Ravensburg – Die Mönchmühle in Ravensburg ist seit 31. Juli Geschichte. Fünf Generationen lang, seit 1860, wurde sie von der Familie Schuler betrieben. Deshalb ist sie besser unter dem Namen „Schulers Mühle“ bekannt. In historischen Quellen wird diese Mühle erstmals 1312 erwähnt. Auch kulturhistorisch ist dieser Betrieb für Ravensburg also von Bedeutung. Bevor jetzt der Schwiegersohn Sven Meier, der erst im Februar seinen Müllermeister-Abschluss gemacht hat, in 6. Generation übernehmen konnte, beerdigte die Ravensburger SZ-Lokalredaktion mit einer vollkommen überzogenen Skandalberichterstattung diese Traditionsmühle.
Anlass war eine routinemäßige Lebensmittelkontrolle des Landratsamtes, bei der am 19. April Hygienemängel in der Mühle aktenkundig wurden. Dem Mühlen-Betrieb wurde aufgetragen, 6 Tonnen Mehl zu entsorgen, weil der hölzerne Silodeckel, in dem dieses Mehl gelagert war, an der Unterseite Schimmel aufwies. Außerdem wurden einige tote Mäuse, Mäusekot und Motten an verschiedenen Stellen in der Mühle entdeckt. Die Kontrolleure des Landratsamtes ordneten daraufhin eine Mängelbeseitigung an und kündigten eine zeitnahe Nachkontrolle an. Deadline für die Mängelbeseitigung war der 9. Juni.
Dass eine amtliche Überwachung der Lebensmittelproduktion vernünftig ist, steht außer Zweifel. Doch die Verhältnismäßigkeit sollte dabei gewahrt bleiben. Nach der Vor-Ort-Kontrolle im April berichtete Müllermeister Johannes Schuler mehrmals per Mail an das Landratsamt über den Fortschritt der angeordneten Mängelbeseitigung. Am 23. Mai, also erst knapp fünf Wochen nach dem Kontrollbesuch, machte das Landratsamt die festgestellten Mängel auf dem Verbraucherportal des Landes Baden-Württemberg öffentlich. Fast alle festgestellten Mängel waren zu diesem Zeitpunkt bereits abgestellt.
Auch dem Mühlenladen blieben die Kunden nach der SZ-Berichterstattung fern. Fotos: Mönchmühle
Die SZ-Redaktion Ravensburg skandalisiert
Hier kommt jetzt die Lokalredaktion der Schwäbischen Zeitung Ravensburg ins Spiel. Redakteurin Lena Müssigmann entdeckte die Information auf dem Verbraucherportal Baden-Württemberg und machte sich an die Recherche. Am 5. Juni forderte sie Müllermeister Johannes Schuler per Mail zu einer Stellungnahme auf, die er auch anderntags abgab. Die Mühlen-Inhaber baten die Redakteurin, sich doch vor Ort ein Bild zu machen. Am 9. Juni meldete sich Müssigmann noch einmal per Mail bei Schulers, sie habe keine Zeit gehabt, persönlich in der Mühle vorbeizukommen, kündigte sich aber für kommende Woche an. Mit keinem Wort wies sie darauf hin, dass anderntags, am 10. Juni, ein von ihr verfasster Fünfspalter in der Ravensburger Lokalausgabe unter der Headline „Lebensmittelkontrolle deckt massive Mängel in Mühle auf“ erscheinen wird. Noch reißerischer war die Überschrift im Internetportal der SZ: „Ekelerregende Zustände in der Mönchmühle“! Auch Fernsehen, Hörfunk und andere Print-Medien tönten in das gleiche Skandal-Horn.
Mit der Schließung der Mühle geht eine lange Tradition in Ravensburg zuende.
Die Folge: Ab dem ersten Arbeitstag nach der samstäglichen SZ-Skandalstory orderte zunächst kein einziger Lebensmittelhändler in der Region (von 60 bisher belieferten) mehr Mehl bei der Mühle. Auch nach Wochen blieb nur eine Handvoll Großkunden übrig. Auch die Frequenz in Schulers Mühlenladen tendierte gegen Null. Das mediale Vernichtungsurteil war für viele Verbraucher gefällt. Und das, obwohl das Landratsamt Ravensburg nie eine behördlich angeordnete Rückrufaktion oder eine Warnung vor Produkten der Mönchmühle ausgesprochen hatte. Müllermeister Johannes Schuler nennt diese Art der journalistischen Verarbeitung durch die Schwäbische Zeitung „mediale Lynchjustiz“. Warum die SZ mit ihrer Berichterstattung nur drei Tage vor dem behördlichen Nachprüftermin am 13. Juni, bei dem eine ordnungsgemäße Mängelbeseitigung festgestellt wurde, Schulers Mühle den ökonomischen Knock-out versetzte, bleibt mir ein Rätsel. Interessant übrigens, dass die Kollegen in einer benachbarten Lokalredaktion kurz vor Weihnachten 2022 kein Wort über die vom Landratsamt Ravensburg verfügte dreitägige Schließung einer Bäckerei in Altshausen berichteten, obwohl die dortigen Hygienemängel ebenfalls im Verbraucherportal Baden-Württemberg veröffentlicht worden waren.
Dass die Lebensleistung von Familie Schuler mit einem Makel und dem Betriebsschluss endet, macht mich fassungslos. Dass ein weiterer mittelständischer Traditionsbetrieb schließen muss und sieben Mitarbeiter ihren Arbeitsplatz verlieren, obwohl ein Nachfolger parat stand, ist mehr als tragisch. Traurig finde ich auch, dass viele Kunden des Mühlen-Ladens, die sich zunächst von der Presse-Skandalberichterstattung abschrecken ließen, erst nach dem Publikmachen der Betriebsschließung wieder den Weg in die Mühle fanden. Doch das Bedauern kommt leider zu spät.
Zum Autor
Oswald Metzger (69), der ehemalige Bundes- und Landespolitiker der Grünen, der 2008 zur CDU wechselte, aber heute parteilos ist, wohnt seit 2011 mit seiner Frau in Ravensburg und ist langjähriger und zufriedener Kunde in der Schuler-Mühle. 2010 unterlag er im 2. Wahlgang mit 47 Prozent der Wählerstimmen dem heutigen OB Daniel Rapp. Oswald Metzger ist trotz Ruhestand selbst noch journalistisch tätig. Den Anstoß für Metzgers BLIX-Beitrag gab die Ablehnung seines Leserbriefs zu diesem Thema durch SZ-Lokalchef Frank Hautumm mit der knappen Begründung, Metzger sei parteiisch.
Autor: Oswald Metzger