Es herrscht „Uffrur“ im Land. Die Bauern begehren auf. Was vor 500 Jahren zum „Bauernkrieg“ geführt und aus Oberschwaben ein Schlachtfeld gemacht hat, wird in diesem und im nächsten Jahr zum historischen Großthema und dem interessierten Publikum in einer „Großen Landesausstellung“ – ab Oktober in Stuttgart und im kommenden Jahr im Kloster Schussenried – nahe gebracht werden. Die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren. Es geht schließlich um nicht weniger als um Freiheit und Menschenrechte. Aktueller geht’s nicht. Denn es herrscht „Uffrur“ im Land. So der Titel einer Roadshow zur Landesausstellung, die als Straßentheater an 20 verschiedenen Orten aufgeführt werden soll, und so die aktuelle Szenerie, die sich derzeit auf den Straßen und Plätzen der Republik abspielt, so zum Beispiel am grünen Aschermittwoch vor der Biberacher Stadthalle. Es herrscht Uffrur! Versuch einer Annäherung.
Es sei der ausdrückliche Wunsch des Landesvaters gewesen, dass der „Bauernkrieg“ im großen Rahmen gewürdigt wird, was dem Unterfangen noch besondere Bedeutung verlieh, heißt es in Stuttgart, wo man sich im und rund um das Landesmuseum ans Werk machte. Gezeigt wird Verschiedenes an verschiedenen Orten. Darunter „PROTEST! Von der Wut zur Bewegung“; ein brisantes Feld nicht nur, aber auch bestellt von wütenden Bauern: …wie kommt es überhaupt zu Protesten? Was macht Menschen wütend? Was bewegt sie, für Freiheit und Gerechtigkeit auf die Straße zu gehen? Oder umgekehrt, was veranlasst sie, ihr Heil trotzig im braunen Sumpf der Vergangenheit zu suchen? Diesen hoch aktuellen Fragen wird vom 27. Oktober 2024 bis 4. Mai 2025 im Alten Schloss in Stuttgart nachgespürt.
500 Jahre ist es her, dass „der Bauernjörg“ von der Waldburg im Auftrag des Schwäbischen Bundes den rebellierenden Bauern und ihrer Sippschaft den Garaus gemacht hat. Aus der sicheren historischen Distanz lässt sich unschwer über Leibeigenschaft und den Zehnten lamentieren, aber die Forderungen der aufbegehrenden Bauern, festgehalten in den 12 Artikeln, die niedergeschrieben in der Kramerzunft in Memmingen weit über die Linderung der eigenen Not hinausgingen und dank Lutherbibel von Gott gewollte Menschenrechte einklagten, waren ein Frontalangriff auf die herrschenden Verhältnisse. Entsprechend fiel die Reaktion aus. Geschätzt über 70.000 Menschen fielen deutschlandweit den Gemetzeln zum Opfer.
Inzwischen haben die Verhältnisse die Ausstellungsmacher überholt. Das partizipative Konzept, möglichst nah an den Menschen zu sein, wird konfrontiert mit dem Protest auf den Straßen und Plätzen der Republik. Im Osten sind es in diesem Jahr die Blauwähler, die sich im Protest der Bauern vor 500 Jahren wiederfinden können. Das Narrativ passt: Wir gegen die da oben! Und für die mit ihren tonnenschweren Traktoren gegen teurer werdenden „Agrardiesel“ protestierenden Bauern ist das historische Jubiläum ein „gmähdes Wiesle“, um sich in der systematischen Ungerechtigkeit bestätigt zu fühlen: Alle gegen uns!
Die Regie der Landesausstellung nimmt die Gefahr, von übergriffigen Zeitgenossen gekapert zu werden, ernst. Ein Teil der Historie soll sich auch auf Instagram abspielen. Und seit Corona weiß man um das toxische Gemisch, das in den sozialen Medien explosionsartig ein Thema okkupieren kann. Man sei auf der Hut, heißt es.
Aber Bange machen gilt nicht. Denn die Forderungen der Bauern vor 500 Jahren bleiben Fragen: Wie halten wir es mit den Menschenrechten angesichts tausender ertrinkender Flüchtlinge im Mittelmeer? „Der Bauernjörg“ lässt grüßen. Und welche Freiheit meinen wir, die der Egomanen im Silicon Valley, die die Welt in den Wahnsinn treiben, oder die Freiheit des Mitmenschen, die Grenzen haben muss, wenn wir gemeinsam überleben wollen?
Autor: Roland Reck
Die Reporterin: „Mir ist schlecht“
Über den Politischen Aschermittwoch von Büdnis 90/Die Grünen in der Biberacher Stadthalle haben wir in BLIX regelmäßig berichtet. In diesem Jahr stehe ich zwei Stunden in einer Menschenmenge, die auf Einlass wartet. Gelegenheit, (teils unfreiwillig) Menschen zuzuhören, die voller Hass und Verachtung auf demokratische Parteien schauen und auf Menschen, die anders sind und denken als sie selbst.
Als ich am 14. Februar um halb zehn von Ummendorf kommend auf der Waldseer Straße Richtung Innenstadt radle, passiere ich schon weit vor der Stadthalle auf der Fahrbahn abgestellte Traktoren. Kennzeichen: RV, MN, NU, BC, bunt gemischt. Einlass für die auf elf Uhr angesetzte Veranstaltung sollte um 10:15 Uhr sein. Die Theaterstraße vor der Stadthalle ist blockiert von Traktoren und einem Lastwagen, ein Silage-Haufen türmt sich am Gehweg auf. Lautstarkes Hupen ist zu hören, auf den Treppen vor der Halle drängen sich bereits viele Menschen. Während auf einigen Traktoren, die die Waldseer Straße blockieren, auch Plakate kleben wie „Landwirtschaft ist bunt nicht braun“, ist auf Transparenten direkt vor der Halle, mit denen die Forderung des DGB nach Tarifbindung bewusst verdeckt werden, zu lesen „Unser Feind ist der Grüne Linksfaschismus! Nicht die Russen.“
Ich möchte statt durch den Seiteneingang für die Presse bewusst mit der Menschenmenge zum Haupteingang gehen. Ein hinter mir stehender Landwirt, der in Leutkirch einen Rindermastbetrieb mit 30 Tieren im Nebenerwerb betreibt, erklärt mir auf die Frage, warum er hier sei: „Lebensmittel werden immer teurer, aber der Landwirt hat nichts davon. Wir haben bei uns jetzt schon so hohe Tierwohl-Standards, dass die Leute im Ausland kaufen, wo es keine Regeln gibt. Aber darüber schreibt die Presse ja nichts.“ Ein danebenstehender Mann, nach Aussage seiner Begleiterin ein Unternehmer aus dem Landkreis, sagt, er habe 47 Jahre lang Milch gefahren. Für ihn ist nicht Putin der Feind, sondern die amerikanische Hochfinanz. „Bill Gates und andere Juden“. Er bedauert, dass wir es nicht mehr fertig brächten, dass unsere Kinder eine Heimat haben. „Die grüne Bande verteilt unser Geld in der ganzen Welt.“ Impfgegner und Corona-Leugner geben auch noch ein paar Statements ab, darüber wie „das Volk“ gechippt, betrogen und belogen würde. Die Menge vor und neben uns singt „Wir haben die Schnauze voll“ und skandiert: „Wir sind hier, wir sind laut, weil die Ampel Scheiße baut.“
Als eine Reporterin von SWR 1 aus der Halle mit der Filmkamera erscheint, versucht man, die Kamera mit hochgereckten Plakaten zu verdecken und brüllt: „Lügenpresse, Lügenpresse!“ Ich schreie dagegen: „Es lebe unsere Pressefreiheit“. Ein einziger Mann, Mitglied der Grünen, wie er sagt, unterstützt mich. Ein anderer raunzt mich an: „Halt’s Maul!“ Eine Frau klagt: „Ich bekomme keine Rente, und die Ukrainer hier kriegen alles Geld.“ Ihr Nachbar schwärmt derweil von der letzten Bundestagsrede von Alice Weidel. Die habe mal wieder alle anderen alt aussehen lassen.
Als um halb zwölf klar wird, dass die Veranstaltung abgesagt ist, spottet einer meiner Nachbarn: „Schade, ich hätte so gerne gesehen, ob die Ricarda Lang, die grüne Tonne, in Wirklichkeit auch so bombig aussieht.“ Am Hintereingang spielt eine Deutschlandfahnen schwingende Gruppe die Melodie der Nationalhymne durch ein Megaphon ab. Vor der Halle vernebelt ein brennender Strohhaufen die Sicht, während auf dem Parkdeck die Party mit fremdenfeindlicher Musik beginnt:
„Deshalb stehe auf, Du deutsches Volk, hast viel schlimmes Leid hinter Dich gebracht; es ist Deine Heimat, Dein Land, Dein Tod, Deutschland braucht Dich jetzt in seiner Not. Es ist Zeit, endlich zu lärmen, es ist Zeit, um aufzustehen, dass Deutschland wieder uns gehöre, ein Lichtblick, es wär wunderschön. Andere Länder, andere Sitten, da funktioniert‘s auch, schaut doch hin, bleibt ein Volk nur unter sich, oder sag: zieht‘s Dich nach Polen hin? Doch wenn ein Deutscher im Staat weniger zählt als ein Flüchtling oder ein anderer hier, dann frag ich laut: Läuft hier nicht was schief? Denn die Leidenden sind wir. Jetzt frag ich mal: „Hört mir mal zu, wenn Deutschland stirbt, würdest Du helfen?“
Das Lied, das ich im Vorbeigehen aufgenommen habe, ist von Annett Müller, einer früheren NPD-Kandidatin, die 2011 aus der rechtsextremen Musikszene ausgestiegen ist. Sie hält nun, wie ich mittlerweile nachgelesen habe, Vorträge an Schulen über ihre Erfahrungen in der rechtsextremistischen Szene. Auf dem Biberacher Parkdeck wird das Lied noch gespielt und mitgesungen. Zwischen sehr viel härteren Rhythmen und Texten, die ich nicht aufgenommen habe.
Mir ist ohnehin schlecht, als ich mich auf den Heimweg mache. Als ich gerade losradeln will, treffe ich einen Landwirt, ebenfalls mit dem Fahrrad gekommen und ebenso entsetzt über die Parolen, die hier gerufen werden und das Menschenbild, das dahintersteht. Was für eine bedrückende Erfahrung, von Menschen aller Altersklassen so viele sexistische, rassistische und antisemitische Sprüche zu hören. Als Historikerin habe ich die Entwicklung in der Weimarer Republik stets mit Respekt studiert und habe gestaunt wie schnell Nationalismus, enttabuisierte Sprache und politische Gewalt in die Katastrophe führten. Und nun so viel Intoleranz. Nicht irgendwo. Ganz nah. Demokratie ist nichts Selbstverständliches. Wir müssen dafür einstehen.
Text & Fotos: Andrea Reck
Der Fotograf: „Nicht zu rechtfertigen!“
Es ist nicht so, dass Andreas Reiner nicht harte Kost gewohnt wäre. Erst vor kurzem kam er aus Israel und dem Westjordanland zurück, voller erschütternder Eindrücke über die alltägliche Gewalt zwischen Israelis und Palästinensern. Der Fotograf ist Experte für schwierige Themen und ein sensibler Beobachter der Menschen, die er fotografiert, nicht selten im Grenzbereich zwischen Leben und Tod. Aber die Bauerndemo vor der Stadthalle in Biberach anlässlich des politischen Aschermittwochs der Grünen macht ihm schwer zu schaffen. Andreas Reiner ist geschockt. Noch Tage später kann er das Erlebte kaum fassen.
Der 56-Jährige wusste über die sozialen Medien schon vorher, dass sich in Biberach an diesem Morgen was zusammenbraut. Also brach er schon zu früher Stunde von seinem Bauernhof auf, um rechtzeitig vor Ort zu sein. Und erlebte, wie um 5 Uhr sich Bauern mit der Polizei wegen eines abgeladenen Haufens Silo vor der Stadthalle zofften. Es wurde handgreiflich. Die wenigen Polizisten seien darauf nicht vorbereitet gewesen und „Bullen rumschubsen gibt Macht“, schildert Reiner das Szenario.
Es war eine Machtdemonstration, statt Panzer waren es Traktoren, die die Stadt blockierten. Es waren viele, sehr viele aus der Nähe und von weit her. Bis von Heidenheim, Mindelheim, Memmingen, Ulm und Neu-Ulm, Sigmaringen, vom Bodensee und von der Alb ra und natürlich die meisten aus dem Kreis Biberach. Es war eine PS-Show – einer größer als der andere. Abgestellt auf der Zufahrt zur Stadthalle, wo ein nervenzehrendes Getöse herrschte und hunderte Bauern und ihre Anhänger die Stadthalle belagerten. Die Belagerung endete erst gegen Mittag mit brennendem Stroh und Gejohle als sich rumsprach, dass die Grünen klein beigeben. Geschafft! Die Veranstaltung fiel den protestierenden Bauern zum Opfer.
Aber es ist nicht dieser Ausgang des Geschehens, das den Fotografen nachhaltig entsetzt, sondern das, was er bis dahin beobachtet und gehört hatte. Frauen seien als „grüne Fotzen“ beschimpft worden und gedroht worden: „Jetzt wird neigschlaga!“ Er sei als „Lügenpresse“ angegangen worden. Und das von Menschen, die er kennen würde. Er sei „menschlich abgrundtief enttäuscht“. Die vorherrschende „Gesinnung“ sei „beängstigend“ gewesen. Von den stadtbekannten Querdenkern, braunen Kostgängern und verblödeten Reichsbürgern habe er nichts anderes erwartet. Aber in der Vielzahl „waren es Bauern“, die mit ihrer Wut auch ihre Gesinnung preisgaben. „Da gibt es nichts zu rechtfertigen“, empört sich Reiner. Und es klingt wie enttäuschte Liebe, wenn er sagt: „I hon selber zwoi Kia dahoim.“
Autor: Roland Reck
Kommentar: „Ein Opfer der Flammen“
Ich kam mit dem Fahrrad, wohl wissend, dass mit dem Auto kein Durchkommen sein wird. Ein tonnenschwerer Traktor reihte sich an den anderen, in der Waldseer Straße gleich nach der Polizei bis zur Stadthalle. Jede dieser Monstermaschinen hat einen Besitzer, der ein Unternehmer ist. Kein typisches Demoklientel. Der Schuh muss heftig drücken, wenn die Bauern sich massenhaft zum Protest aufmachen. Ohne Not macht sich niemand auf den Weg, könnte man meinen.
Der Protest der Bauern – auch unangemeldeter – muss ernst genommen werden. Zu viel Unmut hat sich angestaut. Die Bauern sind schon seit Jahrzehnten Schachfiguren, die von Politik und Gesellschaft und den Lebensmittelkonzernen hin- und hergeschoben werden, ausgeliefert an den Weltmarkt und verstrickt in immer mehr Bürokratie. „Bauernopfer“ eben. Das kränkt, macht wütend und mobilisiert.
So auch den Biobauern aus der Nähe von Sigmaringen, der neben mir eingeklemmt am Aufgang zur Stadthalle steht und schon um 5 Uhr aufgebrochen ist, um rechtzeitig da zu sein, wenn Kretschmann, selbst Sigmaringer, und Landwirtschaftsminister Özdemir in Biberach auftauchen. Er gibt mir den wohlfeilen Ratschlag, objektiv zu berichten, und lässt mich von seinem großen Frust wissen. Der Agrardiesel sei dabei nur der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Eine auskömmliche Zukunft sieht er auch mit 60 Hektar nicht. Sein Sohn würde eine Lehre machen – aber nicht zum Landwirt. Der Fünfziger räumt ein, dass die Misere eine alte ist. Er habe immer CDU gewählt, nur das letzte Mal FDP, was er bereue. Was er das nächste Mal wähle, wisse er noch nicht. „Aber nicht AfD!“
Und trotzdem hält er aus, was um ihn rum passiert. Die Stimmung ist aggressiv, der Lärm zeitweise ohrenbetäubend, der schwarze Adler von irgendwelchen Reichsbürgern, die völlig verpeilt in Oberschwaben für einen „Bundesstaat Preußen“ werben, ist gut sichtbar, passend dazu sieht ein Schwurbler, Deutschland vom „grünen Linksfaschismus“ bedroht. Einzelmeinungen, aber unterfüttert von vielen diffamierenden und frauenfeindlichen Plakaten. Ätzend! Und unten auf der Straße qualmt das Strohfeuer. Umstehende wärmen sich daran.
Es herrscht „Uffrur“! Ja, das stört und provoziert. Aber pauschale Kriminalisierung ist zu einfach, es lenkt nur von den Problemen ab. Man denke an die erbärmliche Diskussion um die „Schulschwänzer“ von Fridays for Future und die Verurteilung vieler „Klimakleber“. Wir werden sie noch brauchen. Und die Grünen müssen sich fragen, was falsch gelaufen ist, dass sie als ehemalige Protestpartei zum Opfer des Protestes – nicht nur der Bauern – geworden sind.
Autor: Roland Reck