seine Freilassung erscheint kafkaesk: Plötzlich klopfte es an der Tür und zwei große Wächter traten ein, um seine Sachen zusammenzupacken. Ohne weitere Erklärungen und ohne die Möglichkeit zu telefonieren, wurde der 21-Jährige vor die Tür der JAA Göttingen gesetzt. Bosch bezeichnete die Kommunikation dort als sehr schlecht und als „Masche des Apparats“. Statt Sozialisation stand dort aus seiner Sicht Strafe im Vordergrund. Für ihn habe es sich jedoch gelohnt, für sein Anliegen – die Klimagerechtigkeit – in die JAA zu gehen. Während seines Aufenthalts dort bereitete er unter anderem eine Workshop-Woche im Altdorfer Wald vor.Für die Mutter von Samuel Bosch war es eine schwere Zeit. Sie äußerte unter Tränen, dass ihr Sohn zu Unrecht eingesperrt wurde. Sie bedankte sich für die Unterstützung und zeigte sich von der Solidarität mit Samuel Bosch überwältigt. Es sei ein beklemmendes Gefühl gewesen, dass ihr Sohn zu Unrecht in der JAA saß. Den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts konnte sie am Tag darauf noch nicht fassen. Gudrun Bosch hat einen Brief an Baden-Württembergs Justizministerin Marion Gentges verfasst, in dem sie die Arrestbedingungen in der JAA kritisiert. Bei Besuchen dort haben sie und andere vor allem die Milchglasfenster als belastend empfunden, da den Inhaftierten dadurch der Blick nach draußen verwehrt wird. Die Diplom-Sozialpädagogin beschreibt die Arrestbedingungen als menschenunwürdig und fordert den Austausch der Fensterscheiben. Samuel Bosch will eine Entschädigung für den Arrest beantragen und kündigte an, seinen Kampf für Klimagerechtigkeit fortzuführen.
Vortrag und Klimagespräch: Wie gelingt Klimabildung in Ravensburg?
In ihrem Seminar „Kommunaler Umweltschutz“ haben sich im vergangenen Wintersemester vier engagierte Studentinnen der Pädagogischen Hochschule Weingarten mit der Fragestellung beschäftigt, wie die Bildungsmaßnahmen aus dem Klimakonsens Ravensburg bisher umgesetzt wurden. Der Schwerpunkt der wissenschaftlichen Analyse lag darauf, die Lücke zwischen dem Bewusstsein und dem tatsächlichen Handeln näher zu untersuchen. Die Ergebnisse dieser Studienarbeit werden am Montag, den 13. Mai 2024 um 18 Uhr im Booky der Stadtbücherei Ravensburg vorgestellt. Nach dem Vortrag von Magdalena Kaufmann und Kristin Machmer soll im Klimagespräch gemeinsam diskutiert werden, wie wir die Bildungsmaßnahmen zum Klimaschutz und zur Klimaanpassung in Ravensburg verbessern können.
Zu der kostenlosen Veranstaltung ist jeder herzlich eingeladen; Akteure, die bereits für Klimaschutz und Nachhaltigkeit aktiv sind, Engagierte, die nach Gleichgesinnten suchen um aktiv zu werden, und Bürgerinnen und Bürger, die sich einen Überblick verschaffen und sich informieren möchten.
Die Veranstaltung wird organisiert und moderiert durch den Treffpunkt Nachhaltigkeit.
www.treffpunkt-nachhaltigkeit-rv.de
Autor: Patrick Merk